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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Um Opitz’ Züge, der nur zu gut wußte, daß er jetzt seinen alten Gegner in Händen habe, flog ein spöttisches Lächeln, und es trieb ihn mächtig, diesem seinem Gefühle von Ueberlegenheit auch sofort einen Ausdruck zu geben. Er bezwang sich aber und sagte: „Lehnert, Ihr nehmt den Streit wieder auf und thätet doch klüger und besser, es nicht zu thun. Ich warn’ Euch. Ich mein’ es gut mit Euch.“

„Ich habe den Hasen nicht.“

„Ihr habt von dem Brückensteg aus gezielt und geschossen.“

„Ich habe von dem Brückensteg aus geschossen, aber nicht gezielt. Der Hase saß in unserm Feld; er ist jetzt öfters bei uns zu Gast, und nachts wird er wohl mit Familie kommen. Ich brauche keinen Hasen in meinem Felde zu leiden und ich hab ihn verjagen wollen.“

„Ein Has’ ist ein Has’ und Ihr braucht bloß in die Hand zu klatschen . . .“

„Aber ein Schuß hilft mehr.“

„Namentlich, wenn er getroffen hat.“

Lehnert schwieg und sah an Opitz vorbei, der seinerseits eine kleine Weile vergehen ließ, fast als ob er Lehnert eine Frist zur Ueberlegung gönnen wolle. Als aber jedes Entgegenkommen ausblieb, nahm er zuletzt das Wort wieder und sagte: „Lehnert, Ihr bringt Euch in Ungelegenheiten. Ihr habt einen Haß gegen mich und das verdirbt Euch Euren guten Verstand. Ihr streitet mir den Hasen ab, Ihr, der Ihr immer von Eurer Wahrheitsliebe sprecht, und es wäre mir doch ein leichtes, den Hasen in Eurem Hause zu finden. Und wenn ich ihn nicht fände, so doch Diana . . . Kusch dich! . . . Ihr habt den Hasen verjagen wollen. Nun, meinetwegen; das ist Euer gutes Recht. Und wenn Ihr’s Euch einen Schuß Pulver kosten lassen wollt, nun, so mag auch das hingehen, obwohl es auffällig ist und eigentlich nicht in der Ordnung. Es ist nicht Brauch hier zu Land, einen Hasen durch einen Flintenschuß zu verjagen. Und der letztberechtigte dazu seid Ihr, der Ihr schon manches auf dem Kerbholz habt. Ich sah von meiner Giebelstube her, daß Ihr im Anschlag lagt, und ich sah auch, wie der Hase zusammenbrach. Und zum Ueberfluß hab’ ich mir die Stelle drüben, eh’ ich in Euer Haus kam, mit allem Vorbedacht angesehen und habe den Schweiß an dem hohen Farnkraut gefunden, das drüben steht.“

Die Bedrängniß, in der sich Lehnert befand, wuchs immer mehr, und ein begreifliches Verlangen überkam ihn, aus dieser seiner Lage heraus zu sein. Er war aber schon zu tief drin, und was die Hauptsache war, er konnte sich nicht entschließen, zuzugeben, daß er eine Lüge gesprochen habe. So pfiff er denn leise vor sich hin, als ob er andeuten wolle, daß der Worte genug gewechselt seien.

Opitz seinerseits aber war nicht willens, seinen Triumph abzukürzen, und fuhr, während er eine gewisse Gütigkeitsrolle weiterspielte, ruhigen Tones fort. „Ich sehe, Lehnert, daß Ihr ungeduldig werdet, und will Eure kostbare Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Und so hört denn meinen letzten Vorschlag! Ich will den Hasen nicht, und meine Frau, die’s, wie Ihr wißt, gut mit Euch meint, mag Euch auch noch den Speck dazu schicken. Und ich, Lehnert, ich will’s bei dem Grafen verantworten, und wenn er sich wundern sollte, so will ich, aus Rücksicht für Euch, von einem Schreckschuß sprechen, der zufällig getroffen habe. Der Graf ist ein gnädiger und nachsichtiger Herr, und wenn er das mit dem ,Schreckschuß’ auch nicht glauben wird, so wird er doch so thun, als glaub’ er’s. Aber das verlang’ ich von Euch, daß Ihr Euch vor mir zu dem bekennt, was Ihr getan habt, und daß Ihr Euch entschuldigt. Hab’ ich Euch doch mein Bedauern über den Hahn ausgesprochen und war nicht dazu verbunden. Aber Ihr, Ihr seid’s. Und nun heraus mit der Sprache! Beichten ist immer das beste, da wird die Seele wieder frei, nicht wahr? Und man kann jedem wieder ins Auge seh’n.“

„Kann ich!“ sagte Lehnert, und sein Auge suchte das des Försters, um sich mit ihm zu messen. Aber das Gefühl seines Unrechts war doch stärker als sein Trotz und er senke den Blick wieder.

Opitz lächelte.

„Guten Abend, Frau Menz. Ich werde meine Frau von Euch grüßen. Und auch Christine. Und nun Gott befohlen!“

Und ohne weiter ein Wort an Lehnert zu richten, verließ er das Haus und ging auf den Steg zu. Diana folgte.


