Seite:Die Gartenlaube (1889) 857.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 51.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Eine Erscheinung.

Hinterlassene Erzählung von Fanny Lewald.
(Fortsetzung.)


Der Schießstand war eine gute Strecke vom Schloß an der Grenze des Guts angelegt worden; auf der einen Seite begrenzte ihn der Fluß, nach der andern, dem Schloß zugewandten, ragte eine lange hohe Mauer auf, um zu verhindern, daß die etwa verirrten Geschosse jemand, der von dieser Seite kam oder auf den Feldern beschäftigt war, treffen konnten. Ein starker Erdwall diente als Kugelfang und ihm gegenüber lag der Eingang, welcher durch eine von leichtem Holz gezimmerte, nach der Schußlinie offene Hütte führte, in der die Scheiben und allerlei Geräthschaften aufbewahrt wurden und auch der Schütze, wenn es regnete, unterstand.

Nachdem der Diener die geladenen Waffen und die Munition auf den langen Holztisch, der sich hier befand, niedergelegt, die Scheiben nach Huberts Anordnung aufgestellt, den bequemen Stuhl, den dieser beim Schießen benützte, an den richtigen Platz gebracht hatte, wurde er gegen die sonstige Gewohnheit von Hubert entlassen. Ich schloß daraus, daß Hubert nicht Lust hatte, das Spiel zu beginnen, ehe die Zuschauer, für die es doch hauptsächlich berechnet war, eingetroffen, denn der Mann, der ihm die Waffe nach jedem Schuß neu zu laden pflegte und überdies als Zeiger diente, blieb sonst anwesend, bis wir die Uebung beendet hatten. Er entfernte sich auch jetzt nur zögernd, erstaunt, nachdem ihm sein Herr den Befehl in barscher Weise wiederholt hatte. Oder wünschte Hubert eine Auseinandersetzung mit mir, zu der er keine Zeugen brauchen konnte? Um so besser! dachte ich, denn ich ahnte etwas derartiges, als er, die geladene Waffe vor sich auf dem Tisch, ohne sie zu ergreifen, in seinem Stuhl Platz nahm und finster brütend ins Leere starrte. Ich schoß indessen die meinige nach einem beliebigen Ziel ab, ohne es, wohl infolge der inneren Erregung, in der auch ich mich befand, zu treffen.

„Weit gefehlt!“ höhnte Hubert, „Du scheinst bei den Weibern mehr Glück als mit der Kugel zu haben, mein Junge! Aber nimm Dich in acht! Wenn Du’s nicht besser lernst, wird Dich der erste Ehemann, dem Du in die Quere kommst, lustig übern Haufen schießen.“

Es war ein böser, feindseliger Ton, in dem er dieses sagte. Ich nahm mich mit Gewalt zusammen und erwiderte kalt, aber ruhig: „Bei den Frauen anderer habe ich nie mein Glück versucht.“

„Aber bei ihren Bräuten!“ lachte Hubert giftig. „Sei vorsichtig, auch das könnte Dir schlecht bekommen!“

„Was willst Du damit sagen?“ frug ich ihn, meiner Erregung nicht länger Herr, in der Voraussicht, daß der entscheidende Augenblick, den ich so oft herbeigesehnt, so lange ängstlich vermieden hatte, endlich herannahe und daß er selbst ihn herbeiführen wolle.

Verwaist.
Nach einem Gemälde von Hugo Oehmichen.
Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_857.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)