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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

gekostet hat, dieses Unrecht zu begehen. So mögen Sie es sein, meine werthe Dame, die ihr sagt, der alte harte Großvater, den zu hassen man sie wahrscheinlich von Kindesbeinen an gelehrt hat, sei in sich gegangen wie der Sträfling im Zuchthause. Und wie der Sträfling im Zuchthause sitze ich ja auch wirklich da in meinen großen, dunkeln, einsamen Zimmern. Vor wenigen Wochen habe ich meinen einzigen Sohn begraben, meine Hoffnung, meinen Stolz – die Zukunft meines Namens und meiner Firma. Und nun bin ich selbst im Begriff, völlig zu erblinden. Vielleicht ist das genügend, um meine Enkelin etwas versöhnlich zu stimmen gegen einen unglücklichen alten Mann! Nur möchte ich’s gern einmal von ihr selber hören, daß sie mir verzeiht. Darum habe ich ihr einen Vorschlag zu machen. – Es ist selbstverständlich, daß Christoph Ulwes Tochterkind nicht wie die erste beste Bettlerin in das Haus ihres Mannes einzieht. Ich gebe ihr eine Mitgift von hunderttausend Kronen und ich stelle dafür nur eine einzige Bedingung: auf der Hochzeitsreise muß sie mich mit ihrem Manne besuchen, und ich werde zufrieden sein, wenn ich sie auf wenige Tage in meiner traurigen Einsamkeit festhalten kann. Wenn ihr aber ein Ungemach widerfährt und wenn sie früher oder später Sehnsucht danach empfindet, sich an einen norwegischen Fjord und in das stille Haus zu flüchten, in welchem ihre Mutter geboren und aufgewachsen ist, so wird sie dessen Thür allezeit weit offen finden, und ein alter, gebeugter Mann wird sie freudig in seine Arme schließen und wähnen, daß es noch einmal Tag geworden sei in seiner Nacht.

Damit, meine werthe Dame, sei es genug für heute. Ich empfehle mich Ihnen als Ihr ganz ergebener

Christoph Ulwe.“ 

Mit großer Spannung hatten die kleinen hellen Augen der Rechnungsräthin das Mienenspiel der Lesenden verfolgt. Namentlich bei den „hunderttausend Kronen“ hatte sie unzweifelhaft einen lauten Freudenausbruch erwartet und sie schüttelte ein wenig den Kopf, als nicht einmal ein flüchtiges Lächeln auf Astrids ernstem blassen Gesicht erschien.

„Nun, Kind, was sagst Du dazu?“ fragte sie mit merklicher Ungeduld. „Was gedenkst Du, ihm zu antworten?“

„Ich werde ihm antworten, daß ich bereit sei, zu ihm zu reisen und ihn zu pflegen.“

„Ihn zu pflegen? Du meinst natürlich, während des Besuchs auf Eurer Hochzeitsreise, von dem er da spricht?“

„Ich werde keine Hochzeitsreise machen, Mama! Meine Verlobung ist aufgehoben.“

Regungslos vor Schrecken und keines Wortes mächtig stand die Rechnungsräthin da. So unverkennbar prägte sich die maßlose Bestürzung auf ihrem gütigen und ehrlichen Antlitz aus, daß angesichts eines solchen Beweises inniger Theilnahme sich auch die unnatürliche Starrheit in Astrids Wesen löste. Sie warf sich laut aufschluchzend an die Brust der mütterlichen Freundin, und sie fand jetzt endlich die ersten Laute der Klage über ihr so jäh zerstörtes Glück.

Unter heißen Thränen erzählte sie der Rechnungsräthin alles, was sie an diesem unseligen Morgen gehört und gesehen hatte, und wie tief sie auch immer die erlittene Demüthigung jetzt bei der Erzählung zum zweitenmal empfinden mochte, so verschwieg sie doch nicht ein einziges Wort. Als sie geendet hatte, schien der alten Dame einige Hoffnung zurückgekehrt zu sein.

„Wie hast Du mich erschreckt, als Du von einer Aufhebung Deiner Verlobung sprachst! Aber so weit ist es denn doch, Gott sei Dank, noch nicht. Die Worte dieser Frau können nicht genügen zu einem so folgenschweren Entschluß. Du mußt auch Gerhard hören und seine Rechtfertigung!“

„Was bedarf es da einer Rechtfertigung, Mama, wo alles so klar und einleuchtend vor mir liegt? Was Rita Gardini sagte, entspricht der Wahrheit nur allzu sehr! Nicht aus Liebe wollte er mir seinen Namen geben, sondern aus Edelmuth, und indem er mich glücklich machte, wollte er sich selber zum Opfer bringen.“

„So sollte alles, was ich hier vor meinen Augen gesehen habe, nur Lüge und Heuchelei gewesen sein? – Nein, nein, Astrid, das werde ich nimmermehr glauben!“

„Und doch ist es so, Mama! – Auch Du würdest nicht daran zweifeln, wenn Du heute bei der Probe gesehen hättest, was ich sah.“

„Und wenn der Schein auch gegen ihn spricht, Du mußt wenigstens abwarten, was er Dir zu antworten hat! Bis er heute hier gewesen ist, mußt Du wenigstens Deinen Entschluß aufschieben!“

In wehmüthiger Hoffnungslosigkeit schüttelte Astrid das Köpfchen.