8.

Die Alte war ihm bis in den Vorgarten gefolgt und rechnete darauf, daß er sich noch einmal umsehen würde, für welchen Fall sie unterthänigst zu knixen vorhatte; als sie aber schließlich gewahr wurde, daß auf einen gnädigen Abschiedsblick nicht mehr zu rechnen sei, gab sie’s auf und ging in die Stube zurück. Hier stand Lehnert noch am alten Fleck und sah vor sich hin.

„Ach, Lehnert, wenn Du’s doch nicht gethan hättest . . . Und Speck will er uns auch noch schicken. Sieh, so ist er immer und meint es gut. Aber wenn ich ihn auch mit Schmand[1] brate, schmecken thut er mir doch nicht. Wie kann er mir auch schmecken? Wenn man Angst hat, schmeckt einem nichts, gar nichts, und will nicht ’runter, und ich fühle schon, wie’s mir hier sitzt.“

„Ach, Mutter, was soll das? Aber so bist Du. Du willst alles haben, und wenn dann nachher ’was passirt, was nach Gerichtsvorladung aussieht, oder wenn Du gar zu glauben anfängst, nun ist es mit dem Schinkenknochen und dem Liesenschmalz drüben vorbei, dann heißt es wieder: ja warum auch? warum hast Du geschossen?“

„Ich habe nichts gesagt, ich habe Dir nicht zugeredet.“

Lehnert stampfte heftig auf, fiel aber rasch wieder ins Lachen und sagte. „Wir wollen uns vertragen, Mutter. Du bist, wie Du bist. Nein, zugeredet hast Du nicht. Du kamst bloß, als ob wenigstens das Haus in Brand stünd’, und riefst : ,Ein Has’, ein Has’!’ Nun sage, was hieß das? was sollte das? Sollt’ ich kommen und mir das Wunderthier anseh’n? Oder ihn wegjagen? Kannst Du nicht selber einen Hasen wegjagen? Ich habe just das gethan, was Du wolltest, und Du hast dabei gedacht: ’Opitz wird heute still sein von wegen des Hahns und vielleicht auch von wegen der neuen Freundschaft.’ Und weil es nun anders gekommen ist, so bist Du wieder mit Vorwurf und Klage bei der Hand und weinerst mir wieder ’was vor, weil ich geschossen hab’, und sähest es am liebsten, ich ginge gleich ’rüber und würfe mich ihm zu Füßen und küßte seinen Rockzipfel. Aber daraus wird nichts. Er mag nun wieder seine Schreiberei machen und alles zur Anzeige bringen. Anschreiben und anzeigen versteht er, das war schon seine Kunst, als er noch bei den Soldaten war. Aber ich werde mich schon zu verteidigen wissen und werde vor Gericht aussagen, daß ich meinen Kohl und meinen Hafer oder was es sonst ist nicht für Opitz und seine Hasen ziehe. Geschossen hätt’ ich blind drauf los, was dann aus dem Hasen geworden, das wüßt’ ich nicht und braucht’ ich nicht zu wissen, und wenn Opitz eines Hasen Schweiß gefunden habe, was ja sein könnte, so sei’s nicht der, um den sich’s hier handle, der sei lustig in die Welt gegangen.“

„Aber dann werden sie Dir einen Eid zuschieben. Willst Du schwören?“

„Nein, das will ich nicht. Schwören thu’ ich nicht. Aber ich werde schon was finden, um aus der Geschichte ’raus zu kommen.“

Er sagte das so hin, halb um der Mutter zu widersprechen, halb um sie zu beruhigen, war aber klug genug, zu wissen, daß er schwerlich eine Ausrede finden und somit sehr wahrscheinlich einer zweiten Verurteilung entgegen gehen werde. Das war ihm ein schrecklicher Gedanke, so schrecklich, daß ihm alle Lust an der Arbeit auf ganze Tage verloren ging und er sich müßig umherzutreiben begann, was er ohnehin liebte. Den Tag über sprach er in dieser oder jener Baude vor oder ging auch wohl ins Böhmische hinüber, wo er, bis nach Sank Peter und Trautenau hin, viel Anhang hatte, abends aber saß er in den nächstgelegenen Kretschams, im „Waldhaus“, in Brückenberg, in Wang, heute hier und morgen da, und erzählte jedem, der’s hören wollte, daß wieder ein Krieg in der Luft sei, drüben in Böhmen wüßten sie schon davon, und daß er seinerseits warten wolle, bis es wieder losgehe.

Krieg im Frankreich, das sei das einzig vernünftige Leben; wenn es aber nicht wieder losgehe, nun, dann gehe er und er wiss’ auch schon wohin. Er wolle zu den Heiligen am Salzsee, da habe jeder sieben Frauen, und wenn er auch immer gesagt habe, daß eine schon zu viel sei, was auch eigentlich richtig, so woll’ er’s doch ’mal mit sieben versuchen; es sei doch ’mal was anderes.

  1. Sahne.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_059.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)