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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Der Rigi einst und jetzt. (Mit Abbildungen von R. Püttner, nach Skizzen von C. Käsli-Schultheiß). Der jetzt so viel gefeierte und viel besuchte Rigi war bis gegen die Mitte dieses Jahrhunderts nur den Hirten aus den umliegenden Thälern bekannt; auf ihm weideten sie im Sommer ihre Herden, bereiteten in den vielen zerstreuten Alpenhütten Käse und Butter, sammelten das Wildheu für den Winter und lebten froh und gesund in der reinen, dünnen Bergesluft, unbekümmert um die Stürme der großen Welt. Für die Aussicht in die Weite, für Sonnenauf- und Niedergang, für Naturschönheit, für alles das, was jetzt Hunderttausende aus aller Herren Ländern anzieht, hatten sie wenig oder keinen Sinn; gutes Wetter und ein voller kräftiger Graswuchs war ihnen alles, denn die ausgedehnten Alpenwiesen des Rigi gewährten etwa 3 bis 4000 Kühen Nahrung für den ganzen Sommer.

Das erste Gasthaus auf dem Rigi.

Die Ansammlung von Aelplern veranlaßt nun schon etwa um das Jahr 1700 einen begüterten Landmann, auf dem Rigi in einer Vertiefung 500 Meter unterhalb der höchsten Spitze eine Kapelle errichten zu lassen; auch ein kleines Kloster für die Kapuzinermönche wurde dazu gebaut, damit den vielen Hirten in diesen Alpen Gottesdienst gehalten werden könnte. Durch viele Spenden, Ablaß und erbauliche Geschichten wurden Kloster und Kirchlein bald bekannt unter dem noch jetzt üblichen Namen „Maria zum Schnee“. Bald erhoben sich daneben noch einfache Gasthäuser für Alpenluftbedürftige aus der Umgegend. Außer diesen und den vielen Hirten kam höchst selten ein Fremder auf diese Höhen; die Aussichtspunkte waren noch nicht bekannt und nicht gesucht, man hatte - der Leser findet über diese merkwürdige Erscheinung weiteres in Halbheft 19 des vorigen Jahrgangs - noch keine Empfindung für ihre Schönheit; erst später, im Anfang dieses Jahrhunderts, geschah es häufiger, daß Pioniere des Bergsteigens die leicht zugänglichen Gipfel besuchten. - Von den ersten Rigireisenden nennen wir J. J. Scheuchzer († 1733), J. G. Ebel († 1830) und seinen Zeitgenossen, den Maler Heinrich Keller, alle drei von Zürich; auch Saussure von Genf († 1799) war unter den ersten Besuchern. Alle diese beschrieben in ihren Schriften die wundervolle Aussicht über einen großen Theil der Schweiz und in die Gletscherwelt des Hochgebirgs, priesen die Großartigkeit des Sonnenaufgangs, die reine, stärkende Luft, die Nebelbilder und alle die Merkwürdigkeiten der Alpenwelt.

Das neue Hotel auf dem Rigi-Kulm.

