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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Höhen links eine stattliche Kolonie neuerbauter Beamtenhäuser. Hier unter uns rasselt ein leerer Zug über die Schienen zurück; Lärm auf allen Seiten und weiße, aufsteigende, in sich wirbelnde Dampfwolken von stehenden und fahrenden Maschinen, in der Höhe und in der Tiefe grabende, karrende, hackende Männer, hin und her zerstreut in langen beweglichen unregelmäßigen Linien. Dort drüben fährt ein langer Zug einander folgender Handwagen auf leichtem Schienengeleis, von Männern geschoben. Der Inhalt der eisernen Kippkarren ist nicht grauer Thon oder gelber Lehm oder heller Sand: mit dunkler Torferde sind sie gefüllt, die da ausgegraben wird, wo früher eine grüne, saftige Wiese den alten Kanal hart an seiner Mündung begrenzte.

Auf solchen Strecken sind die schwierigsten Arbeiten zu bewältigen, wo der lockere Boden keine Maschine trägt und alles mit der Hand gemacht werden muß, und die Befestigung der Moorufer macht am meisten Sorge und ist am unzuverlässigsten; nach zwei, drei Jahren läßt sich vielleicht erst beurtheilen, ob die vollbrachte Arbeit die gewollte Dauer hat.

Aus dem tiefen, nassen, klebrigen Moortorf ragt es lang und braun und kahl: nebeneinander, in gleicher Richtung hingestreckt, wie einstmals die Riesenfluth sie umstürzte und in Schlamm begrub, liegen da uralte Eichbäume, dicke und dünne in reicher Zahl, und noch werden immer neue ausgegraben von den Arbeitern, die jeder ein paar Pfund Torfmoor an den schweren nassen Stiefeln tragen. Aber die Moorschicht muß weg, darunter liegt blauer Thon zu Tage, dann wird die Arbeit wieder reinlicher.

Die vorgeschichtlichen Funde, welche bis jetzt gemacht wurden, sind im ganzen nicht eben bedeutend. Die Besiedelung der vom Kanal zu durchschneidenden Strecken ist offenbar seit ältesten Zeiten stets eine gleichmäßige gewesen, wie sie durch Beschaffenheit des Bodens und seine Ertragsfähigkeit geboten war. An solche Funde, wie sie anderswo in Riesengräbern gemacht werden, ist hier nicht zu denken, also auch nicht an die Hebung besonderer Merkwürdigkeiten oder Kostbarkeiten. Auch naturhistorische Seltenheiten scheint man beim Kanalbau nicht allzu viel erwarten zu dürfen. Jene halbverkohlten Bäume, Torfbildungen, Findlingsgranit aus Skandinavien, Lehm, Löß und Sand in allen Arten, das findet man, aber weder Kohlenlager noch Erzadern.

Die Arbeit der Hände in Ehren, aber Maschinenarbeit bringt doch mehr fertig.

Das zeigt der Trockenbagger, der nicht weit davon ohne Aufhören schafft und gräbt im festen Erdreich. Es ist ein merkwürdiges, aber im Grunde recht einfaches Ungeheuer. Zwischen zwei langen Armen, die sich nach Bedarf heben und senken lassen, geht, von starker Dampfkraft getrieben, an riesenstarker Gelenkkette ohne Ende ein „Paternosterwerk“, eine Folge von 25 großen, gewölbten Stahlschaufeln, die, wie sie 5 m tief herabgelassen und ohne Aufhör wieder aufwärts gezogen werden, in kreisender Bewegung mit ihrem scharfen Rand das Erdreich losschürfen und abgraben, um ihre Höhlung damit zu füllen und es nach oben zu schaffen; dort klappt jede Schaufel durch ihr eigenes Gewicht in ihrem Gelenk nieder und entleert, was sie gefaßt hat, in den unter dem Baggerhaus haltenden Wagenzug. Ist ein Wagen voll – und dazu braucht’s nicht lange Zeit, in gut einer Minute wird je ein Eisenbahnwagen gefüllt – dann rückt das ganze Unthier langsam auf seinen drei Schienen soweit vor, daß die Kette über dem nächsten Wagen steht – und die Schaufeln kratzen und schürfen wieder; und wo sie gegraben haben, da stellt die Böschung eine etwas ausgehöhlte, aus der Ferne gesehen ganz glatte, flach muldenförmige Wand dar. Und ist so die bestimmte Strecke abgegraben und abgefahren, dann wird das Geleise des Baggers rückwärts verlegt – und die Arbeit fängt wieder an. Und das schafft, besser als wenn Spaten um Spaten mit der Hand ausgehoben und auf Schiebkarren wer weiß wie weit weggefahren werden muß, wie vor hundert Jahren beim Bau des alten Kanals. In der Stunde fördert eine solche Maschine 100 cbm Erdmasse im Durchschnitt. Die Bedienungsmannschaft ist eine geringe. Dreißig Mann im ganzen genügen, um mit einem solchen Bagger am Tage gegen 2400 cbm Boden auszuheben. Die Maschinerie des Baggers selbst erfordert nur vier Mann, zehn Mann verschieben die Geleise, zehn Mann kippen und entleeren die vollen Wagen.

