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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Sie brach ab mit einem Seufzer, der verrieth, wie nahe ihr das Geschick des einstigen Jugendfreundes ging, und die Hand auf den Arm ihres Bruders legend, schloß sie:

„Vielleicht hast Du recht, Herbert, man wählt in späteren Jahren am besten und vernünftigsten. Du hast das Schicksal Falkenrieds nicht zu fürchten, Deine Frau stammt aus einer guten Art. Ich habe Stahlberg ja auch gekannt, er hat sich mit Ernst und Tüchtigkeit zu den Höhen des Lebens emporgearbeitet und ist auch als Millionär der Ehrenmann geblieben, der er von jeher war, und Adelheid ist in jedem Zuge die Tochter ihres Vaters. Du hast Dich besser vorgesehen, und ich gönne Dir Dein Glück von Herzen.“



Das Jagdschlößchen Rodeck, das zu den fürstlich Adelsbergschen Besitzungen gehörte, lag etwa zwei Stunden von Fürstenstein entfernt, mitten in tiefster Waldeseinsamkeit. Das kleine, ziemlich geschmacklose Gebäude enthielt höchstens ein Dutzend Zimmer, deren veraltete und verblichene Einrichtung man jetzt, so gut es in der Eile gehen wollte, in stand gesetzt hatte. Das Schlößchen war seit Jahren nicht benutzt worden und sah auch etwas vernachlässigt aus, aber wenn man aus dem tiefen dunklen Forst in die Lichtung heraustrat und am Ende des weiten grünen Rasenplatzes das alte graue Gemäuer mit seinem hohen spitzen Ziegeldach und den vier Thürmchen an den Ecken erblickte, hatte es doch etwas von einer Waldidylle an sich.

Die Adelsberg waren ein ehemals reichsfürstliches Geschlecht, das allerdings schon längst seine Souveränität verloren hatte, dem aber mit dem Fürstentitel auch ein riesiges Vermögen und ein sehr bedeutender Grundbesitz verblieben war. Die einst weit verzweigte Familie zählte gegenwärtig nur noch wenige Vertreter, die Hauptlinie nur einen einzigen, den Fürsten Egon, der als Herr der sämmtlichen Familiengüter und überdies durch seine verstorbene Mutter mit dem regierenden Hause nahe verwandt unter dem Adel des Landes die erste Rolle spielte.

Der junge Prinz hatte von jeher für einen Wildfang gegolten, der bisweilen sehr excentrischen Neigungen huldigte und sehr wenig nach der fürstlichen Etikette fragte, wenn es galt, irgend einer augenblicklichen Laune zu folgen. Der alte Fürst hatte seinen Sohn allerdings ziemlich scharf im Zügel gehalten, aber sein Tod machte Egon von Adelsberg verhältnißmäßig sehr früh zum unumschränken Herrn seines Willens.

Er kehrte jetzt eben von einer Orientreise zurück, die ihn fast zwei Jahre lang fern gehalten hatte, aber anstatt das fürstliche Palais in der Stadt oder eins seiner anderen Schlösser zu beziehen, die für einen Sommer- und Herbstaufenthalt mit aller nur erdenklichen Pracht eingerichtet waren, hatte er den Einfall, das alte Waldnest, das kleine, halb vergessene Rodeck aufzusuchen, das gar nicht auf die Ehre vorbereitet war, den Herrn aufzunehmen, und auch nur eine nothdürftige Unterkunft bieten konnte. Der alte Stadinger hatte recht, man durfte bei dem Prinzen Egon nie nach dem Warum fragen, es hing da alles von der augenblicklichen Laune ab.

Es war in den Vormittagsstunden eines sonnigen Herbsttages. Auf dem Rasenplatze standen zwei Herren im Jagdanzuge und sprachen mit dem Schloßverwalter, während ein leichter, offener Wagen drüben auf dem Kieswege zur Abfahrt bereit stand.

Die beiden jungen Männer hatten auf den ersten Blick eine gewisse Aehnlichkeit miteinander. Es waren hochgewachsene, schlanke Gestalten, mit tiefgebräunten Gesichtern und Augen, in denen der ganze feurige Uebermuth der Jugend blitzte; aber bei näherer Betrachtung zeigte es sich doch, wie unendlich verschieden die beiden waren.

Bei dem Jüngeren, der etwa vierundzwanzig Jahre alt sein mochte, entstammte diese südliche Färbung offenbar nur dem längeren Aufenthalt unter einer heißeren Sonne, denn das krause blonde Haar und die blauen Augen paßten nicht dazu, sie verriethen den Deutschen. Ein leichter blonder Bart, kraus wie das Haar, umgab ein hübsches, offenes Gesicht, das allerdings nicht den strengen Formen der Schönheit entsprach. Die Stirn war etwas zu niedrig, die Linien nicht regelmüßig genug, aber es lag etwas in diesem Antlitz, das wie heller Sonnenschein jeden anmuthete und jeden gewann.

