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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„So, das nennst Du eine vernünftige Wahl, wenn ein Mädchen von achtzehn Jahren einen Mann nimmt, der ihr Vater sein könnte?“ rief der Oberforstmeister, der im Eifer des Gefechtes allmählich wieder näher kam. „Freilich, man wird ja Frau Baronin und Excellenz, man spielt als Gemahlin des preußischen Gesandten eine erste Rolle in der Gesellschaft. Mir ist diese schöne, kühle Adelheid mit ihren ‚vernünftigen‘ Ansichten, die einer Großmutter Ehre machen würden, ganz und gar nicht sympathisch. Ein unvernünftiges Mädel, das sich bis über beide Ohren verliebt und dann den Eltern erklärt: ‚Der oder keiner!‘ ist mir viel lieber.“

„Das sind ja schöne Ansichten für einen Familienvater!“ rief Frau von Eschenhagen entrüstet. „Ein Glück, daß Toni nach meiner Schwester gerathen ist und nicht nach Dir, sonst könntest Du eines Tages dergleichen an Deinem eigenen Kinde erleben. Da hat Stahlberg seine Tochter doch besser erzogen, ich weiß es von ihm selbst, daß sie in erster Linie seinem Wunsche folgte, als sie Herbert die Hand reichte, und so ist es auch in der Ordnung, so gehört es sich, aber Du verstehst nichts von Kindererziehung.“

„Was? Ich soll als Mann und Vater nichts davon verstehen?“ schrie der Oberforstmeister, kirschroth vor Aerger. Die beiden waren auf dem besten Wege, wieder aneinander zu gerathen, aber diesmal wurden sie glücklicherweise unterbrochen, denn ein junges Mädchen, die Tochter des Hausherrn, trat auf die Terrasse.

Antonie von Schönau konnte eigentlich nicht für hübsch gelten, aber sie hatte die stattliche Gestalt ihres Vaters und ein frisches, blühendes Gesicht, mit hellen, braunen Augen. Das braune Haar war in einfachen Flechten um den Kopf gelegt und die Kleidung, obgleich dem Stande der jungen Dame angemessen, zeigte die gleiche Einfachheit. Uebrigens stand Antonie in den Jahren, wo die Jugend jeden anderen Reiz ersetzt, und als sie herantrat, frisch, gesund. tüchtig in ihrer ganzen Erscheinung, war sie so recht eine Schwiegertochter nach dem Herzen der Frau von Eschenhagen, die sofort den Streit abbrach und ihr freundlich zunickte.

„Vater, soeben kommt der Wagen von der Bahnstation zurück,“ sagte die junge Dame in sehr bedächtigem, etwas schleppendem Tone. „Er ist schon am Fuße des Schloßberges, der Onkel Wallmoden wird in einer Viertelstunde hier sein.“

„Der Tausend, da sind sie schnell gefahren!“ rief der Oberforstmeister, dessen Gesicht sich gleichfalls aufhellte bei der Nachricht. „Die Fremdenzimmer sind doch in Ordnung?“

Toni nickte so gelassen, als verstehe sich das von selbst, und während ihr Vater aufbrach, um nach dem Wagen zu sehen, der die Gäste brachte, fragte Frau von Eschenhagen, mit einem Blick auf das Körbchen, welches das junge Mädchen in der Hand trug:

„Nun, Toni, bist Du wieder fleißig gewesen?“

„Ich war im Küchengarten, liebe Tante. Der Gärtner behauptete, es gäbe noch keine reifen Birnen, ich habe aber selbst nachgesehen und einen ganzen Korb voll gesammelt.“

„Recht so, mein Kind!“ sagte die künftige Schwiegermutter hochbefriedigt. „Man muß überall selbst die Augen und Hände haben und sich nie auf seine Leute verlassen. Du wirst einmal eine tüchtige Gutsherrin werden! Aber nun komm, wir wollen gleichfalls hinunter und Deinen Onkel begrüßen.“

Herr von Schönau war bereits vorangegangen und schritt eben die breite, steinerne Freitreppe hinab, die nach dem Schloßhofe führte, als aus einem der Seitengebäude ein Mann trat, der jetzt stehen blieb und respektvoll grüßend den Hut zog.

„Sieh da, Stadinger! Was machen Sie denn hier in Fürstenstein?“ rief der Oberforstmeister. „Kommen Sie doch näher!“

Stadinger kam der Aufforderung nach; trotz seiner eisgrauen Haare schritt er noch rüstig vorwärts, in strammer, aufrechter Haltung, und aus dem braunen. verwitterten Gesichte blickte ein Paar scharfer, dunkler Augen.

„Ich war bei dem Schloßkastellan, Herr Oberforstmeister,“ versetzte er, „und hab’ angefragt, ob er mir nicht ein paar von seinen Leuten zur Aushilfe geben kann, denn bei uns in Rodeck geht es jetzt drunter und drüber, wir haben nicht Hände genug für all die Arbeit.“

„Ja so, Prinz Egon ist zurück von seiner Orientreise, ich habe es schon gehört,“ sagte Schönau. „Wie ist er denn aber gerade diesmal auf Rodeck verfallen, auf das kleine Waldnest, das weder Raum noch Bequemlichkeit bietet?“

Stadinger zuckte die Achseln.

