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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Schweig’! kein Wort mehr!“ herrschte ihn Falkenried so drohend an, daß der Jüngling trotz seiner furchtbaren Aufregung verstummte. „Du hast überhaupt keine Wahl mehr, und wehe Dir, wenn Du Deine Pflichten, vergessen solltest! Erst hast Du Offizier zu werden und Deine Schuldigkeit als solcher voll und ganz zu thun, wie jeder Deiner Kameraden; dann, wenn Du mündig geworden bist und ich keine Macht mehr habe, Dich zu hindern, magst Du Deinen Abschied nehmen, wenn es mir auch den Todesstoß geben wird, zu erleben, daß mein einziger Sohn den Waffendienst – flieht!“

„Vater, hältst Du mich für einen Feigling?“ brauste Hartmut auf. „Wenn ich im Kriege, im Kampfe stehen könnte –“

„So würdest Du tollkühn und blind jeder Gefahr entgegenstürmen, auf eigene Hand, und mit diesem Eigenwillen, der keine Disziplin kennt, Dich und die Deinigen vernichten. Ich kenne ihn, diesen wilden, maßlosen Freiheits- und Lebensdrang, dem keine Schranke und keine Pflicht heilig ist, ich weiß, von wem Du ihn geerbt hast und wohin er schließlich führt. Darum halte ich Dich fest an der ‚Kette‘, gleichviel, ob Du sie hassest oder nicht. Du sollst gehorchen und Dich beugen lernen, so lange es noch Zeit ist, und Du wirst es lernen, darauf gebe ich Dir mein Wort!“

Seine Stimme klang wieder in der alten, unbeugsamen Härte, jede Weichheit, jede Zärtlichkeit war ausgelöscht in den eisernen Zügen, und Hartmut kannte den Vater zu gut, um jetzt noch die Bitte oder den Trotz zu versuchen. Er erwiderte keine Silbe, aber in seinem Auge glühte wieder jener dämonische Funke, der ihm alle Schönheit nahm, und um die Lippen, die sich fest aufeinanderpreßten, legte sich ein fremder, böser Ausdruck, als er sich stumm zum Gehen wandte.

Der Major folgte ihm mit den Augen – da erhob sich wieder die warnende Stimme in seinem Innern, es kam wie die Ahnung eines Unheils über ihn, und er rief den Sohn zurück.

„Hartmut, Du wirst doch in zwei Stunden wieder hier sein? Du giebst mir Dein Wort darauf?“

„Ja, Vater!“ Die Antwort klang grollend, aber fest.

„Gut, so will ich Dich einmal als Mann behandeln. Mit diesem Worte, das Du mir verpfändest, lasse ich Dich ruhig gehen, sei pünktlich!“ –

Der junge Mann war erst einige Minuten fort, da trat Wallmoden ein.

„Du bist allein?“ fragte er etwas befremdet. „Ich wollte Dich nicht stören, aber ich sah eben Hartmut durch den Garten eilen. Wohin geht er denn so spät noch?“

„Zu seiner Mutter, um Abschied von ihr zu nehmen.“

Der Botschaftssekretär stutzte bei dieser unerwarteten Auskunft.

„Mit Deiner Bewilligung?“ fragte er rasch.

„Gewiß, ich habe es ihm erlaubt.“

„Wie unvorsichtig! Ich dächte, Du hättest doch nun gesehen, wie Zalika ihren Willen durchzusetzen versteht, und jetzt überläßt Du ihr Deinen Sohn von neuem auf Gnade und Ungnade!“

„Auf eine halbe Stunde und nur zu einem Lebewohl, das ich nicht verweigern konnte. Was fürchtest Du denn? Doch nicht etwa einen Gewaltstreich? Hartmut ist kein Kind mehr, das man in den Wagen trägt und trotz seines Sträubens entführt.“

„Wenn er sich nun aber nicht sträubt bei einer etwaigen Entführung?“

„Ich habe sein Wort, daß er in zwei Stunden zurückkehren wird,“ sagte der Major mit Nachdruck.

Wallmoden zuckte die Achseln.

„Das Wort eines siebzehnjährigen Knaben!“

„Der aber zum Soldaten erzogen ist und die Bedeutung des Ehrenwortes kennt. Das macht mir keine Sorge, meine Befürchtungen gehen nach einer anderen Richtung.“

„Regine sagte mir, Ihr hättet Euch gefunden,“ bemerkte Wallmoden mit einem Blick auf die noch immer schwer umdüsterte Stirn des Freundes.

