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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Er war sehr aufgeregt und sprach immer in diesem Ton, und sein einziges Vergnügen war, daß man ihn für einen Ausbund von Klugheit hielt und sich wunderte, wo er das alles her habe.

Aber all das Sprechen von Krieg und Auswanderung und Salzsee war doch nur ein müßiges Spiel; im Grunde seines Herzens hing er mit Zärtlichkeit an seinem Schlesierland und dachte gar nicht ans Fortgehen, wenn ihm der Boden unter den Füßen nicht zu heiß gemacht würde. Aber das war es eben. Machte „der da drüben“ Ernst, so war der heiße Boden da und zugleich der Augenblick, wo das, was er bisher bloß an die Wand gemalt hatte, Wirklichkeit werden mußte. Denn zum zweiten Mal ins Gefängnis, das zu vermeiden war er fest entschlossen, und so hing denn alles an der Frage: wird Opitz Ernst machen oder nicht?

(Fortsetzung folgt.)


Der Urgrund der Fehde wider die Fremdwörter.

Von Ernst Eckstein.
Nachdruck verboten. Alle Rechte vorbehalten.

Der Leser weiß, daß in unserem Vaterlande während des letzten Jahrfünfts eine Bewegung in Fluß gekommen ist, die den Fremdwörtern den Krieg bis aufs Messer erklärt und hierbei nicht nur sprachliche, sondern auch nationale Gesichtspunkte mit einem sonst in Deutschland nicht alltäglichen Eifer in den Vordergrund stellt.

Man unterscheidet jetzt – und zwar häufig nach persönlicher Willkür – zwischen dem „Fremd-“ und dem „Lehnwort“. Das Fremdwort soll ein gänzlich unberechtigter Eindringling, das Lehnwort dagegen ein geduldeter, gleichsam nationalisirter Gast sein.

Nun liegen die Dinge bei näherer Betrachtung so:

Die Lehnwörter sind uns natürlich ebensogut „fremd“ wie die Fremdwörter.

Der Unterschied zwischen den beiden Klassen besteht nur darin, daß die „Lehnwörter“ schon in früheren Jahrhunderten, zumeist schon zu Zeiten des Althochdeutschen, in unsern Sprachschatz aufgenommen und durch Abschleifung gewisser nicht-deutscher Lautverhältnisse den urdeutschen Wörtern ähnlich gemacht worden sind.

Das Gleiche würde jedoch im Lauf der Jahrhunderte mit einer gewissen Anzahl von Fremdwörtern unserer Epoche geschehen können. Geschieht es nicht, so trägt der Geist der neuhochdeutschen Sprache die Schuld daran – nicht der fremdartige Charakter der betreffenden Wörter.

Hätten sich unsere Altvordern, die wir so gern als die Urbilder echtdeutschen Wesens in Anspruch nehmen, ebenso feindselig gegen die Fremdwörter gestellt wie die Gegenwart, so würde unser Neuhochdeutsch um ein Beträchtliches ärmer sein. Eine Unzahl von Wörtern, die uns jetzt völlig in Fleisch und Blut übergegangen sind, die jeder Bauer, ja jeder Gassenjunge versteht und anwendet, die nicht nur zur Steigerung unserer Ausdrucksfähigkeit, sondern auch zur Vermehrung unserer Abtönungsmittel wesentlich beitragen, würde uns niemals zu eigen geworden sein.[1]

Kein althochdeutscher Biedermann galt für einen ehrlosen Wälschling, weil er das lateinische scribere herübernahm und „scribôn“, neuhochdeutsch „schreiben“, sagte.

Freilich war er bei dieser Herübernahme so klug, die Abgeschmacktheit späterer Zeitläufte zu vermeiden, die, anstatt sich des fremden Wortstammes zu bemächtigen und ihn mit einer deutschen Auslautung zu versehen, fremdländische Bildungs- und Beugungssilben ins Deutsche einschmuggelte. Das ist eine widerliche Verhöhnung des Sprachgefühls, deren sich das Neuhochdeutsche immer noch schuldig macht.

Wenn wir z. B. jetzt das lateinische scribere neu einführten, so würde es die abscheuliche Form „scribiren“ bekommen, just so wie aus dem lateinischen dictare „diktiren“ und aus dem französischen promener „promeniren“ gemacht worden ist. Zu einem „skriben“ und „dikten“ vermag sich der unschöpferische germanische Sprachgeist der Gegenwart nicht mehr emporzuschwingen. Eine frühere Periode war noch imstande, aus dem lateinischen dictare die Form „dichten“ zu bilden.

