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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

weitaus der interessanteste Anblick, den ich in Afrika entdeckt habe. Alle meine Leute rannten sofort, sie zu sehen, obgleich der Marsch lang und ermüdend gewesen war, und selbst mein Skizzenstuhl kam in Thätigkeit. Obgleich sehr schön, so war die Skizze doch nicht so, wie ich erwartet hatte, denn die breite Fläche des Sees war durch einen Bergausläufer von der Ansicht ausgeschlossen und die ungefähr 12 Fuß hohen Fälle, 400 bis 500 Fuß breit, waren durch Felsen gebrochen. Doch war es ein Anblick, der stundenlang fesseln konnte. Das Getöse des Wassers, die Tausende von wandernden Fischen, die mit aller Gewalt aus den Fällen heraussprangen, die Wasoga- und Wagandafischer, die mit ihren Booten herauskamen und sich auf den Felsen mit Ruthen und Haken postirten; die Krokodile und Hippopotamus, die schläfrig auf dem Wasser lagen; die Fähre, die oberhalb der Fälle im Gange war; Rinder, die zum Trinken an den Rand des Sees getrieben wurden: dies alles zusammen mit dem hübschen Rahmen des Landes – kleinere mit Gras gegipfelte Berge und Bäume in den Einsenkungen und Gärten an den unteren Abhängen – machte das Bild zu einem so interessanten, wie man es nur zu sehen wünschen konnte.

Der Zweck der Expedition war nun erreicht. Ich sah, daß der alte Vater Nil ohne Zweifel in dem Viktoria Nyansa entspringe, und daß, wie ich vorhergesagt hatte, jener See die große Quelle des heiligen Flusses sei.“

In Unjoro brachte Speke in Erfahrung, daß sich im Westen noch ein zweiter See befinden solle, war aber verhindert, dem Lauf des Nils zu folgen, und wandte sich direkt nach Norden. Am Weißen Nil traf er mit dem ihm entgegengesandten Baker zusammen und veranlaßte ihn, weiter nach Süden vorzudringen. Der Erfolg dieses Zuges war die Entdeckung des kleineren Sees Luta oder Muta Nsige, welcher zu Ehren des Gemahls der Königin Viktoria der Albert Nyansa genannt wurde. So wurden die Nilseen entdeckt, und wenn auch die Schneeberge des Kilimandscharo und des Kenia dem Quellgebiete des Nils ihre Hauptwasser nicht zusandten, so fand man etwas, was auch an die Mondberge der Alten erinnerte: das Land Unyamwesi in dem Seengebiet bedeutete in der Landessprache das Mondland. Die Einzelheiten waren allerdings noch nicht klar, die Größe der Seen war nicht einmal annähernd bestimmt; Livingstone hatte indessen westlich vom Tanganika einen neuen Riesenstrom, den Lualaba, entdeckt, und bis Nyangwe verfolgt. Von dort floß dieser nach Norden. War auch dieser ein Quellfluß des Nils?

Zur Lösung dieser Frage wurde der durch die Auffindung Livingstones berühmt gewordene amerikanische Journalist Henry M. Stanley ausgesandt. Auf seiner großen Reise durch den dunklen Welttheil 1874–1877 stellte derselbe bekanntlich fest, daß der Lualaba der Kongo sei. Was die Nilquellen anbelangt, so bestätigten seine Untersuchungen zunächst die Richtigkeit der Entdeckungen Spekes, die durch Stanleys Aufnahmen vervollständigt wurden. Zum ersten Male wurde von ihm der Viktoria Nyansa umsegelt und als der größte See Afrikas erkannt. Unter den dunklen Punkten, die noch nach dieser Expedition über die Quellen des Nils übrig blieben, war namentlich einer von hervorragender Bedeutung, der Albertsee, über dessen Ausdehnung keine genaueren Nachrichten vorlagen.

Um diesen zu erforschen, sicherte sich der kühne Reisende den Beistand des Königs Mtesa von Uganda. Da die Bewohner um den Muta Nsige sehr kriegerisch waren, erwirkte er sich von Mtesa ein Begleitcorps von 2000 Mann, mit dem er in Uzimba einrückte. Er kam glücklich an den See. „Er lag wie eine ungeheure Spiegelfläche, ruhig und blau, unter uns, nur an der Küste bemerkte man eine schmale, weißliche, von der aufspritzenden Brandung gezeichnete Linie. Die gegenüberliegende Küste war der hohe Bergrücken von Usongora, der nach meiner wegen Unklarheit der Atmosphäre etwas unsicheren Schätzung ungefähr 23 km entfernt lag.“ Mehr konnte Stanley von dem See aus eigener Anschauung nicht berichten, da die Eingeborenen ihm eine Kriegserklärung überbrachten und die Soldaten Mtesas, sowie die der Expedition zum Rückzug drängten. Von einer Anhöhe hatte Stanley nördlich von dem Muta Nsige einen etwa 4500 m hohen Berg erblickt, den er Gordon Bennett nannte, und außerdem eigenartige Nachrichten von dem gebirgigen Lande Gambaragara und dessen Einwohnern gesammelt. Hier sind die Wohnsitze der hellfarbigen Völker, deren Hautfarbe ursprünglich weiß war. Die Rasse ist zwar sehr heruntergekommen, die jüngste Durchforschung des Landes verspricht jedoch interessante anthropologische Aufschlüsse.

