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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

sie soll so lange oben bleiben, bis sie gerufen wird; Erich würde hinauf kommen und sie begrüßen.“

Dreiviertel acht geht dann also Annemarie hinauf. „Es ist wieder niemand oben zu sehen, die Lampe brennt noch immer,“ berichtet sie abermals.

„Das ist dumm,“ brummt Busse ärgerlich. „Wenn uns der Teufel ein Bein stellt, kommt sie gerade aus der Stadt, während die Jungens draußen halten. Nun kommt man aus der Unruhe nicht heraus. Wird das mit der Ueberraschung nichts, dann ist mir der ganze Abend verdorben. Hast Du denn alles soweit fertig, Lotting?“

„Du kannst Dir’s ansehen – Deine Sachen habe ich noch nicht aufgelegt.“

Und Bussens gehen beide in den Saal. Da steht beim Scheine einer Lampe der Quertisch mit dem noch dunklen, flimmernden und funkelnden Baum, rechts und links herlaufend zwei weißgedeckte, vollbelegte Längstische; in dem eingeschlossen Raum aber, hart unter dem Weihnachtsbaum, ein Korblehnstuhl, mit einer Guirlande geschmückt . . .

„Ein Hauptspaß!“ sagt Vater Busse händereibend. „Das ist ein zu netter Einfall von Dir, Lotting. Die Augen, die das alte gute Mädchen machen wird! So’n Glück und so’n Weihnachtspräsent! Weißt Du was, Lotting? Das nächste Mal lege ich ihnen eine hübsche Pachtung auf den Stuhl. Ich habe schon so was auf dem Rohr.“

„Jetzt müssen sie doch jeden Augenblick kommen,“ meint die Mutter.

„Ich werde den Nette oder seine Frau aufpassen schicken; am Thor müssen sie ja die Billa abfangen.“

Er geht hinaus. Die Mutter faltet die Hände und sieht ihr Kind vor sich, das sie glücklich machen will. Im Hausflur hört man Busse rufen, dann mit Nette sprechen . . . ein fernes Klingeln . . .

„Sie kommen, glaube ich,“ ruft Nette von der Hausthür, und Busse, der eben wieder vom Flur her in den Saal treten will, läßt die Thür halb offen stehen und macht kehrt, und die Mutter lacht über das ganze energische und kluge Gesicht und bindet die Schürze ab.

Wahrhaftig! da hält das Klingeln an vor dem Hause, und es ertönen bekannte Stimmen: Erichs „Guten Abend auch, Vatting“ . . . eine andre Stimme, die gleichfalls nicht fremd ist, denn der Vater des jungen Landow war einst Verwalter auf dem gräflichen Vorwerk, eine halbe Stunde von Tempelwiese, gewesen und die Kinder hatten herüber und hinüber miteinander gespielt; Billa und der junge Landow sind eigentlich schon wer weiß wie lange halb verlobt. Und die Mutter tritt unter die Thür.

„Guten Abend, lieber Erich“ . . . „Guten Abend, Mutting“ . . . „Nein, wir brauchen nicht so leise zu sprechen, Billa muß in der Stadt sein . . . nun, sei mir als Sohn willkommen, mein guter Adolf; das Glück macht ja niemand todt, sonst hätte ich Angst, unsre Bescherung könnte schlecht ablaufen. Das Mädchen hat sich gehabt die Zeit her, daß es einen gejammert hat . . . “

Sie waren alle im Komplott; nur Billa hatte nichts davon gemerkt, daß die Mutter endlich dem Vater die Zustimmung zu der Verlobung abgerungen hatte, daß man ihr einen Bräutigam bescheren wollte! Die Mutter führte den großen starken Menschen, der an ihrem Arm zitterte, in den Saal zu dem bekränzten Korbstuhl. „Nun setz’ Dich, sprich nichts, steh’ nicht wieder auf! Du bist ein Geschenk, ein Packet!“

Erich drückte ihn lachend in den Stuhl; „jetzt eine Stolle in den Schoß,“ sagte er. Er war noch der reine Corpsstudent, schlank und hübsch, mit Schmarre und Schnurrbärtchen, wie sich’s gehört. Landow legte den Hut in den Schoß und strich sich über das schwarze Schlichthaar und drehte an den Schnurrbartenden, und in den treuherzigen braunen Augen glänzte es feucht.

„Herrgott, Erich, dreh Dich herum! Junge, Du siehst ja alles“ – die Mutter schob ihn selber herum und auf die Wohnzimmerthür zu. „Karl, Du auch – marsch, hinaus, ich will für Dich aufbauen. Sowie Billa kommt, kann’s losgehen. Mein Theil könnt Ihr später aufbauen oder als Julklapp werfen!“

Landow zog die Handschuhe aus und warf sie in den Hut; er lächelte bewegt zu der Mutter „seiner Braut“ empor, reden durfte er nicht, sie auch nicht. Dann und wann nickten sie einander zu; einmal fuhr sie ihm streichelnd über die braune Wange. Ein derbes, verständiges, gutes Gesicht hatte er!