Anfang September waren aus der Schleusenbaugrube 300 000 cbm Erdmasse ausgehoben. Auf der ganzen Kanalstrecke sind jetzt sieben Millionen Kubikmeter, etwa ein Zehntel der ganzen Masse, beseitigt. Beim Bau werden zur Zeit etwa 30 Bagger und 60 Lokomotiven verwendet. Die Erdarbeiten werden überhaupt nicht eben als die schwerste Aufgabe angesehen, das sind eher die Riesenschleusenwerke, die zu ihrer Vollendung die Zeit von viereinhalb Jahren erfordern werden. In demselben Zeitraum hofft man mit den Erdaushebungen durchweg fertig zu sein, wie denn überhaupt die von anfang an festgesetzte Vollendungsfrist bis zum Jahre 1895 eingehalten werden wird – wenn nicht ganz unerwartete und schwer zu bewältigende Schwierigkeiten in die Quere kommen.

Was den eigentlichen „Bau“, die Auf- und Ausmauerung des Schleusenbeckens angeht, so wird der Bedarf an Mauersteinen auf 50 Millionen veranschlagt.

Es mag manche Ziegelei im Lande in ihren Erwartungen arg enttäuscht worden sein, die einen Antheil an der Lieferung einer so ungeheuren Menge Steine für sich erhoffte; der Kanal liefert die Steine nämlich selbst. Die mächtige im Bau begriffene Ziegeleianlage bei Groß-Nordsee nahe beim Flemhuder See mit ihren neun hochragenden mächtigen weißen Luftschachten, die auf einen beständigen Ringofenbetrieb von 24 Kammern eingerichtet, mit ausgezeichneten Trockenvorrichtungen und allen Maschinen der Neuzeit ausgerüstet wird, hat die Arbeit in dem thonreichen Gebiet zu leisten und 40 000 Steine am Tage zu liefern. 800 Millionen Steine sind vorgesehen.

Auch bei Brunsbüttel an der Elbmündung befindet sich jenseit des Kanals eine große Dampfziegelei. Allein der Grunderwerb hat dem Unternehmer über 100000 Mark Kosten verursacht. Das Material zu den herzustellenden Ziegelsteinen wird dem Besitzer kostenfrei bis zur Arbeitsstätte geliefert. Dagegen ist er verpflichtet, monatlich 100 000 Steine zu liefern, die ihm fürs Tausend mit 24 Mark 50 Pfennig vergütet werden.

Um die Kanalufer vor dem sehr starken Wellenschlag der ihn durchfahrenden Panzer zu sichern, werden die Böschungen, soweit er reichen kann, mit Ziegelsteinen belegt, gepflastert oder betoniert werden. Auch zur Pflasterung liefert der Kanal selbst das massenhaft erforderliche Material in den ungezählten erratischen Granitblöcken, deren größte man an Ort und Stelle mit Dynamit sprengt, um sie dann zu verarbeiten und zuzupassen. Bei Holtenau ist schon nahe am alten Kanal ein Steinmetzhof eingerichtet, auf dem die behauenen und geschlagenen Steine in gewaltigen Haufen wohlgeordnet aufgestapelt liegen.

Es arbeiten zur Zeit bei Holtenau an 300 Arbeiter, auf der ganzen Baustrecke etwa 4600, von denen reichlich 3000 längs des ganzen Kanals in Baracken untergebracht sind. Unter der Gesammtzahl sind etwa 120 Ausländer. Nicht in den Baracken wohnen die Schmiede, Zimmerleute etc. Was den Leuten in den Baracken in jeder Beziehung geboten wird, ist geradezu mustergültig.

Man muß sich unter dem Namen Baracken nicht etwa ein unordentlich zusammengezimmertes oder verfallendes Bauwerk denken. Es sind auf der ganzen Linie hin aus festgefugten Brettern errichtete, braunroth getheerte, mit Pappe gedeckte, von einem Glockenthürmchen überragte, langgestreckte einstöckige Gebäude, die in luftige, helle, je zwei durch einen Ofen heizbare Stuben eingetheilt sind, in denen je acht Mann Unterkommen finden. Die eisernen Bettstellen sind zu je zweien übereinander angeordnet nach Art der Kasernenbetten, mit Matratze und Kopfpfühl, im Sommer mit einer, im Winter mit zwei blau und weiß bezogenen wollenen Decken und mit weißem Betttuch versehen. Die Wäsche wird alle vier Wochen gewechselt. Neben jedem Bett hängen die Handtücher, und je ein Schemel ist für jeden Mann bestimmt.

In den Holtenaner Baracken herrschte, als ich sie besah, tadellose Ordnung und Sauberkeit. Besonders dazu Angestellte machen die Betten, räumen auf und reinigen die Stuben und Geräthe. Im Winter wird der Zementfußboden mit durchlässigen Holzlatten überdeckt. Für etwaige bettlägerige Kranke ist ein besonderer Raum hergestellt, ein Arztzimmer fehlt nicht, und ebenso wenig ein Zimmer für die „Revierkranken“, die der Ruhe und der Absonderung bedürfen.

Ein großer, hochgezimmerter, luftiger Saal dient für die gemeinsamen Mahlzeiten. An langen, reinlichen Tischen und Bänken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_846.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)