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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und Felder, die zwischen den zu den nördlichen Außenthoren führenden Straßen Streindamm mit seiner herrlichen, grünen Promenade, den „Hufen“, Tragheim, Roßgarten sich ausdehnten, von der Baulust erobert.

In manchem dieser Reviere wohnt man heute noch fast wie auf dem Lande. Stille Straßen, weite Gärten, völliger Mangel an Geschäftsleben, selbst an demjenigen, dessen ein moderner Haushalt nicht entrathen kann, sind dort nicht selten. Mehr und mehr füllt sich der weite Bezirk mit modernen Wohnhäusern, denen weder äußerer Schmuck noch innere Bequemlichkeit fehlt, immer mehr verschwinden die kleinen niedrigen Häuserchen, die an jenen früheren Landstraßen noch heute zu finden sind.

An Baugrund fehlt es hier oben nach immer nicht, und die Bevölkerungsziffer, welche sich heute auf über 100 000 Seelen beläuft, steigt so stetig, daß auch die Baulust rege bleibt. Königsberg ist immer dem Charakter seiner ersten Entwickelung treu geblieben. Aus verschiedenen kleinen Städtewesen lose zusammengeschweißt, hängt auch seine neueste moderne Gestaltung ihrer äußeren Erscheinung nach nur lose mit dem Früheren zusammen. Unten in den alten Städten überall Enge, überall bauliche Kargheit, dafür aber regstes Leben und Treiben; hier weite Plätze mit grünem Laubschmuck, breite Straßen, neben den Prachtbauten zu öffentlichen Zwecken stolze Privathäuser, mit allem ausgestattet, was die zeitgenössische Technik und die schmückende Kunst zu leisten vermag, dafür aber große Stille, die nur ein gewisser Luxusverkehr unterbricht. So besitzt Königsberg weit entschiedener als jede andere Stadt von ähnlicher Größe und Bedeutung eine Scheidung, wie sie London mit „City“ und „Westend“ bezeichnet: dort nur Geschäft, hier die Stätte wissenschaftlichen, künstlerischen Lebens inmitten gut ausgestatteter, gesunder, ja üppiger Wohnungen.

Am Pregel.

Noch eins kommt hinzu, um diesen Vergleich noch treffender zu machen. Der langgestreckte Weiher, der diese Hochebene in der Mitte durchschneidet und sich bis in die Nähe des Schlosses zieht, ist nun ringsum von modernen Stadttheilen umgeben. Das Erholungs- und Genußleben drängt sich an seinen Ufern zusammen. Königsberg besitzt von Natur nur sehr wenig landschaftliche Reize. Dafür bietet denn dieser Schloßteich einigermaßen Ersatz und von ihm aus ist auch unsere Hauptansicht der Stadt aufgenommen. An sein südliches Ende dringen die Häuser mit ihren Gärten, Balkonen, offenen Veranden vor, da besitzt jedes seine Gondel zu abendlichen Lustfahrten. Nordwärts aber von der Fußgängerbrücke, die diesen Weiher überspannt, hüllen die Laubmassen großer Gärten die Ufergelände in tiefen Schatten, da besitzen die Logen, die große Ressource der Kaufleute ihre Sommerlokale, in denen die oberen Schichten der Bevölkerung alle schönen Sommerabende verleben, wo Musik erschallt und feenhafte Beleuchtung vom Spiegel des stillen Wassers zurückgeworfen wird. Der Schloßteich ist der Glanzpunkt Königsbergs, hierher entsendet die alte Unterstadt, wie die moderne obere ihre Gesellschaft, hier begegnen wir Studenten, Offizieren, Beamten, Kaufleuten und Gewerbtreibenden, hier haben an jedem freien Uferfleckchen Bierhallen sich angesiedelt, hier gondelt man zu allen Tagseiten. Der Schloßteich ist reizend, gerade auch wegen der Verschiedenartigkeit seiner Uferstaffage. Auf der einen Seite überblicken wir den Kranz von Häusern, halb in Gartengrün versteckt, überragt von Thürmen und hohem Kirchengemäuer, auf der anderen die Massen alter Kastanien und Linden, die, wo der Seespiegel eine leichte Biegung macht, sich zusammenschließen. Wenn das Oberhaupt des Reiches, wenn irgend ein Kongreß, eine Wanderversammlung Königsberg besucht, der Schloßteich wird dann immer zum Schauplatz irgend einer Lustbarkeit gemacht. In den Logengärten veranstaltet man Konzert und Feuerwerk, der Börsengarten wird in ein Lichtmeer getaucht, Gesang und Instrumentalmusik ertönt aus den erleuchteten Gondeln, die das stille Wasser durchfurchen und die Schwäne aus ihrer Nachtruhe scheuchen.

Der Fremde fühlt sich bald heimisch und wohl in der alten Königsstadt. Es herrscht in ihr ein heiter geselliges, geistig ungemein angeregtes Leben, die Königsberger sind gastfrei und leicht zugänglich, man verkehrt zwanglos mit ihnen und hat etwas davon. Aufs glücklichste mischen sich hier Stände, Gesellschaftsgruppen, Berufskreise. Unter den am stärksten vertretenen Ständen ist der kaufmännische eigentlich der jüngste. Als die Hochschule schon lange berühmt in der ganzen Kulturwelt war, stand der Handel Königsbergs noch weit zurück gegen den anderer alter Hansestädte. Das hat sich in neuester Zeit vollständig geändert.

Der Theehandel des Festlandes hat sich in Königsberg einen Mittelpunkt geschaffen, die Königsberger Thee-Kompagnie ist eine der hervorragendsten kaufmännischen Unternehmungen in ganz Deutschland. Die russischen und polnischen Weizenernten gehen großentheils hierher, denn die Seeschiffe, welche dieselben nach dem Auslande verladen, können den tiefen Pregel herauf bis zu der Speicherstadt gelangen. Die Rosse nährenden Fluren Litauens senden ihre edlen Pferde hierher auf die weltberühmten Märkte, zu denen Käufer aus allen Ländern sich einstellen. Dies alles sind Schöpfungen, Eroberungen der neun Zeit. Wenn wir dafür auch mit großem Interesse, mit ehrfurchtsvollem Sinne auf das historische Königsberg, auf die Stadt König Ottokars, die Stadt des großen Herzogs Albrecht von Brandenburg, auf das Schloß blicken, in dem die Wiege des ersten Preußenkönigs gestanden, zu der Kirche, in welcher er sich die Krone aufgesetzt hat, die moderne Stadt mit ihrer äußeren Entwickelung, mit ihrem kräftig treibenden Leben übt dennoch eine nicht minder anziehende Wirkung auf uns aus.

Fritz Wernick.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_048.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)