Sein Gefährte, der um einige Jahre älter war, hatte nun freilich nichts von diesem Sonnenschein, aber seine Erscheinung war entschieden die bedeutendere. Schlank wie der jüngere, überragte er diesen doch an Größe, und die dunkle Hautfarbe hatte bei ihm wohl nicht allein der Sonnenbrand geschaffen. Es war jenes matte Braun, das selbst ein lebensfrisches Gesicht bleich erscheinen läßt, und das bläulich schwarze Haar, das in dichten Wellen auf die hohe Stirn fiel, ließ diese anscheinende Blässe noch mehr hervortreten. Schön war dies Antlitz wohl mit seinen edlen, stolzen Linien, die sich so fest und energisch ausprägten, aber mit ihnen traten auch die tiefen Schatten hervor, die auf der Stirn und in den Augen lagen, Schatten, wie man sie selten in so jugendlichen Zügen findet. Die großen dunklen Augen, die etwas Düsteres hatten, sprachen von heißer, ungezügelter Leidenschaft, es loderte ein Feuer darin, das zugleich unheimlich und räthselhaft anziehend war. Man fühlte es, daß sie mit dämonischer Gewalt bestricken konnten, und die ganze Persönlichkeit des Mannes hatte etwas von diesem unheimlich fesselnden Zauber.

„Ja, ich kann Dir nicht helfen, Stadinger,“ sagte soeben der jüngere der beiden Herren, „die neue Sendung muß ausgepackt und untergebracht werden, wo – das ist Deine Sache.“

„Aber Durchlaucht, wenn es doch absolut nicht möglich ist!“ widersprach der Schloßverwalter in einem Tone, der verrieth, daß er auf ziemlich vertrautem Fuße mit seinem jungen Herrn stand. „In Rodeck ist kein Winkelchen mehr frei, ich habe schon Mühe genug gehabt, die Dienerschaft unterzubringen, die Durchlaucht mitbrachten, und nun kommen alle Tage Kisten an, groß wie die Häuser, und immer heißt es: ‚Packe aus, Stadinger! Schaffe Platz, Stadinger!‘ Und dabei stehen in den andern Schlössern die Zimmer dutzendweise leer –“

„Brumme nicht, alter Waldgeist, sondern schaffe Platz!“ unterbrach ihn der junge Fürst. „Die Sendungen werden hier in Rodeck aufgestellt, wenigstens vorläufig, und im schlimmsten Falle mußt Du Deine eigene Wohnung hergeben.“

„Ja wohl, Stadinger hat Raum genug in seiner Wohnung,“ mischte sich jetzt der zweite Herr ein. „Ich werde das selbst anordnen und ausmessen.“

„Die Zenz kann ihm ja dabei helfen,“ unterstützte der Fürst den Vorschlag seines Genossen. „Sie ist doch daheim?“

Stadinger sah den Fragenden von oben bis unten an, dann antwortete er trocken.

„Nein, Durchlaucht, die Zenz ist fort.“

„Fort?“ fuhr der Fürst auf. „Wo ist sie denn?“

„In der Stadt,“ lautete die lakonische Antwort.

„Was? Du wolltest Dein Enkelkind ja den ganzen Winter hier in Rodeck behalten!“

„Das hat sich geändert,“ versetzte der Schloßverwalter mit unerschütterlicher Ruhe. „Jetzt ist nur noch meine Schwester, die alte Resi, daheim; wenn Sie mit der die Wohnung ausmessen wollen, Herr Rojanow – es wird ihr eine große Ehre sein!“

Rojanow warf dem Alten einen nichts weniger als freundschaftlichen Blick zu, der junge Fürst aber sagte strafend:

„Höre, Stadinger, Du behandelst uns in einer ganz unverantwortlichen Weise. Jetzt nimmst Du uns sogar die Zenz fort, die einzige, die noch des Anschauens werth war. Was sonst von Weiblichkeit in Rodeck vorhanden ist, hat bereits die Sechzig hinter sich und wackelt mit den Köpfen, und die Küchendamen, die Du Dir zur Aushilfe von Fürstenstein hast kommen lassen, beleidigen nun vollends unseren Schönheitssinn.“

„Durchlaucht brauchen sie ja nicht anzuschauen,“ meinte Stadinger. „Ich sorge schon dafür, daß die Mägde nicht in das Schloß kommen, aber wenn Durchlaucht selbst in die Küche gehen wie vorgestern –“

„Nun, ich muß doch meine Dienerschaft bisweilen inspiciren! Uebrigens gehe ich nicht zum zweitenmal in die Küche, dafür hast Du gesorgt. Ich habe Dich im Verdacht, daß Du die sämmtlichen Häßlichkeiten des ‚Waldes‘ zur Feier meiner Ankunft hier versammelt hast, Du solltest Dich schämen, Stadinger.“

Der Alte sah seinem Herrn fest und scharf in die Augen und seine Stimme hatte einen sehr nachdrücklichen Klang, als er antwortete:

„Ich schäme mich gar nicht, Durchlaucht. Als der hochselige Fürst, Ihr Herr Vater, mir den Ruheposten hier gab, sagte er zu mir: ‚Halte Ordnung in Rodeck, Stadinger, ich verlasse mich auf Dich!‘ Nun, ich habe Ordnung gehalten, zwölf Jahre lang, im Schlosse und in meinem Hause erst recht, und das werde ich

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