„Er wird nicht kommen, Mama! Ich bin ganz sicher, daß er nicht kommen wird.“

Der helle Klang der Hausglocke verhinderte sie daran, weiter zu sprechen.

„Das ist er!“ rief Frau Haidborn freudig. „Es ist seine gewöhnliche Stunde. Nun wird alles gut werden!“

Sie selber eilte zur Thür, um zu öffnen; aber sie prallte erschrocken zurück, als sie nicht Gerhard, sondern seinen Diener vor sich sah.

„Herr Steinau läßt um Entschuldigung bitten, wenn er den Damen heute nicht mehr seine Aufwartung machen kann. Aber er fühlt sich nach der Probe sehr angegriffen und erholungsbedürftig. Er hoffe, die Damen gleich nach dem Konzert zu sehen, und schickt hier die Eintrittskarten.“

Das war die mündliche Bestellung, welche der junge Mensch auszurichten hatte. Gerhard hatte also nicht einmal die Kraft gefunden, an Astrid zu schreiben. Er war unzweifelhaft dem Banne von Ritas schönen Augen rettungslos verfallen.

Noch immer versuchte die Rechnungsräthin, Astrid zum Ausharren zu bewegen; aber sie selber hatte die Hoffnung auf eine günstige Wendung verloren, und ihren mahnenden Worten fehlte die Kraft der eigenen Ueberzeugung. Sie ließ es geschehen, daß sich Astrid, nachdem sie zum Schein einige Bissen von der Mittagsmahlzeit zu sich genommen hatte, auf ihr Zimmer zurückzog, und sie verlangte nicht, den Inhalt des Briefes kennenzulernen, mit welchem eine Stunde später das Mädchen zu Gerhard Steinau gesandt wurde.

(Schluß folgt.)




Weihnachtsbüchertisch für die Jugend.

Unter den mancherlei Geschenken für die Jugend zum Weihnachtsfeste:

„Lichterbaum, Gewehr und Schwert,
Trommel, Jagd- und Schaukelpferd,
Bilderbuch und Kegelspiel,
Nüss’ und Aepfel auch recht viel,
Püppchen, Püppchen, Hampelmann –“

wie es im Liede heißt, nimmt ein Buch immer einen der ersten Plätze ein, wenn der Geber es verstanden hat, seine Wahl nach dem Geschmack und dem Bedürfniß seiner jungen Freunde zu treffen. Wie in früheren Jahren wollen wir auch zum bevorstehenden Christfeste hinsichtlich der neuen Bücher die Wahl erleichtern helfen, indem wir ein paar für jede Altersstufe aussuchen und hier anführen. Recht dringlich möchten wir aber zugleich unseren Rath wiederholen, über den mancherlei neuen Jugendbüchern der vielen und werthvollen alten nicht zu vergessen! Unsere Empfehlungen in den letzten Jahrgängen der „Gartenlaube“ z. B. mögen wieder nachgeschlagen werden, und wer in dem nachfolgenden kurzen Bericht nicht das findet, was er sucht, wird in den früheren Jahrgängen kaum vergebens nachforschen.

Um auf gedrängtem Raume eine thunlichst übersichtliche Zusammenstellung zu geben, setzen wir überall die Titel der Schriften voran und beschränken unsere kurzen charakterisirenden Bemerkungen auf das Nothwendigste.

Bilderbücher für die Kleinsten. Weihnachten von Fritz Reiß (Verlag von Meißner und Buch in Leipzig). Eine mit hübschen Bildern versehene Zusammenstellung der schönsten Weihnachtslieder. Das Aeußere des Buches ist nach den Umrissen des Tannenbaums ausgeschnitten. – Heitere Kindertage. (Ebenda.) Kindliche Gedichte mit feinausgeführten Farbendruckbildern in englischer Manier. – Neues Bilder-A-B-C, mit Versen von M. Raimund (Stuttgart, Gustav Weise). Willkommen als dankenswerthes Hilfsmittel, um den Kleinen die ersten Anfangsgründe im Lesen beizubringen. – Unsere Soldaten in beweglichen Bildern von Willibald König (Stuttgart, Wilhelm Effenberger [F. Loewes Verlag]). Ein kurzweiliges Ziehbilderbuch nach Art derjenigen von Lothar Meggendorfer (siehe vorige Nummer der „Gartenlaube“). – Was die Menschen treiben. Von F. Erck, illustrirt von Fritz Reiß. (Leipzig, Meißner und Buch). Ein vortreffliches Buch, erfreulich sowohl seiner farbenschönen und lebensvollen Bilder wie seiner inhaltreichen Gedichte wegen! – Jung Japan beim Spiel. (Leipzig, E. Twietmeyer.) Das Buch versucht, die zum theil recht munteren Spiele der schlitzäugigen kleinen Japaner auch bei uns einzuführen. Die Spielreime sind meist lebhaft und leicht erlernbar; aber die vielen wunderlichen Namen japanischer Märchenfiguren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_834.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)