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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und seine Fehler. Und ich auch.’ Siebenhaar hat ihm also ins Gewissen geredet. Und Du sollst seh’n, Lehnert, es wird noch alles gut, und Du kommst mit ihm auf Freundschaft und Du und Du. Und dann guckt er uns durch die Finger und wir haben gute Tage.“

„Ja, ja,“ sagte Lehnert, „durch die Finger gucken, das kenn’ ich. Is ja das alte Lied. Na, gute Nacht, Mutter! Ich bin müde.“

Und dabei nahm er eine Oellampe und das Amerika-Buch und stieg in seine Giebelkammer hinauf. Oben aber schob er einen Stuhl an sein Bett und eh’ er das Licht auslöschte, sah er noch einmal auf den Titel des Buchs. Der lautete: „Die neue Welt oder Wo liegt das Glück?“

* * *

Eine Woche verging, während der Lehnerts Stimmung beständig wechselte, was bei den Erlebnissen der letzten Zeit und mehr noch bei seinem von Natur beweglichen Gemüth nicht wohl Wunder nehmen konnte. Denn so gewiß er einen Hang nach dem Abenteuerlichen hatte, so gewiß überkam ihn auch, inmitten dieses Hanges, eine plötzliche Sehnsucht danach, die Hände in den Schoß zu legen und alles ruhig über sich ergehen zu lassen. Er war dann mit einem Male von der Vergeblichkeit alles Ankämpfens überzeugt und verlor in diesem ihn überkommenden Gefühl seiner Ohnmacht auch die Lust zum Kampf. „Ja, die Alte hat eigentlich ganz recht. Was ist all die Jahre bei meiner Auflehnung herausgekommen? Nur Aerger und böses Blut. Und so geht es dann weiter, immer Zug um Zug, bis man sich das Messer in die Brust stößt. Ach, es ist besser, ich thue, was ich versprochen hab’, und grüß ihn, anstatt ihn anzustarren und ein spöttisch Gesicht zu machen. Er ist der Stärkere, weil er im Dienst ist und die Gerichte neben und hinter sich hat. Und wer mit dem Stärkeren anbindet, so lang er noch eine Wahl hat, der ist ein Narr. Wahrhaftig, was hab’ ich davon gehabt? Nichts, als daß ich zwei Monate hinter Schloß und Riegel war und daß nun in meinen Akten steht: ,Bestraft’. Und wer kann immer gleich erzählen, wie’s kam und daß es eigentlich nichts war; bestraft ist bestraft, und wenn man gefragt wird, wie’s denn eigentlich mit einem stehe, so wird man roth und steht da, als ob man ein Galgenvogel wär’ oder einer, der den Leuten die Uhr aus der Tasche zieht.“

In dieser Richtung gingen tagelang Lehnerts Betrachtungen, und mehr, er that auch danach, und wenn er in der letzten Woche, bloß um einer Begegnung mit Opitz auszuweichen, den großen Umweg am Waldsaume hin gemacht hatte, so zwang er sich jetzt, die Begegnung geradezu zu suchen, nur um durch artigen Gruß oder auch wohl durch ein „Guten Morgen, Herr Förster“ seinen Respekt zu bezeigen. Und Opitz freute sich dieser Wandlung und gefiel sich seinerseits darin, den Gnädigen zu spielen. Er trat jetzt öfter, wenn Lehnert vorüber ging, mit einer Art wohlwollenden Behagens an den Staketenzaun heran und verstieg sich nicht bloß zu Fragen und Scherzworten, sondern einmal sogar bis zur Inanspruchnahme kleiner Gefälligkeiten. „Ihr geht ja nach Arnsdorf, Lehnert. Bitte, nehmt das mit an den Grafen, und wenn Ihr bei Pohl vorbei kommt, so bringt mir eine Kruke Himbeersaft mit herauf. Oder lieber eine Flasche, wenn er’s in Flaschen hat. Ich kann heut die Christine nicht schicken.“

An solchen Annäherungen war eine Zeit lang kein Mangel und Frau Menz berechnete sich schon, was im Herbst beim Gänseschlachten, auf das sie sich ganz vorzüglich verstand (sie sang dann immer, wenn sie die Gans zwischen die Kniee nahm und mit dem Messer zu bohren anfing, allerlei Wiegenlieder), an Federn und Fett für sie abfallen würde. „Ja, Lehnert, Du siehst es nun. Ist es nicht besser so? Haben wir nicht gute Tage? Sage selbst!“

Aber diese guten Tage sollten nicht Dauer haben. Im Gegentheil, sie gingen so rasch wie sie gekommen waren, und wie gewöhnlich war es ein bloßes Geklätsch, was den ersten Anstoß zu diesem Wiederhinschwinden gab.