Im Zimmer nebenan plauderten Vater und Sohn. „Das einzig Vernünftige, was Ihr thun konntet,“ lautete die Ansicht des letzteren, wogegen Busse mit der gehörigen Zurückhaltung meinte:

„Mag’s denn sein, ein Unglück ist’s nicht, aber es kann mich eine Masse Geld kosten. Die Landwirthschaft nährt heute wohl noch kleine Bauern; große Güter kaufen ist eine Luxussache für Leute wie Lieutenant von Zabern, und bei Pächtern kommt alles auf die Pachtsumme, auf das, was einer hineinzustecken hat, auf gute Jahre und auf den Mann selber an. Als alter Landmann überlegt sich das einer, ehe er seine Tochter in solche Verhältnisse bringt. – Aber wo bleibt nur die Billa? Jetzt wird mir das doch zu toll! Es ist ja wohl schon halb neun.“

Der Referendar hatte plötzlich ein unbehagliches Gefühl, als ob in betreff Billas etwas nicht richtig sei.

„Entschuldige mich, Vater, ich will doch mal in ihr Zimmer hinaufgehen. Ist denn heute etwas Besonderes mit ihr vorgefallen?“

„Wieso? – Du glaubst doch nicht – sie war heute früh höllisch aufgeregt und hat noch einmal einen letzten Sturm auf mein Vaterherz versucht, daß ich nahe dran war, mit unserem Geheimniß herauszurücken und auf die Ueberraschung zu verzichten. Aber unserer Mutter wegen wollt’ ich das doch nicht . . . “

Vater Busse blickte ziemlich betreten drein, Erich auch. Der Referendar verließ ohne ein Wort weiter das Zimmer und eilte treppauf. Dem ersten Blick verrieth nichts in Billas Stube auch nur die leiseste Andeutung, was geschehen war. Ruhig brannte die kleine weiße Porzellanlampe auf dem Tisch. Aber Erich ging näher – da sah er den geschlossenen Brief, und er bekam plötzlich Herzklopfen.

„An meine Eltern.“

„Allmächtiger Gott, das unselige Geschöpf – nur nicht das Schlimmste – nicht das Letzte!“

Er riß den Umschlag auf.

„Liebe Eltern! Vergebt mir, wenn ich thue, was mich mein Herz thun heißt. Ich bin auf der Reise, wenn Ihr diese Zeilen lest, und ich werde ohne Adolf nicht zurückkehren. Nie! Ich habe nur ein Ziel, welches ich jetzt verfolgen werde, nämlich die Seine zu werden. Ich bin so elend, daß ich es in diesem Zustande innerlich nicht länger aushalte. Nie habe ich stärker gefühlt als in diesen Tagen, wie ich für alle Freude abgestorben und krank bin. Vergebt: ich konnte das Weihnachtsfest, das Fest der Freude und der Liebe, nicht mit Euch feiern, es war mir unmöglich; ich kann nicht heucheln, nicht das Fest der Liebe entweihen – Liebe –? Ihr habt wohl kaum noch welche zu mir, sonst hättet Ihr nicht so rauh und hart meinen Jammer zurückgestoßen. Adolf wird für mich sorgen – bei ihm wohnt die Liebe, nach der mein ganzes Herz verlangt. Ich kann keinen andern Gedanken denken als – ihn! Sucht nicht nach mir – Ihr werdet mich nun ja doch wohl verstoßen. Wenn Ihr könnt, vergebt mir! Adolf wird beweisen, daß er imstande ist, mir eine Stellung in der Welt auch ohne Eure Hilfe zu schaffen; vielleicht nehmt Ihr dann wieder auf

Eure unglückliche Tochter
Billa.“

Ein Stein fiel dem Referendar vom Herzen. Und plötzlich schlug er ein helles und herzliches Lachen auf – er fiel in einen Stuhl und lachte weiter. „Dieses Teufelsmädchen, diese Billa . . . Ja, alle Wetter, aber was wird denn nun? Was werden die Alten unten sagen? Das dürfen sie auf keinen Fall erfahren!“

Er faltete den Brief zusammen und schob ihn in die Tasche.

„Sicherlich ist sie mit der Bahn gefahren – mit meinem Zuge nicht, sonst hätte ich sie auf dem Bahnhof gesehen, also entgegengesetzt; das kann nur mit dem Sechsuhrzug geschehen sein. Und wer soll sie anders nach dem Bahnhof geschafft haben als der Pötter? Man muß bei ihm nachfragen, er wird ja mit der Sprache herausrücken – schwerlich hat sie ihn ins Geheimniß gezogen.“

Er nickte und ging lachenden Mundes zum Vater hinab ins Zimmer.

„Weißt Du, was ich glaube? Sie ist mir entgegen gefahren.“

„Na nu? Davon hätte sie doch wohl etwas gesagt!“

„Oho – nachdem sie sich mit Dir erzürnt hatte? Da kennst Du doch Billa! Gieb acht, ich habe recht, jedenfalls gehe ich mal jetzt zum alten Pötter, mit einem andern kann sie ja nicht gefahren sein – da werde ich hören, ob ich recht habe.“

„Aber, Junge –“

„Bitte, laß mich, Vater!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 884. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_884.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)