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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


und blieb dann stehen, augenscheinlich ungewiß über den Weg und die Richtung, die sie einschlagen sollte.

Rojanow war aufgefahren, die unerwartete Begegnung weckte ihn jäh aus seinen Träumereien und rief ihn in die Wirklichkeit zurück, aber auch die Fremde hatte ihn bemerkt. Sie schien gleichfalls überrascht, doch nur einen Augenblick lang, dann trat sie näher und sagte mit einem leichten Gruße:

„Darf ich Sie bitten, mein Herr, mir den Weg nach Fürstenstein zu zeigen? Ich bin fremd hier und habe mich auf einem Spaziergange verirrt. Ich fürchte, ziemlich weit von meinem Ziele abgekommen zu sein.“

Hartmut hatte mit einem raschen Blick die Erscheinung der jungen Dame gestreift und war sofort entschlossen, die Führung zu übernehmen. Er kannte zwar den Weg, nach welchem sie gefragt hatte, nicht und wußte nur ungefähr die Richtung, in welcher das Schloß lag, aber das kümmerte ihn sehr wenig, er machte eine ritterlich artige Verbeugung.

„Ich stelle mich Ihnen ganz zur Verfügung, mein gnädiges Fräulein. Fürstenstein ist allerdings ziemlich weit entfernt und Sie können den Weg unmöglich allein finden, ich muß Sie deshalb schon bitten, meine Begleitung anzunehmen.“

Die Dame hatte wohl darauf gerechnet, daß man ihr den Weg einfach bezeichnen werde, die angebotene Begleitung schien ihr nicht gerade willkommen zu sein, aber sie mochte fürchten, sich ein zweites Mal zu verirren, und die vollendete Artigkeit, mit welcher das Anerbieten gemacht wurde, ließ ihr auch kaum eine Wahl. Nach einem augenblicklichen Zögern neigte sie flüchtig das Haupt und erwiderte:

„Ich werde Ihnen dankbar sein. Also bitte, gehen wir!“

(Fortsetzung folgt.)




Kaiserin Augusta.

Als bei Sedan die Kanonen donnerten und deutsche Tapferkeit Frankreich zu Boden warf, da blühte auf dem blutigen Schlachtfelde in einem Gärtlein, dessen Zierde längst von den Hufen der Rosse zertreten war, eine einsame weiße Rose. Ein schmucker preußischer Jägersmann, dem der blauen Bohnen an dem Tage schon viele um den Kopf geflogen waren, entdeckte die Blume und pflückte sie. Er legte sie in seine Brieftasche und dachte ihrer erst wieder am Abend, als der große Sieg errungen war. Die Rose vom Schlachtfeld von Sedan! Wem sollte er sie schicken? Er hatte weder Mutter, noch Schwester, noch Braut; da gedachte er der Frauen, die seit dem Ausbruch des Krieges pflegend, helfend und tröstend um die wunden Helden sich bemüht hatten, und rasch entschlossen sandte er die bleiche Blume an den Magistrat von Berlin, mit der Bitte, sie derjenigen Frau zu überreichen, die sich in der Pflege und Sorge für die Verwundeten am meisten hervorgethan habe. Der Magistrat von Berlin berieth nicht lange, für ihn lag’s klar zu Tage, wer die Rose verdient habe. Er überreichte sie der Königin, die sie freilich in edler Bescheidenheit zurückwies und im Betsaale des großen Barackenlazareths auf dem Tempelhofer Felde unter Glas und Rahmen aufhängen ließ. Aber der Magistrat von Berlin war im Recht: während König Wilhelm draußen im Felde seine Mannen zu Sieg und Ehre führte, hatte seine Gemahlin auch eine Fahne entrollt. In der flog freilich kein stolzer Adler auf, hob nicht dräuend ein Löwe die grimmigen Pranken, drohte kein trotziger Stier, es stand nichts darin als ein rothes Kreuz, und das Fahnentuch selbst war weiß. Das Wunderbarste aber war, daß dieser Fahne nicht nur Männer zueilten, sondern hauptsächlich Frauen vom jugendlichen Mädchen an bis zur betagten Greisin. Das Banner der Barmherzigkeit war’s, das die Königin entfaltet hatte. Dieses Banner in realer Gestalt mit dem eisernen Kreuze über das ganze Fahnentuch und dem rothen Kreuz oben in der Ecke, das einzige in dieser Gestalt existirende, welches Kaiser Wilhelm I. seiner Gemahlin verliehen hatte, ließ Kaiser Wilhelm II. der Heimgegangenen auf den Sarg legen, als ihr höchstes Schmuckkleid neben dem Krönungsmantel der preußischen Königin.