„Das weiß der Himmel! Bei unserer jungen Durchlaucht darf man ja nie nach dem Warum fragen. Eines Morgens kam die Nachricht, und nun hieß es Hals über Kopf das Schloß instand setzen, so gut oder schlecht das eben ging. Ich habe Noth und Mühe genug gehabt, um in zwei Tagen fertig zu werden.“

„Das glaube ich, Rodeck ist ja seit Jahren nicht bewohnt worden, aber auf diese Weise kommt doch wieder einmal etwas Leben in das alte Gemäuer.“

„Aber dabei wird das alte Gemäuer vollständig auf den Kopf gestellt,“ brummte der Schloßverwalter. „Wenn Sie nur wüßten. wie es bei uns aussieht, Herr Oberforstmeister! Der ganze Jagdsaal ist vollgepfropft mit Löwen- und Tigerfellen und allerhand ausgestopftem Gethier und die lebendigen Affen und Papageien sitzen in allen Zimmern herum. Das ist ein Fratzenschneiden und ein Lärm, daß man oft sein eigenes Wort nicht hört. Und nun hat mir Durchlaucht noch angekündigt, daß auch ein ganzer Trupp Elefanten und eine große Seeschlange unterwegs seien. Ich denke, mich soll der Schlag treffen.“

„Was ist unterwegs?“ fragte Schönau, der nicht recht gehört zu haben glaubte.

„Eine Seeschlange und ein Dutzend Elefanten! Ich habe mich dagegen gewehrt mit Händen und Füßen. ‚Durchlaucht,‘ habe ich gesagt, ‚noch mehr von dem Gethier können wir nicht unterbringen, vor allem die Seeschlange nicht, denn solch ein Vieh braucht doch Wasser, und wir haben keinen Teich in Rodeck. Und was die Elefanten betrifft, so müßten wir sie gerade im Walde an die Bäume binden, sonst weiß ich keinen Rath.‘ ‚Gut,‘ sagte Durchlaucht, ‚dann binden wir sie an die Bäume, das wird sich sehr malerisch ausnehmen, und die Seeschlange geben wir einstweilen in Fürstenstein in Pension, der Schloßweiher ist groß genug!‘ Ich bitte Sie, Herr Oberforstmeister, er will die ganze Nachbarschaft mit den Ungethümen bevölkern!“

Der Oberforstmeister lachte laut auf und klopfte dem Alten, der sich seiner besonderen Gunst zu erfreuen schien, auf die Schulter.

„Aber Stadinger, haben Sie denn das wirklich für Ernst genommen? Sie kennen doch Ihren Prinzen! Er scheint allerdings nicht viel gesetzter zurückgekommen zu sein, als er fortgegangen ist.“

„Nein, wahrhaftig nicht!“ seufzte Stadinger. „Und was Durchlaucht nicht weiß, das heckt der Herr Rojanow aus. Der treibt es noch zehnmal ärger. Daß uns auch gerade ein solcher Tollkopf in das Haus fallen mußte!“

„Rojanow? Wer ist das?“ fragte Schönau, aufmerksam werdend.

„Ja, das weiß man eigentlich nicht recht, aber bei uns ist er so ziemlich alles, denn Durchlaucht kann nicht leben ohne ihn. Er hat diesen ‚Freund‘ irgendwo da hinten in den heidnischen Ländern aufgegriffen, es wird wohl selbst ein halber Heide oder Türke sein, er sieht ganz danach aus, mit seinem dunklen Gesicht und seinen schwarzen Feueraugen. Und das Kommandiren versteht er aus dem Grunde, er jagt oft die ganze Dienerschaft durcheinander mit seinen Befehlen und thut, als wäre er Herr und Meister in Rodeck. Aber bildhübsch ist er, fast noch hübscher als unser Prinz, und der hat strenge Anweisung gegeben, seinem Freunde in allen Stücken zu gehorchen wie ihm selber.“

„Vermuthlich irgend ein Abenteurer, der den jungen Fürsten ausbeutet, ich kann es mir denken,“ murmelte Schönau und laut setzte er hinzu: „Nun Gott befohlen, Stadinger, ich muß jetzt meinen Schwager begrüßen, und wegen der Seeschlange lassen Sie sich keine grauen Haare wachsen. Wenn Durchlaucht Ihnen wieder damit droht, so sagen Sie nur, ich würde ihr mit Vergnügen den Fürstensteiner Weiher anbieten, aber erst müßte ich sie leibhaftig vor mir sehen!“

Er winkte lachend dem alten Verwalter zu, der sehr getröstet aussah, und schritt nach dem Eingangsthor. Inzwischen war auch Frau von Eschenhagen mit ihrer Nichte erschienen. und jetzt wurde auf dem breiten Waldwege des Schloßberges der Wagen sichtbar, der wenige Minuten später im Schloßhofe vorfuhr.

Regine war die erste bei der Begrüßung; sie drückte und schüttelte ihrem Bruder so herzhaft die Hand, daß er mit einem leisen Aufzucken die seinige zurückzog. Der Oberforstmeister war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_071.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)