Dies bewirkte nach und nach stärkeren Besuch aus der Schweiz und dem Auslande. Eine einfache kleine Hütte unterhalb des „Kulms“, der Spitze, genügte den immer zahlreicher werdenden Touristen nicht mehr, und es wurde im Jahre 1816 ein Gasthaus erbaut, welches, obschon im einfachen, landesüblichen Stile gehalten, doch nach damaligen Begriffen geräumig und bequem war; es ist dasjenige, welches die obere unserer Abbildungen zeigt. Jetzt ist dieser einfache Bau schon längst verschwunden; an seiner Stelle stehen die größten, mit allem Luxus der Neuzeit ausgestatteten Gasthöfe und Ferienwohnungen. Das neueste derselben ist aus unserer zweiten Abbildung zu sehen. Aber auch unterhalb der höchsten Spitze, auf Rigi-Staffel, Rigi-Kaltbad, auf Klösterli und Rigi-Scheideck und an zahlreichen anderen Punkten wimmelt es von Unterkunftsgelegenheiten aller Art. Zu diesen Gasthöfen und Kurorten führen sehr sorgfältig unterhaltene, gefahrlose und aussichtsreiche Wege, außerdem aber noch zwei Eisenbahnen. Die eine von ihnen, die von Vitznau aus nach Kaltbad und Kulm geht, wurde in den Jahren 1868 bis 1870 von den Ingenieuren Näff, Riggenbach und Zschokke gebaut mit Zahnradsystem und durchschnittlich etwa 20 Prozent Steigung; die andere, 1875 eröffnet, hat als Anfangspunkt Arth-Goldau und leitet mit gleicher Steigung und Anlage über Rigi-Klösterli ebenfalls nach Kulm; eine Zweigbahn führt von Kaltbad nach Rigi-Scheideck; alle diese Bahnen aber bieten prachtvolle Fernsichten von den Wagen aus.

Institutskarneval. (Mit Illustration S. 4 und 5.) Heute sieht es einmal lustig aus in dem sonst so ernsthaften Klassenzimmer! Studierlampe und Globus sind bei Seite gerückt, unbeachtet von den Vorsteherinnen prangt auf der großen Tafel eine höchst verpönte Kunstleistung der mutwilligen Jugend, aber niemand achtet darauf, denn die Zeit drängt; in einer halben Stunde soll der Ball beginnen, und wie viel ist bis dorthin noch zu thun. Das Festspiel wird herrlich werden, der junge Litteraturlehrer, das Ideal der gesammten Oberkasse, hat es gedichtet, mit einer gewissen Rücksichtnahme auf die vorhandenen Kostüme freilich, aber gerade deshalb um so genialer erdacht: eine Huldigung der Künste vor der höchsten von allen, der Poesie. Figuren aus klassischen und modernen Dichtungen leiten die Handlung ein; zum Schluß kommen palmentragende Genien mit weißen Gewändern und Lockenhaaren. Soeben ist man mit deren Anputz fertig geworden und sie treten den Abmarsch auf die Bühne an, begleitet von der ersten Gouvernante, die das Soufflirbuch trägt und sich gerade noch einmal von der Leistungsfähigkeit ihres Trüppleins überzeugt hat. Steht es bei den „Großen“ ebenso sicher?! Man weiß es nicht gewiß, und deshalb „überhört“ eine barmherzige Seele aus dem Volk geschwind noch die Helden und Heldinnen. Gerade stockt Dorothea in ihrer Rede, sie fühlt den Augenblick kommen, wo die Erinnerung plötzlich versinkt und nur das schreckliche Bewußtsein bleibt, daß man jetzt etwas sagen sollte, das mit aller Anstrengung nicht beizuschaffen ist! Theilnahms- und ahnungsvoll blickt der neben ihr stehende Hermann auf das rettende Papier; Max Piccolomini aber, in einer Sturmhaube, welche er nicht in seinem Kürassierregiment gefunden, sieht gespannt hinüber nach dem Wandschirm, hinter dem gerade die erste Vorsteherin sich bemüht, Theklas allzu rothe Backen durch einen Puderüberzug mit schwermütiger Blässe anzukränkeln.