Selten hat eine Frau ihre vor aller Welt erhöhte Stellung in so hohem Sinne aufzufassen verstanden wie diejenige, die nach dem Zusammenbruch des alten Deutschen Reiches zuerst wieder den stolzen Namen einer Deutschen Kaiserin führen durfte. Von dem Tage an, da sie am 30. September 1811 zu Weimar als jüngste Tochter des damaligen Erbprinzen Carl Friedrich und dessen Gemahlin Maria Pawlowna, einer russischen Großfürstin, das Licht der Welt erblickte, bis auf den andern, jenen 7. Januar 1890, an dem sie eingehen durfte zur ewigen Ruhe – welch ein groß Stück Erdenwegs, welch eine Wandlung der Zeiten und Gedanken, welch ein Arbeiten in Prüfung und Kampf!

Betrachtet man das Leben der Kaiserin genauer, so findet man, daß der Gedanke an Fürsorge für die Nothleidenden nicht plötzlich in ihr auftauchte, sondern daß er mit ihr aufwuchs und reifte. Sehr jung, am 11. Juni 1829, war sie die Gemahlin des damaligen Prinzen Wilhelm geworden, aber sie war noch kein Jahr in der neuen Heimath, als man schon von ihrer offenen Hand zu erzählen wußte. Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. erhielt Prinz Wilhelm den Titel eines Prinzen von Preußen, er war der Nächste am Throne, mit ihm fühlte sich seine Gemahlin als die Nächste in den Pflichten dieser erhabenen Stellung. Wo es eine Sammlung galt zu wohlthätigen Zwecken, ein rasches Geben bei plötzlichen Unglücksfällen, da war die Prinzessin von Preußen die erste, die gab und die reichlich gab, oft über ihre Mittel. Oft mußte sie sich selbst einen Lieblingswunsch versagen, um nur geben zu können, wie ihr Herz es wünschte. Und wo die Mittel nicht zureichten, verkaufte sie von ihren Schmucksachen. Nicht selten scherzte der hochselige Kaiser mit ihr über, man kann sagen – ihre Passion des Gebens. Sie nahm die erstaunten Blicke ihrer Schwägerin, der Kaiserin von Rußland, über ihre bescheidene Toilette hin und tröstete sich mit ihrem guten Bewußtsein. Sonst trat die Prinzessin damals noch wenig in den Vordergrund; sie sammelte bedeutende Menschen um sich und leitete selbst die Erziehung ihrer Kinder, des Prinzen Friedrich Wilhelm, des nachmaligen Kaisers Friedrichs III., und der Prinzessin Luise, der späteren Großherzogin von Baden. Aber schon damals begann man von ihr als von einer bedeutenden Frau zu reden, welche unablässig an sich selbst arbeitete in immer gesteigertem Drange nach jener höchsten Ausprägung des Menschlichen, wofür ihr Goethe, dessen Augen über ihrer Jugend geleuchtet hatten, ein Vorbild war.

Lange Jahre weilte sie am Rheine – ihr Gemahl bekleidete damals den Posten eines Gouverneurs der Rheinlande – und dort war sie ohne Zweifel die volksthümlichste Persönlichkeit. Koblenz ward ihr Lieblingsaufenthalt, und bis in ihr letztes Lebensjahr kehrte sie gern dahin zurück. Sie wohnte dann in den Räumen des Residenzschlosses, dessen stolzer Bau sich auf unserer Abbildung links vom Rheine nahe der Brücke erhebt. Sie hatte dieses Schloß geradezu ein zweites Mal geschaffen, den Kurfürstensaal darin einrichten lassen – ein Museum der Geschichte des Rheinlandes. Auf ihre Veranlassung war der Garten vor ihrer Wohnung angelegt worden, auf ihre Kosten entstanden die Rheinanlagen. In Koblenz begann sie auch zuerst in Bezug auf barmherzige Liebe schöpferisch vorzugehen. Sie rief wohlthätige Anstalten ins Leben, gründete und beförderte Stiftungen. Größere Reisen, namentlich auch nach England, erweiterten ihren Blick, und wenig beachtete sie es, daß ihre von Haus aus zarte Gesundheit immer schwächer wurde.

Die große Verehrung, die man in weiten Kreisen für die Prinzessin von Preußen zu hegen begann, zeigte sich zuerst deutlich bei der Feier ihrer silbernen Hochzeit. Zahllose Beweise des Dankes wurden ihr zu Theil, und ihr treues Koblenz ließ zum Andenken an den festlichen Tag eine Münze schlagen. Wenige Jahre darauf – ihre Tochter war schon vermählt – führte ihr zärtlich geliebter Sohn die älteste Tochter der Königin von England heim. Dann aber traten jene Ereignisse ein, die Erkrankung und schließlich der Tod des Königs Friedrich Wilhelm IV., welche den Prinzen von Preußen auf den Thron seines Bruders führten, die Prinzessin zur Königin erhoben.

Die erste Zeit ihrer neuen Würde war nicht leicht für die Königin; man kam ihr in ihrer Residenz mehr mit Achtung als mit Liebe entgegen. Der lange Aufenthalt am Rheine hatte sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_076.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)