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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Wenn dies Ihr letztes Wort ist, so ist mein Auftrag allerdings zu Ende und wir müssen uns die weiteren Schritte vorbehalten. Ich bedaure, Sie belästigt zu haben, Herr Major.“

Er empfahl sich mit derselben kühlen Artigkeit wie beim Eintritt. Als sich die Thür hinter ihm schloß, sprang Falkenried auf und begann stürmisch im Zimmer auf und nieder zu schreiten; einige Minuten lang herrschte ein drückendes Schweigen, dann sagte Wallmoden halblaut: „Das hättest Du nicht thun sollen! Zalika wird sich schwerlich Deinem Nein fügen, sie führte ja schon damals einen Kampf auf Leben und Tod um ihr Kind!“

„Aber ich blieb Sieger – sie hat das hoffentlich nicht vergessen.“

„Damals handelte es sich um den Besitz des Knaben,“ warf der Botschaftssekretär ein, „jetzt verlangt die Mutter nur, ihn wiederzusehen, und Du wirst ihr das nicht verweigern können, wenn sie es mit Entschiedenheit fordert.“

Der Major blieb plötzlich stehen, aber aus seiner Stimme klang unverschleierte Verachtung, als er entgegnete:

„Das wagt sie nicht nach dem, was geschehen ist; Zalika hat mich kennen gelernt in unserer Trennungsstunde, sie wird sich hüten, mich ein zweites Mal zum Aeußersten zu treiben.“

„Aber sie wird vielleicht versuchen, heimlich zu erreichen, was Du ihr offen weigerst.“

„Das ist unmöglich, die Disciplin unserer Anstalt ist zu streng, es kann hier keine Verbindung angeknüpft werden, von der ich nicht auf der Stelle erfahre.“

Wallmoden schien diese Zuversicht nicht zu theilen, er schüttelte zweifelnd den Kopf.

„Offen gestanden, ich halte es für einen Mißgriff, daß Du Deinem Sohn mit solcher Hartnäckigkeit verschweigst, daß seine Mutter noch am Leben ist. Wenn er es nun von anderer Seite erfährt, was dann? Und einmal mußt Du es ihm ja doch sagen!“

„Vielleicht in zwei Jahren, wenn er selbständig in das Leben tritt. Jetzt ist er noch ein Schüler, ein halber Knabe, jetzt kann ich ihm das Drama, das einst in seinem Elternhause spielte, noch nicht entschleiern – ich kann nicht!“

„So sei wenigstens auf Deiner Hut, Du kennst ja Deine ehemalige Gattin und weißt, was von ihr zu erwarten ist. Ich fürchte, für diese Frau giebt es keine Unmöglichkeiten.“

„Ja, ich kenne sie,“ sagte Falkenried mit grenzenloser Bitterkeit, „und eben deshalb will ich meinen Sohn vor ihr schützen, um jeden Preis. Er soll nicht den Gifthauch ihrer Nähe athmen, selbst auf Stunden nicht. Sei ohne Sorge, ich unterschätze die Gefahr von Zalikas Rückkehr nicht, aber so lange Hartmut an meiner Seite bleibt, ist er sicher vor ihr, denn mir naht sie nicht wieder, darauf gebe ich Dir mein Wort.“

„Wir wollen es hoffen,“ entgegnete Wallmoden, indem er aufstand und ihm zum Abschiede die Hand reichte. „Aber vergiß nicht, daß die schlimmste Gefahr in Deinem Hartmut selbst liegt, er ist in jedem Zuge der Sohn seiner Mutter! – Du kommst ja übermorgen mit ihm nach Burgsdorf, wie ich höre?“

„Ja, er bringt die kurzen Herbstferien stets bei Willibald zu. Ich selbst werde wohl nur einen Tag bleiben können, aber ich komme jedenfalls mit. Auf Wiedersehen also!“

Der Botschaftssekretär ging und Falkenried trat wieder an das Fenster, aber er blickte nur flüchtig dem Freunde nach, der noch einmal heraufgrüßte, dann verlor sein Blick sich wieder mit der alten Düsterheit in den grauen Nebelwolken.

„Der Sohn seiner Mutter.“ Das Wort klang ihm noch in den Ohren, aber das brauchte ihm freilich nicht erst ein anderer zu sagen, er wußte es längst und das war es ja, was seine Stirn so tief furchte und ihm diesen schweren Seufzer erpreßte. Er war der Mann, jeder äußeren Gefahr die Stirn zu bieten; gegen diese unselige Erbschaft des Blutes bei seinem einzigen Kinde hatte er seit Jahren mit all seiner Energie, aber vergebens, gekämpft.