Nur in ganz vereinzelten Fällen hat sich das Neuhochdeutsche eines Fremdworts bemächtigt, um ein selbstständiges Zeitwort mit deutscher Endung daraus zu gestalten. Dabei scheint es jedoch, als sei dieser schwache Versuch ursprünglich scherzhaft gemeint, und erst nach und nach in die ernsthafte Rede mit einverleibt worden. So sagen wir jetzt: „Der Schauspieler ‚mimt‘“ –; nicht er „mimirt“, was dem sonst allgemein üblichen Sprachgebrauche bei fremden Wurzeln entsprechen würde. Solche Ausnahmen jedoch lassen sich an den Fingern herzählen. Im übrigen bleibt bei sämmtlichen Zeitwörtern und bei der Mehrzahl der Ding- und Eigenschaftswörter, die wir aus fremden Sprachen herübernehmen, die Thorheit zu recht bestehen: wir borgen nicht nur den fremden Stamm, sondern wir bilden, betonen und wandeln auch undeutsch.

Ich behaupte nun: es ist nicht sowohl die Herübernahme des fremdländischen Wortstammes, als vielmehr die Unfähigkeit unseres Sprachgeistes, ihn sich vollständig anzueignen, ihm ein echtdeutsches Gewand umzuhängen, was den jetzt überschäumenden Widerwillen gegen das Fremdwort erzeugt hat.

Besäße der Deutsche die Fähigkeit, die undeutschen Fäden in seinem sprachlichen Gewebe vollständig aufgehen zu lassen, so würden wir, dem Beispiele anderer Völker entsprechend, die Aufnahme fremder Wurzeln als eine Bereicherung betrachten. Nur diese massenhaften Wörter mit lateinisch oder romanisch klingenden Endungen, diese Hauptwörter auf „ität“, auf „ion“, diese Zeitwörter auf „iren“, vor allem aber die vielen französischen Wörter, bei denen man uns die Beibehaltung der ursprünglichen Aussprache zumuthet, – diese Thorheiten sind es, die für das feiner entwickelte Sprachgefühl etwas Verletzendes haben.

Als die Normannen im Jahre 1066 unter Wilhelm dem Eroberer das britische Inselreich einnahmen und sich als Herrscher über das Land festsetzten, da drang in verhältnismäßig kurzer Frist eine Unsumme französischer Elemente in die germanische Sprache der Angelsachsen ein, dergestalt, daß sich das Englische unseres Jahrhunderts seinem Wortvorrath nach als eine Mischsprache darstellt; thatsächlich aber, seinem innersten Geiste, seiner Denk- und Formbildungsweise nach, ist das Englische rein germanisch, – und gerade z. B. in Beziehung auf die Behandlung der fremdländischen Zeitwörter hätte der Deutsche von seinen angelsächsischen Vettern mancherlei lernen können.

Im Englischen giebt es kein „produciren“, wie im Neuhochdeutschen, sondern ein selbstständig gebildetes „produce“, was einem deutschen „produzen“ oder „produtzen“ entspräche. Es giebt kein unglückseliges „kommandiren“, sondern ein flottes „command“, was einem deutschen „kommanden“ entspräche. Ein derartiges „kommanden“ würde uns kaum fremdartiger klingen, als „vollenden“ oder „versenden“; und mehr noch würden uns ähnliche Wörter anheimeln, bei denen lateinisch-romanische Vorsilben wie co-, con-, com-, pro-, prae- etc. nicht vorhanden sind.

Aus dem französischen „mêler“ hat das Englische nicht ein widerliches „meliren“, sondern ein ganz germanisch klingendes „meal“ („vermischen“) gebildet. Dieses „meal“ ist äußerlich gar nicht mehr von dem urgermanischen Worte „meal“ („Mehl“, oder „mit Mehl bestreuen“) zu unterscheiden, das die englischen Wörterbücher in ihrer noch häufig zu Tage tretenden Unwissenschaftlichkeit mit jenem Fremdworte „meal“ sogar ohne weiteres zusammenstellen.

Aus dem französischen „forcer“ macht der Engländer sein durchaus germanisch klingendes „force“. Wir natürlich haben das Wort nicht in der Form „ich forse“, sondern in der üblichen Verballhornung „ich forcire“ entlehnt.

Das Gleiche gilt noch von hundert und aber hundert französischen Zeitwörtern, die alle im Englischen die germanische Volkstracht angelegt haben, während das Neuhochdeutsche, allerdings

  1. Fremdlinge, die theils zu Zeiten des Althochdeutschen, theils später unserem Sprachschatze einverleibt wurden, sind z. B. die Wörter „Pferd“, „Kopf“, „Masse“, „Messe“, „Kirche“, „Kirsche“, „Fenster“, „Punkt“, „Tisch“, „Bischof“, „Papst“, „Almosen“, „Pfingsten“, „Brief“, „Zettel“.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_060.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2019)