Seite:Die Gartenlaube (1890) 090.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Rast genommen hatte, zum Weitergehen anschickend, bog er drüben in den am Steintroge vorüberführenden Querpfad ein, der in langer Linie, wagerecht und ohne jede Steigung, auf die Hampelbaude zuführte. „Da will ich hin. In der Hampelbaude will ich schlafen. Und hab’ ich ihn bis dahin nicht getroffen, so soll es nicht sein. Und ich muß ins Gefängniß oder in die weite Welt.“

Er konnte nicht anders sprechen, denn er wußte nur zu gut, daß er bis dahin mit der Begegnungsfrage bloß gespielt hatte; jetzt aber mußte sich’s zeigen. Und wunderbar, statt erregter zu werden, ward er mit jedem Augenblicke stiller und seine Seele ruhiger, vielleicht weil er jetzt ein Ende absah. Und ihn verlangte danach, so oder so. Nur eines war ihm lästig, die Mondsichel blinkte so hell, als ob Vollmond wäre. „Der Bart ist doch immer nur eine halbe Verkleidung. Und wenn die Todten auch schweigen .. . Es wäre besser, die Wolke drüben legte sich vor.“

Und wirklich, sie that’s. Und was jetzt niederflimmerte, war nur noch das matte Licht der Sterne . . .

* * *

„Steh!“

Opitz war um eine Weg- und Buschecke gebogen und hielt auf fünf Schritt.

Und Lehnert stand.

„Gewehr weg! Was ein Richtiger ist, der weiß, wie sich’s gehört. Aber Du bist wohl ein Böhmscher … Eins, zwei . . .“

Lehnert zögerte noch.

„Gewehr weg . . . Drei.“ Und im selben Augenblicke schlug der Hahn auf das Piston. Aber das Zündhütchen versagte.

Und nun schlug auch Lehnert an und zwei Schüsse krachten.

Opitz brach zusammen.

In engem Bogen an ihm vorbei ging Lehnert auf die Hampelbaude zu.


10.

Zehn Uhr war durch, als Lehnert, der inzwischen sein Gewehr an einem anderen Versteckort wieder untergebracht hatte, bei der Hampelbande eintraf. Trotz später Stunde war noch Leben drin, sogar Tanz, zu dem zwei böhmische Harfenstimmen von mittleren Jahren und ein zwölfjähriger Geiger lustig aufspielten. Lehnert setzte sich und ließ sich ein Nachtessen geben, als es aber vor ihm stand, schob er, es wieder zurück und sprach nur dem Bier zu. Was um ihn her tanzte, waren Sommergäste, Berliner, darunter Mütter, die dicht vor der silbernen Hochzeit, und Töchter, die dicht vor der ersten Konfirmationsstunde standen. Auch die Väter waren, in Ermangelung anderen Tanzmaterials, mit herangezogen worden, behäbige Männer mit ängstlich kurzen Hälsen. Dazwischen trippelten die Backfische mit hohen Knöpfstiefeln und lang herabhängendem Haar, dessen letzte natürliche Welle dem vorausgegangenen sechsstündigen Marsch in der Julihitze längst zum Opfer gefallen war.

Lehnert sah auf das Treiben, und mitunter konnt’ es fast den Anschein gewinnen, als freue er sich darüber, am meisten wenn die jungen Dinger, von denen einige immer aus dem Takte heraus und andere noch gar nicht hinein waren, an ihm vorbeiwalzten. Dann aber schwand mit einemmal wieder alles, was um ihn her war, und er sah wieder Opitz um die Buschecke biegen, hörte, wie der Hahn aufschlug, und sah seinen Gegner zusammenbrechen. „Er hat es nicht anders gewollt . . . Ob er todt ist’? . . . er muß todt sein . . .“ Und während er noch so sann und in sich hinein redete, trat er aus dem heißen Saal ins Freie hinaus und sah nach dem Gehänge hinüber und dann hinauf in den gestirnten Himmel. Da stand die Sichel in aller Klarheit über ihm, aber über dem Todten am Wege stand sie auch.

Eine kalte Nachtluft ging und Lehnert trat wieder in den Saal, der sich allmählich zu leeren anfing.

Als die letzten fort waren, erschien Lissi, seine gute Freundin, auch eine Böhmin, in der Thür und sagte: „Nun, Lehnert, was meinst? Wenn ich der Bertha zurede, spielt sie noch einen Ländler auf, einen Ländler oder einen Schott’schen.“ Und die Harfenistin, die jedes Wort, das die beiden sprachen, gehört und guten Grund zur Freundschaft mit der Kellnerin hatte, fuhr auch gutwillig über die Saiten. Aber Lehnert wich aus und sagte, daß er die fremden Herrschaften, die gewiß sehr müde seien, in ihrem Schlafe nicht stören wolle.

