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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

derb, wie die baltische Gothik zu bauen liebt. Da das Schloß damals nach keine eigene Kirche besaß, kamen Hochmeister und Herzog hier herab zum Gottesdienst. Hier finden wir ihre Grabmäler. Dennoch aber haben die Hochmeister die die Macht gefürchtet, die diese Bischofskirche mitten in der bürgerlichen Gemeinde ausübte, denn innerlich standen die Ordensleute und der von seinem Klerus umgebene Bischof einander feindlich gegenüber.

Da kam die Reformation, es kam die Verwandelung des Ordensstaates in ein weltliches Herzogthum, es kam die Regierungszeit des Herzogs Albrecht. Da wandelte inneres und äußere Leben sich mächtig in Königsberg. Die Lehre Luthers fand schnell Eingang in der deutschen Nordostmark. Neben dem alten gothischen Dome gründete Herzog Albrecht die Universität 1544 als eine „streng lutherische“, ein Schwiegersohn Melanchthons wurde ihr erster Rektor und unmittelbare Nachkommen Luthers sind hier in der Seelsorge thätig gewesen. Noch heute erinnert ein von dem Königsberger Studenten getragenes Abzeichen, welches aus der Initiale dieser Schilderung uns entgegenschaut, an den ehrwürdigen Stifter der „Albertus-Universität“. Seit jener Zeit ist Königsberg eine Stätte regsten geistigen Lebens geworden und geblieben: der Liederdichter Simon Dach predigte auf der Kanzel des Domes, die Lehrstühle der Hochschule haben Kant, Herder, Hippel geziert.

Die offene Stadt, von dem festen Schlosse beherrscht, wurde nun zu enge. Unten im Kneiphof entwickelte sich lebhafter Handel, da fand das Gemeindeleben mit Rathhaus und Junkerhof seine Stätte, die Insel wurde der vornehmste Bezirk des sich entwickelnden Königsbergs.

Wer heute diese Stadt besucht, der wird, besonders wenn er von dem nahen Danzig kommt, sich mit Recht darüber wundern, daß die bedeutende Vergangenheit, die verschiedenen Blütheperioden nirgends in würdevollen Bauwerken architektonisch Ausdruck gefunden haben. In Danzig erkennt man heute noch das gothische und das Zeitalter der Spätrenaissance; die Bauten beider Perioden verleihen der mächtigen Hansestadt ihren hohen malerischen Reiz, machen sie zu einer der schönsten Deutschlands. In Königsberg finden wir kaum eine Spur solcher alten baulichen Würde und Pracht. Das Schloß trägt in seinem ältesten Theile entschieden den Charakter einer zur Landesvertheidigung errichteten Burg, der Dom ist schwerfällig, schmuck- und fast stillos. Rathhäuser, Gildenhallen, Patricierwohnungen aus jenen früheren Entwicklungszeiten sucht man hier vergebens: an das alte dürftige, nur für das engste Bedürfniß seiner anspruchslosen Bewohner erbaute Königsberg schließt sich sofort das moderne. Und so ist Königsberg in seiner äußeren Erscheinung weder eine historische noch eine eigentlich schöne Stadt, obgleich es einzelnes enthält, um das andere Städte es beneiden könnten. Immer aber hat das geistig angeregte Leben, das Vorwärtsgehen auch auf wirthschaftlichem und gewerblichem Gebiete Königsberg eine hervorragende Stellung im altpreußischen Lande verschafft.

Die „Stoa Kantiana“ und die neuerrichtete Grabstätte Kants am Dom.