„Auf Minuten, dann mußte ich wieder der harte, strenge Vater sein, und gerade diese Stunde hat mir gezeigt, wie schwer die Aufgabe ist, diese unbändige Natur zu beugen und zu erziehen – gleichviel, ich werde sie bewältigen.“

Der Botschaftssekretär trat an das Fenster und blickte in den Garten hinaus.

„Es dämmert schon und der Burgsdorfer Weiher ist über eine halbe Stunde entfernt,“ sagte er halblaut. „Du hättest diese letzte Zusammenkunft, wenn sie nun einmal stattfinden sollte, nur in Deiner Gegenwart gestatten sollen.“

„Und Zalika wiedersehen? Unmöglich, das konnte und wollte ich nicht.“

„Wenn dies Lebewohl nun aber anders endigt, als Du annimmst – wenn Hartmut nicht zurückkehrt?“

„So wäre er ein Elender, ein Wortbrüchiger!“ fuhr Falkenried auf, „ein Deserteur, denn er trägt schon die Waffe an der Seite! Beleidige mich nicht mit solchen Gedanken, Herbert, es ist mein Sohn, von dem Du redest.“

„Es ist auch Zalikas Sohn! Doch laß uns jetzt nicht darüber streiten, man erwartet Dich drüben im Eßzimmer; Du willst heute schon wieder fort?“

„Ja, in zwei Stunden,“ sagte der Major fest und ruhig. „Bis dahin ist Hartmut zurück – ich bürge Dir dafür.“

*      *      *

Ueber Wald und Feldern lagen schon die grauen Schatten der Dämmerung, die mit jeder Minute dichter und dunkler wurden. Der kurze nebelerfüllte Herbsttag ging zu Ende und bei dem schwer umwölkten Himmel brach die Nacht noch früher als sonst herein.

Am Rande des Burgsdorfer Weihers ging eine Frauengestalt unruhig und ungeduldig auf und nieder. Sie hatte den dunklen Mantel dicht um die Schulter gezogen, aber sie achtete nicht auf das Frösteln, mit dem die kalte Abendluft sie durchschauerte, ihr ganzes Wesen war fieberhafte Erwartung und gespanntes Lauschen auf einen Schritt, der sich noch immer nicht hören ließ.

Seit dem Tage, an dem Willibald die beiden überrascht und man ihn nothgedrungen in das Vertrauen gezogen, hatte Zalika die Zusammenkünfte mit ihrem Sohn auf die späten Nachmittagsstunden verlegt, wo es ganz einsam und öde im Walde war. Sie pflegten sich aber stets vor einbrechender Dämmerung zu trennen, damit Hartmuts späte Rückkehr in Burgsdorf keinen Argwohn erwecken sollte. Er war stets pünklich gewesen, heut harrte die Mutter schon seit einer Stunde vergebens. Hielt ihn ein Zufall zurück, oder war das Geheimniß verrathen? Seit ein Dritter darum wußte, mußte man ja stets auf diese Möglichkeit gefaßt sein.

Es war todtenstill ringsum im Walde, nur das trockene Laub raschelte unter dem Saume des Gewandes der ruhelos Auf- und Abschreitenden. Unter den Baumwipfeln lagerten schon nächtliche Schatten, über dem Weiher, wo es noch freier und lichter war, schwebte eine Nebelwolke, und dort drüben, wo das kleine Gewässer von einer Wiese begrenzt wurde, die trügerischen Moorgrund barg, quoll es noch dichter empor, weißgraue Dunstschleier, die dem Boden entstiegen und sich gährend und wallend ausbreiteten. Es wehte feucht und kalt von dort herüber wie Grabesluft.

Da endlich, ein leichter Schritt, anfangs noch in weiter Ferne – aber er kam in fliegender Eile näher und nahm seine Richtung nach dem Weiher. Jetzt erschien eine schlanke Gestalt, kaum noch erkennbar in der wachsenden Dunkelheit, Zalika flog ihr entgegen und in der nachsten Minute lag ihr Sohn in ihren Armen.

„Was ist geschehen?“ fragte sie unter den gewohnten stürmischen Liebkosungen. „Weshalb kommst Du so spät? Ich verzweifelte schon daran, Dich heut noch zu sehen. Was hat Dich zurückgehalten?“

„Ich konnte nicht früher hier sein,“ stieß Hartmut, noch athemlos von dem raschen Laufe, hervor. „Ich komme von meinem Vater!“

Zalika zuckte zusammen.

„Von Deinem Vater? Er weiß also –?“

„Alles!“

„So ist er in Burgsdorf? Seit wann? Wer gab ihm Nachricht?“

Der junge Mann berichtete in fliegenden Worten, was geschehen war, aber er hatte noch nicht geendigt, als ein bitteres Auflachen seiner Mutter ihn unterbrach.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_043.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)