„Was Du da nur redst, Lehnert. Du willst halt nit. Das is alles. Aber gieb acht, wenn Du willst, will ich nit.“ Und damit griff sie nach einer ganzen Anzahl von Seideln, die leer auf den Tischen umher standen, und ging spöttisch und hochmüthig an Lehnert vorüber. Zuletzt kam auch der Wirth. „Nu, Lehnert, ich sehe, Du willst zu Nacht bleiben. Schlimm; alles voll bis unters Dach. Aber komm nur, ich weiß schon, was Du gern hast.“ Und dabei ging er voran und stieg, während Lehnert folgte, draußen am Giebel eine Leiter hinauf, die zu nächst bis an eine Lukenthür und durch diese hindurch nach dem Heuboden führte.

Lehnert machte sich’s hier bequem und suchte zu schlafen. Aber es war zu schwül und der Heugeruch zu stark. So trat er denn wieder bis an die Lukenthür heran und riß einen der beiden Flügel auf. Aber eben so rasch schloß er ihn wieder. Schräg über ihm stand die Mondsichel und sah herab auf ihn und fragte.

* * *

Bald nach Tagesanbruch war Lehnert auf. Alles schlief noch und nur das hübsche böhmische Mädchen, das er am Abend zuvor durch sein „Nein“ erzürnt hatte, stand im Hof und spaltete Holz. Sie schien ihn nicht sehen zu wollen. Er trat aber an sie heran und sagte: „Laß gut sein, Lissi. Du weißt, ich bin kein Spielverderber und weiß, was sich paßt. Und wenn einem ein hübsches Mädel, und nun gar eins wie Du, einen Kuß oder einen Tanz anbietet, da soll man nicht nein sagen. Das weiß ich so gut wie einer. Und hab’ ich Dir schon was abgeschlagen? Nun, siehst Du, Du lachst! Also laß gut sein! Ich konnte nicht, mir war so schwindlig und ich hätte von dem Bier nicht trinken sollen. Und nun mache mir einen Kaffee, hörst Du? Und vergiß nicht, wer zuerst kommt, der mahlt zuerst. Für die Berliner ist das andere gut genug.“

„Pst!“

„Ach, die schlafen ja noch.“ Und damit ging er auf einen Vorplatz zwischen Stall und Giebel und setzte sich in eine Gitterlaube, die an der windgeschützten Seite mit Winden spärlich umwachsen war.

Und nicht lange, so kam der Kaffee mit Brot und Butter und einem Cognac; denn Lissi kannte seine Gewohnheiten. „Auf Dein Wohl, Lissi! Und das nächste Mal tanz’ ich, bis ich umfalle.“ Und als er das sagte, streckte er die Hand nach ihr aus. Aber sie gab ihm einen Klaps und sagte: „Du denkst halt, jede Stund’ ist gut zum Brezelbacken. Aber da irrst, das is nit wahr. ,Wer nicht kommt zur rechten Zeit’ . . . Und jetzt ist nicht rechte Zeit und morgens ist nicht abends . . . Aber mein Gott, da klingelt es schon und ruft auch schon. Ich wette, das ist die dicke Madame, die gestern tanzte, wie wenn ihre Hochzeit wär’.“

Wirklich, es war drinnen im Hause lebendig geworden, und Lissi ging hinein und überließ Lehnert seinem Frühstück und seinen Betrachtungen, die nicht freundlich, aber auch nicht traurig waren. Gestern, als er hier ankam, war er in einer vollständigen Erschöpfung gewesen und das Geschehene hatte noch mit all seinem Graus auf ihm gelastet. Das war aber über Nacht anders geworden, vier Stunden festen Schlafs hatten ihm seine Sprungkraft und Energie zurückgegeben und ließen ihn jetzt das Behagen an einem gut besetzten Frühstückstische voll genießen, was alles in allem überhaupt kein Wunder nehmen konnte; denn wenn er schon wie so viele andere die Fähigkeit hatte, sich die Dinge, auch die schlimmsten, nach seinem Wunsch und Bedarf zurecht zu legen, so war noch im besonderen alles, was sich gestern abend ereignet hatte, so wunderbar glücklich für ihn verlaufen, daß selbst ein zu Trugschlüssen und Spiegelfechtereien minder geneigter Charakter als der seine Veranlassung gehabt hätte, sich über Gewissensskrupel einigermaßen hinwegzusetzen. Was er vorgehabt hatte, nun, darüber mochte sich streiten lassen, was sich aber thatsächlich ereignet hatte, war nichts als ein Akt der Nothwehr gewesen Opitz hatte den ersten Schuß thun wollen, und wenn dieser Schuß versagt und ihm das Spiel in die Hand gegeben hatte, so war das so recht ein Zeichen, das ihn in seinem Gemüth beruhigen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_090.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)