Die „Stadt der reinen Vernunft“ nennt man wohl ab und zu die alte Pregelstadt und man knüpft damit an ihres größten Sohnes berühmtestes Werk an. Immanuel Kant, der große Philosoph, der nie über die Mauern seiner Geburtsstadt hinausgekommen sein soll, hat hier seine „Kritik der reinen Vernunft“ geschrieben, hier ist er am 12. Februar 1804 gestorben. In den Arkaden, die sich längs der Nordseite des Domes hinziehen und die unter dem Namen des „Professorengewölbes“ bis zum Anfange dieses Jahrhunderts als Begräbnißplatz der Professoren der Albertus-Universität benutzt wurden, fand er, sechzehn Tage nach seinem Tode, seine Ruhestätte, wurde aber fünf Jahre nachher wieder ausgegraben und an das Ostende dieser Arkaden verbracht, wo er in einem abgegrenzten Raume neu eingesenkt wurde. Indessen auch hier sollten seine irdischen Ueberreste noch nicht endgültig zur Ruhe kommen. Die zunehmende Verwahrlosung der neuen Grabstätte veranlaßte eine Anzahl Männer, für eine würdige Herstellung derselben Sorge zu tragen, zu welchem Zwecke zunächst das Ostende der Arkaden in eine einfache Kapelle, die Stoa Kantiana, umgewandelt wurde. Dann schritt man im Juni 1880 dazu, die Gebeine des großen Todten auszuheben, wobei mit großer Vorsicht und genauester Prüfung verfahren werden mußte, denn infolge jener Umbettung im Jahre 1809 hatten sich die sicheren Anhaltspunkte über die Stelle, wo sie zu suchen waren, verwischt. Es gelang aber insbesondere mit Hilfe einer kurz nach Kants Tode abgenommenen Maske, die Identität des gefundenen Schädels mit demjenigen Kants unzweifelhaft festzustellen, worauf die Gebeine in einem neuen doppelten Metallsarge, zugleich mit einigen die Ausgrabung betreffenden Urkunden, aufs neue in einer ausgemauerten Gruft an derselben Stelle, wo sie vorher geruht hatten, beigesetzt wurden. Den denkwürdigen Vorgang dieser Ausgrabung hat Professor Heydeck, welcher den Haupttheil der Arbeit eigenhändig ausführte, in einem Gemälde verewigt, dessen getreue Holzschnittnachbildung wir unsern Lesern bieten.

Die moderne Zeit, die eigentlich nur erst nach Jahrzehnten rechnet, fand in Königsberg genügend Raum für ihre Schöpfungen, sie fand ihn hauptsächlich auf der Hochfläche, an deren steilem Rande das alte Schloß steht. Dort breiteten ehedem sich grüne Anger, Pferdeweiden, Jagdgründe aus, von Wegen durchzogen, die ins flache Land hinausführten; dort sammelten sich die Wasser der grasigen, mit alten Bäumen geschmückten Flur in langgestreckten Weihern, deren blinkende Spiegel bis in die unmittelbare Nähe des Schlosses sich dehnten. Allmählich war im Laufe der Jahrhunderte die Stadt hier hinaufgezogen, Gartengrundstücke, Milchwirthschaften, kleine ländliche Häuschen bedeckten einen Theil des Bodens, längs der Landstraßen mögen wohl von Beginn an die Wohnungen dichter bei einander gestanden haben. „Steindamm“, „Roßgarten“, wie jene Stadttheile heute noch heißen, deuten mit ihren Namen den Ursprung und den früheren Charakter dieser Ansiedelungen an. Dort ist vorzugsweise das moderne Königsberg erbaut worden und auch alle groß angelegten Bauwerte der Neuzeit, mit Ausnahme der Börse, die unten in der Handelsstadt am Strome bleiben mußte, haben den freien Boden, die reinere Luft dieser nördlichen Bezirke aufgesucht. Früh schon war dort das Theater erbaut worden, und 1844, als die Universität unten im Dome ihr dreihundertjähriges Jubiläum feierte, ward oben an dem heiteren, weiträumigen Königsgarten der Grundstein zum Baue einer neuen Hochschule gelegt, die 1862 vollendet wurde und nun, im Rundbogenstile italienischer Paläste gehalten, einen Schmuck des modernen Königsbergs bildet. Auf dem Platze vor der Universität, dem „Paradeplatze“, fand 1851 ein Reiterstandbild

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_046.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)