Zu derselben Zeit wurde im Norden der Albertsee von Romolo Gessi, einem der Offiziere Gordons, umfahren und viel kleiner, als man glaubte, gefunden. Stanley hatte somit in Erfahrung gebracht, daß zwischen dem Tanganika und Albertsee noch ein anderer See vorhanden sei, welcher von nun als der Muta Nsige auf den Karten verzeichnet wurde, bis ihn Stanley neuerdings „Albert–Edwardsee“ taufte.

Seit Stanleys Anwesenheit am Muta Nsige im März 1876 hat kein Europäer jene Gegend besucht und es blieb unentschieden, in welchen Strom sich der Muta Nsige entleere, in den Nil oder in den Kongo. Emin hatte zwar am Südende des Albertsees einen Zufluß, den Kakibbi, entdeckt, glaubte aber, daß dieser Fluß von den Bergen von Usongora komme. Auf seinem Zuge zu Emin Pascha entdeckte Stanley zwischen dem Albertsee und Muta Nsige einen neuen hohen, mit ewigem Schnee bedeckten Berg, den Ruwenzori, und in seinen Briefen, die er aus Innerafrika durch Vermittlung Tippu-Tips nach Europa gesandt hatte, war er nach seinem ersten Aufenthalte bei Emin der Meinung, daß eben wegen dieser hohen Berge zwischen den beiden Seen keine Verbindung bestehe und der Muta Nsige dem Kongobecken zuzuzählen sei.

Erst als Stanley mit Emin den Rückzug antreten mußte, nahm er den Weg über jenes Gebirgsland zwischen den beiden Seen und nun begannen die überraschenden Entdeckungen. Es wurde der Kakibbi oder Semliki verfolgt und als Verbindungskanal zwischen dem Muta Nsige und Albert Nyansa erkannt. Gegen fünfzig Flüsse, die von den Bergen kommen, führen ihm große Wassermassen zu, und die Berge des Ruwenzori, die schneebedeckte Gipfel haben, sollen in der Sprache der Eingeborenen wirklich „Mondberge“ heißen!

So haben wir endlich nach Jahrtausende langer Forschung die südwestlichsten Quellen des heiligen Stromes entdeckt und das bestätigt gefunden, was die alten Geographen berichteten. Was noch zu thun übrig bleibt, das ist nur die Feststellung von Einzelheiten. Das allein stempelt die jüngste Expedition Stanleys zu einer der denkwürdigsten aller geographischen Reisen. Allem Anschein nach wird aber auch die Anthropologie von ihr großen Nutzen ziehen. Das wilde Zwergvolk, von dem schon Homer gesungen und von dem uns Schweinfurth die erste sichere Kunde gebracht hat, war bis jetzt nur als ein nomadisirender Jägerstamm bekannt, der auch im südlichen Kongobecken anzutreffen war. Stanley hat in den Waldwildnissen des Aruwimi gegen 150 Dörfer dieser Zwerge berührt und deren Geschicklichkeit im Pfeilschießen bitter empfinden müssen. Die Leute Emins erkannten in ihnen die „Akkas“ Schweinfurths, die Zwerge selbst aber nannten sich „Batua“ – ebenso wie die Zwergstämme, die in den Waldwildnissen des südlichen Kongobeckens leben!

Den düstern Urwäldern von Uregga, die wir aus den Schilderungen Stanleys auf seiner ersten Kongofahrt kennen, steht jetzt der Wald vom Aruwimi zur Seite. Stanley schildert ihn in einem seiner Briefe: „Stellen Sie sich einen dichten Wald Schottlands vor, der das Unterholz eines Hochwaldes von 30 bis 45 m Höhe bildet, ein unlösbares Gewirr von Dornsträuchen, in welches niemals das Sonnenlicht dringt; Bäche, die träge in dem Schilfdickicht dahinfließen; von Zeit zu Zeit einen tieferen Strom. Stellen Sie sich vor, diese wunderbare Vegetation in den verschiedenen Epochen ihrer Entwickelung in üppigem Wachsthum oder düsterm Zerfall; die jungen frischen Lianen einen todten Riesen des Waldes umschlingend.... Das Summen allerlei geflügelter Insekten begleitet das Geschrei der Affen und der Vögel. Von Zeit zu Zeit zeigt sich eine Herde Elefanten und verschwindet sofort in den Tiefen des Waldes. Manchmal lauert ein häßlicher Zwerg in dem Dickicht und schnellt gegen uns den vergifteten Pfeil ab, oder ein athletischer Eingeborener steht da, mit erhobenem Speer, unbeweglich wie eine Bildsäule und verfolgt unsern Marsch mit stummen Blicken. . . . Strömender Regen, eine unreine, Fieber und Ruhr erzeugende Luft – und die Nacht, die ewige Nacht, die uns wie ein Mantel umhüllt. . . . Das war der Schauplatz unseres Daseins während fünf Monate!“

Auf dem ersten Marsche durch diesen Wald verlor Stanley die Hälfte seiner Mannschaft, und die Schwierigkeiten und Kämpfe, die er zu bestehen hatte, als er seinen Nachtrab mit den Munitionsvorräthen wieder nach dem Albertsee führte, sollen die größten gewesen sein, die er auf seinen Reisen erlebt hatte. Doch die Einzelheiten dieses Zuges sind ja durch die Tagespresse zur Genüge bekannt. Emins Provinz, ein Bollwerk der Kultur, ist gefallen, aber wir können uns aufrichtig freuen, daß die tapferen Männer aus dem Herzen Afrikas wohlbehalten die Küste erreicht haben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_018.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)