Im Mittelgrunde kniet Corinna und heftet mit eiligen Fingern dem Trompeter von Säckingen die bunte Schleife an das Beinkleid. Lachend schaut die übermütige Blondine zu ihr nieder - sie kann sich noch nicht recht in das knappe Collet finden, und es steht zu vermuten, daß ihr auch Perücke, Federhut und Schnurrbärtchen keinen allzu drohenden Charakter verleihen werden. Die vom Stadtmusikus entliehene Trompete steckt noch in der neben Thekla stehenden Schachtel, sie kommt zuletzt, wenn das Stoßrappier umgehangen ist. Die zweite der gefährlichen, noch am Boden liegenden Waffen hat sich flehentlich das lustige Backfischlein ausgebeten, die muthmaßliche Künstlerin des idealen Lieutenantskopfes an der Tafel, die aus dem Hintergrund halbangezogen herauslacht und sich „furchtbar“ über die lang ersehnten Bubenhosen freut. Aber weit über solche Kindereien erhaben, in süßer eben erblühter Mädchenschöne stehen die beiden Siebzehnjährigen im Vordergrunde: Leonore von Sanvitale und Jung Werners Lieb, Margaretha. Die erstere betrachtet lächelnd von der Seite den angehenden Trompeter, die letztere heftet den träumerischen Blick auf die harmlosen Toilettenkünste der alten Lehrerin, aber ihre Gedanken fliegen dabei weit über das Institut hinaus, ins nächste Jahr, wo sie erwachsen in die Welt geführt wird . . . auf wirkliche Bälle . . . andern Erfolgen entgegen, als sie auf einem Institutsball blühen! . . .

Der Fürstenkrieg von 1462. (Zu dem Bilde S. 28 und 29.) Es ist eine der elendesten und trostlosesten Zeiten im Deutschen Reiche, von welcher der Künstler den Vorhang hebt, eine Zeit bitterer Rechtlosigkeit und Gewaltthat, die schwer auf den unglücklichen Bürgern und Bauern lastete. Fürstliche Willkür, schon ehemals durch den kraftvollen Hohenstaufenarm nur schwer niedergehalten, war unter der sinkenden Kaisermacht ihrer Nachfolger hoch emporgeschossen; die Herzöge von Bayern und Sachsen, die Grafen von Württemberg, die Kurfürsten von der Pfalz und von Brandenburg fühlten sich als die Herren im Reich, dessen machtloses Oberhaupt, der unselige Friedrich III., fern im Osten um die Erhaltung seiner Erblande gegen Rebellen und äußere Feinde ringen mußte, wenn er nicht gar als Flüchtling umherzog und die Gastfreundschaft der Reichsstädte anrief.

So fochten denn, unbekümmert um seine schwache Einrede, die kampfbegierigen Herren im Reich ihre Händel mit einander aus; Franken, Bayern und die Pfalz klirrten jahrelang von dem Getöse der Waffen, welche der Brandenburger Albrecht Achilles und Graf Ulrich von Württemberg gegen Ludwig von Bayern-Landshut und seinen Vetter, den Pfalzgrafen Friedrich, ins Feld führten. Der Bayernherzog hatte rechtswidrig die Reichsstadt Donauwörth überfallen und an sich gerissen, die beiden andern, welche in eigenen Landen schon oft genug das Gleiche gethan hatten, aber eifersüchtig auf die wachsende Macht des Bayern waren, ließen sich vom Kaiser die Achtsvollstreckung gegen ihn übertragen und kühlten als dessen Kommissare die eigene Rachsucht an dem Verhaßten und seinem Verbündeten, dem Pfalzgrafen bei Rhein. Es war ein wüster Raub- und Plünderungskrieg; Graf Ulrich, der früher die schwäbischen Reichsstädte mit blutiger Härte heimgesucht hatte, fiel jetzt mit seinen Mordbanden in die gesegneten pfälzer Lande ein, Korn und Wein unter den Rosseshufen zerstampfend, Gehöfte und Dörfer einäschernd, daß der Feuerschein weithin leuchtete. Und die ritterlichen Herren begnügten sich nicht mit der Verwüstung, die ihr Durchritt in den Getreidefeldern verursachte, sondern sie befestigten noch lange Baumäste an ihren Pferden, um dadurch alles gründlich zu brechen und zu zerstören.

Diese Scenen der Verwüstung sind es, welche der Künstler in trefflicher Weise schildert. Der Anführer der reisigen Schar, über dessen Haupt das württembergische Banner flattert, hat seine Lanze dem Troßbuben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_032.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)