„Jetzt bitte ich mir aber ernstlich aus, daß der Unfug ein Ende nimmt, denn jetzt reißt mir endlich die Geduld! Das ist ja eine heillose Wirthschaft seit drei Tagen. es ist wahrhaftig, als ob ganz Burgsdorf verhext wäre. Der Hartmut steckt voll Tollheiten vom Kopf bis zu den Füßen. Wenn er einmal los ist von dem Zügel, den sein Herr Papa allerdings straff genug hält, dann ist auch kein Auskommen mehr mit ihm, und Du gehst natürlich mit durch Dick und Dünn und machst gehorsam alles nach, was Dein Herr und Meister angiebt – Ihr seid mir ein schönes Gespann!“

Diese Strafpredigt, die in sehr lautem Tone gehalten wurde, kam aus dem Munde der Frau von Eschenhagen auf Burgsdorf, die mit ihrem Sohne und ihrem Bruder beim Frühstück saß. Das große Eßzimmer lag im Erdgeschoß des alten Herrenhauses und war ein ziemlich schmuckloser Raum, dessen Glasthüren auf eine breite steinerne Terrasse und von dort in den Garten führten. An den hellgetünchten Wänden hing eine Anzahl von Hirschgeweihen, die von der Nimrodsthätigkeit des verstorbenen Besitzers Zeugniß ablegten, aber auch die einzige Zierde des Gemaches waren. Ein Dutzend hochlehnige Stühle, die steif und reihenweise geordnet wie Grenadiere dastanden, ein schwerer Eßtisch und zwei alterthümliche Schränke bildeten die ganze Einrichtung, der man es ansah, daß sie schon mehreren Generationen gedient hatte. Luxusgegenstände wie Tapeten, Teppiche und Gemälde gab es hier nicht, man begnügte sich augenscheinlich mit dem Ererbten, Althergebrachten, obgleich Burgsdorf eins der reichsten Güter der Gegend war.

Das Aeußere der Gutsherrin entsprach vollkommen dieser Umgebung. Sie mochte etwa vierzig Jahr alt sein, eine große kraftvolle Gestalt, mit blühender Gesichtsfarbe und derben, festen Zügen, die niemals schön gewesen sein konnten, aber dafür um so energischer waren. Dem scharfen Blick der grauen Augen entging nicht leicht etwas, das dunkle Haar war glatt zurückgestrichen, der Anzug derb und einfach, und den Händen sah man es an, daß sie zuzugreifen verstanden. Die Anmuth fehlte allerdings gänzlich bei dieser urkräftigen Erscheinung, die in Haltung und Auftreten etwas durchaus Männliches hatte.

Der Erbe und künftige Majoratsherr von Burgsdorf, der in dieser Weise abgekanzelt wurde, saß seiner Mutter gegenüber und hörte pflichtschuldigst zu, während er eine sehr bedeutende Portion Schinken und verschiedene Eier zu sich nahm. Es war ein hübscher, frischer Junge von etwa siebzehn Jahren, dessen Aeußeres zwar keinen hervorragenden Verstand, aber eine desto größere Gutmüthigkeit verrieth. Sein sonnenverbranntes Gesicht strotzte ebenfalls von blühender Gesundheit, sonst aber zeigte es nur wenig Aehnlichkeit mit dem der Mutter. Es fehlte der energische Zug darin und auch die blauen Augen und blonden Haare stammten nicht von ihr, sie mochten wohl ein Erbtheil des Vaters sein. Mit seinen mächtigen, aber noch sehr ungelenken Gliedern sah er aus wie ein junger Hüne und bildete den vollsten Gegensatz zu der schmächtigen, aber vornehmen Erscheinung seines Onkels Wallmoden, der neben ihm saß und jetzt mit einer leichten Beimischung von Spott sagte: „Du darfst Willibald wirklich nicht mit verantwortlich machen für all den Uebermuth und die Tollheiten, er ist ja das Muster eines wohlerzogenen Sohnes.“

„Ich wollte ihm auch nicht rathen, etwas anderes zu sein, bei mir heißt es Ordre pariren!“ rief Frau von Eschenhagen und schlug dabei nachdrücklichst auf den Tisch, so daß ihr Bruder nervös zusammenzuckte.

„Das lernt man allerdings unter Deinem Regiment,“ entgegnete er. „Ich möchte Dir aber doch rathen, liebe Regine, etwas mehr für die geistige Ausbildung Deines Sohnes zu thun. Ich zweifle nicht, daß er unter Deiner Leitung zum vortrefflichen Landwirth heranwächst, aber zur Erziehung eines künftigen Gutsherrn gehört doch etwas mehr, und den Hauslehrern ist Willibald nun nachgerade entwachsen; es wäre also wohl Zeit, ihn fortzuschicken.“

„Fortzu –?“ Frau Regine legte in maßlosem Erstaunen Messer und Gabel nieder. „Fortzuschicken?“ wiederholte sie entrüstet, „aber in des Kuckucks Namen, wohin denn?“

„Nun, auf die Universität und später auf Reisen, damit er doch etwas von der Welt und den Menschen kennen lernt.“

„Und damit er mir in dieser Welt und unter diesen Menschen gründlich verdorben wird! Nein, Herbert, daraus wird nichts, das sage ich Dir von vornherein. Ich habe meinen Jungen in Ehrbarkeit und Gottesfurcht erzogen und denke nicht daran, ihn in dies Sodom und Gomorrha hinauszulassen, dem der liebe Herrgott in seiner Langmuth immer noch den hundertfach verdienten Schwefelregen erspart.“

„Du kennst dies Sodom und Gomorrha ja nur vom Hörensagen, Regine,“ warf Herbert sarkastisch ein. „Du hast seit Deiner Vermählung in Burgsdorf gelebt, Dein Sohn aber soll dereinst als Mann in das Leben treten, das mußt Du doch selbst einsehen.“

„Gar nichts sehe ich ein,“ erklärte Frau von Eschenhagen hartnäckig. „Willy soll ein tüchtiger Landwirth werden, dazu taugt er und dazu braucht er keinen Gelehrtenkram! Oder willst

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