Christine, die wohl wußte, welche Pläne Frau Menz mit ihr hatte, war jetzt oft drüben bei der Alten, öfter vielleicht als gut war und jedenfalls öfter als sie sollte. Zu verdenken war es ihr freilich nicht, denn wenn Opitz im Wald war, dann war die Försterei ein schweigsames, ja beinah’ ein melancholisches Haus, in dem wenig gesprochen wurde. Plaudern aber und sich aussprechen war Christinens größte Lust und dazu gab es für sie keine bessere Gelegenheit, als bei den Menzes drüben. Alles nahm ihr die Alte wie vom Munde weg, und wenn drüben bei Opitzens eine Maus gefangen worden oder ein Fliegenstock umgefallen war, so war es ein mittheilenswerthes Ereigniß, an das sich sofort allerlei Hoffnungen und Befürchtungen knüpften.

Und zu solcher Plauderstunde war man eben wieder beisammen und genoß sie doppelt, weil Christine nicht mit leeren Händen, sondern mit einem Teller voll prächtiger Glaskirschen herübergekommen war, deren Heranreifen die alte Menz schon seit anderthalb Wochen mit Aufmerksamkeit verfolgt hatte.

„Die schickt Euch die Frau Försterin,“ sagte Christine.

„Gott, Gott, die Frau Försterin! Eine seelensgute Frau, das muß wahr sein, und alle wie frisch vom Baum und keine angestoßen. Aber er auch, er is auch gut; ein bischen bullrig und kollert gleich, aber wer es bloß versteht, der hat es gut mit ihm. Und wie soll er’s denn auch anders machen? Er muß doch auch welche anzeigen. Lehnert sagt es auch. Und sie sind ja jetzt ein Herz und eine Seele.“

„Ja,“ sagte Christine. „Das sind sie. Das heißt so lang es dauert.“

„Wird schon dauern, Kind, wird schon. Warum soll es nicht dauern? Sie haben sich nun beide die Hörner abgestoßen und sehen, daß Frieden besser ist als Krieg. Lehnert grüßt ihn und gafft ihm nicht mehr ins Gesicht. ,Guten Morgen, Herr Förster,’ sagt er. Und dann stehen sie beid’ an dem Staketenzaun und haben ihren Schnack. Und neulich hat ihm Opitz einen Zettel an den Grafen mitgegeben und eine Bestellung für unten bei Pohl, und Lehnert hat ihm alles besorgt und ihm den Himbeersaft auch richtig mit ’rauf gebracht. Eine ganze Flasche voll. Es war gerade der Tag, als der neue Oberförster kam und Ihr drüben den Semmelpudding hattet. Aber was sag’ ich nur, Du mußt es ja besser wissen als ich . . .“

„Freilich weiß ich es. Aber ich weiß auch, was Opitz sagte.“

„Was war es, was er sagte?“

„,Nu,’ sagte er, als er vom Flur in die Küche kam und den Saft vor uns hinstellte, ,da habt Ihr den Saft, das süße Zeug, das der Lehnert mit ’rauf gebracht hat. Und diesmal mag es drum sein. Aber das nächste Mal, Bärbel, das nächste Mal paß besser auf! Der große Herr drüben ist auf eine Weile zahm geworden und frißt vorläufig aus der Hand. Aber wer weiß, ob es vorhält . . . ’ Ja, Frau Menz, das war es, was Opitz sagte. Und als meine gute Frau darauf antwortete und ihm zureden wollte, weil Lehnert ja jetzt grüße, da ließ er sie gar nicht zu Worte kommen und bullerte gleich los: ,Das verstehst Du nicht, Bärbel. Was heißt Gruß? Er grüßt; aber es ist auch danach. Er hat noch dieselben Mucken wie sonst; ich seh’s ihm jedesmal an, wenn er so verlegen dasteht und nicht weiß, was er sagen soll. Und ein Glück ist es, daß er wenigstens eine Weile klein beigegeben hat! Davon erholt er sich nicht wieder. Wer ’mal zu Kreuze gekrochen ist, der bringt die Courage nicht mehr fertig. Das ist nu ’mal so.’“

So ging das von Frau Menz und Christine geführte Gespräch, das noch eine Weile weiter gesponnen wurde, weil sie sich allein glaubten. Aber sie waren nicht allein. Dicht hinter ihnen stand Lehnert in der offenen Thür und hatte jedes Wort mit an gehört. Er zog sich, eh’ sie seiner gewahr wurden, still wieder zurück und ging auf seinen Arbeitsschuppen und in diesem auf die Stelle zu, wo die Späne hoch aufgeschichtet lagen. Da warf er sich hin und schlug sich vor die Stirn und schwur und zitterte. Denn er war seiner Sinne kaum noch mächtig. Zuletzt verfiel er in ein krampfhaftes Weinen, aber auch die Thränen gaben ihm keine Erleichterung. Er hatte sich klein und verächtlich gemacht und alles umsonst! Alles lag wieder wie vordem, und vor seiner Seele stand es, wie’s kommen würde.


7.

Am anderen Tage hatte sich Lehnert von dem, was er gehört, insoweit erholt, daß er die Kraft aufbrachte, sich’s ruhiger zurecht zu legen. „Er traut mir nicht. Soll ich ihm böse darüber sein? Trau ich ihm? Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Es ist gut, daß ich nun weiß, wie’s mit ihm steht und

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