Seite:Die Gartenlaube (1890) 095.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Ungedruckte Briefe Fritz Reuters.
I.

In einem einzigen Siegeslaufe haben die Werke Fritz Reuters sich die Welt erobert und den Dichterruhm des mecklenburgischen Humoristen fest gegründet. Es that keinen Eintrag, daß die Dichtungen Reuters in dem wenig bekannten Dialekt des kleinen mecklenburgischen Landes geschrieben waren; an die kleine Gemeinde derer, die dieses Dialektes mächtig waren, schloß sich die große Gemeinde der Lernenden an, die sich gern mit der Mundart vertraut machten, um einzudringen in die wundervollen Schätze Reuterscher Poesie. Der Leser, der nie ein Wort des Mecklenburger Dialekts gehört hatte, fühlte sich unwiderstehlich angeheimelt von den „Läuschen un Rimels“, tief ergriffen von den ernsten Gestalten der „Stromtid“, überwältigt von den rührenden Bildern in „Kein Hüsung“ und den wechselvollen Schicksalen „Hanne Nütes“.

So sind auf Fritz Reuters Werke seit langem die Augen vieler Tausende gerichtet, und alles, was über den Entwicklungsgang des Dichters Licht zu verbreiten geeignet ist, begegnet einer um so lebhafteren Theilnahme, als es sich nicht verbirgt, daß durch die Gebilde seiner Phantasie seine eigenen persönlichen Erlebnisse mannigfach hindurchschimmern.

Wir sind in der erfreulichen Lage, die Beiträge zu der Kenntniß von Fritz Reuters Leben um eine Reihe interessanter Briefe zu bereichern, die bisher nur einmal für eine Biographie des Dichters, und zwar für diejenige aus der Feder seines berühmten Landsmannes Adolf Wilbrandt, herangezogen und zu einem kleinen Theile in der Einleitung zur Volksausgabe der Reuterschen Werke bekannt gegeben worden sind. Von der Wiederholung der dort abgedruckten Bruchstücke sehen wir an dieser Stelle ab; nur in einem einzigen Briefe, dem ersten von Stuer aus datirten, mußten die von Wilbrandt herausgehobenen Bruchstücke bleiben, weil sie zum Verständniß des Ganzen unentbehrlich sind. Sämmtliche Briefe sind an Reuters vertrauten Freund Fritz Peters gerichtet und von dessen Sohn in gerechter Würdigung des Anspruches, den die Freunde des Dichters an diesen Schatz zu erheben haben, uns zur Veröffentlichung übergeben worden.

Wir drucken die Briefe ab, so wie sie geschrieben sind, um ihnen nichts von ihrer lebendigen und liebenswürdigen Eigenart zu nehmen; nur hin und wieder, wo der Freund dem Freunde ganz intime Mittheilungen macht, deren Veröffentlichung nicht angezeigt erscheint, oder wo der Dichter sich wiederholt, haben wir uns zu unwesentlichen Auslassungen entschlossen.

Das Verständniß der einzelnen Briefe haben wir durch kurze Uebergänge und Anmerkungen möglichst zu erleichtern gesucht und die Briefe nach dem Leben des Dichters zwanglos gesondert.

1. Aus dunklen Tagen.

Wir sind über die ersten Knaben- und Jünglingsjahre Reuters verhältnißmäßig gut unterrichtet, und dann wieder über die Zeit von Mitte der fünfziger Jahre bis zu seinem Tode, in welcher er als weithin bekannter Dichter sozusagen vor aller Augen lebte. Dazwischen liegt aber eine Zeit von mehr als zwanzig Jahren, die man mit Rücksicht auf die geringe Kenntniß, die man bisher von diesem Abschnitt hat, als die dunkle bezeichnen kann.

Die sieben Jahre der Gefangenschaft, beginnend mit Reuters Verhaftung im Oktober 1833, wirkten tief zerrüttend auf sein körperliches wie auf sein geistiges Leben. Unlust zu streng wissenschaftlicher Arbeit lähmte ihn, als er die Festung verließ, er war von tiefem Haß gegen viele Menschen und Dinge erfüllt, und es bedurfte langer Jahre der Genesung, bis er wieder zu jenem gemüth- und humorvollen Menschen wurde, der auch das Bitterste der Vergangenheit in heiterer Verklärung schaute und wiedergab. Diese Zeit der Genesung und Erstarkung ist es vor allem, die noch vielfach der Beleuchtung bedarf.

Als nach Reuters Entlassung von der Festung ein Versuch, die juristischen Studien wieder aufzunehmen, gescheitert war, wandte er sich der Landwirthschaft zu, und das war, wie der weitere Verlauf seines Lebens zeigt, zu seinem Heil. Die der Landwirthschaft gewidmete Zeit, die „Stromtid“, die Jahre der stillen ländlichen Zurückgezogenheit, der grübelnden Betrachtung seiner selbst und anderer, des nahen Umganges mit einfachen, gutherzigen Menschen, von denen er selber viel Gutes empfing, haben unendlich viel dazu beigetragen, den Mann in ihm heranzubilden, der mit so tiefer Empfindung und zugleich so heiteren Sinnes dichten und schreiben konnte.

Den bei weitem größten Theil dieser Zeit verbrachte Reuter auf dem Landgute Thalberg bei seinem Freunde Fritz Peters, ihn nach seinem Belieben in der Wirthschaft unterstützend. War der Freund auf Reisen abwesend, so vertrat er ihn vollständig in Haus und Hof, und solchen Gelegenheiten verdanken wir die Briefe, die hier zunächst folgen. Es werden auch diejenigen Stellen wiedergegeben, die sich auf wirthschaftliche Dinge beziehen, denn einerseits zeigen sie uns den berühmten Dichter in dem ungewohnten Lichte eines praktisch thätigen Landwirthes, andererseits sind auch sie meist in humoristisches, echt Reutersches Gewand gekleidet.

Zum Verständniß des ersten Briefes schicken wir die folgenden Erläuterungen voraus:

Peters ist acht Jahre jünger als Reuter, damals 29 Jahre alt und zeitweilig mit seiner Frau in Berlin. Der „Feind“ ist die Cholera. „Maus“ ist der Spitzname einer der kleinen Töchter, „Hanne“ ein empfindsames, häufig kränkelndes Dienstmädchen; „Adam“ der Hausarzt. „P.“ ist einziger Sohn, etwa ein Jahr alt, in welchem Frau Peters nach Art zärtlicher Mütter – und hiermit neckt Reuter sie – einen Engel zu erblicken glaubt, und der sich bis dahin in der That kräftig entwickelt hat.


„Thalberg, den 7. Oktober 1817.

Lieber Vater Papa Petersen!

Wunderschön ist nichts dagegen! Bonus vinus! Die Besatzung der Festung hält sich tapfer, hält sich meistens den Feind durch Schreien vom Leibe; eben quiekt die Maus. Die Blessirte, die Hanne, ist durch Adams Kamillenthee und gekochtes und geschmortes Obst, durch Wassersuppe in jeglicher Gestalt glücklich wieder in Aktivität gekommen, das heißt in keine plötzliche, sondern in eine ganz allmähliche, so ziemlich alles vergessende Aktivität. P. der II., der Große, der Einzige, kurz wie Madame[1] will, vielleicht auch P. der Engelländer (nicht Engländer), hat sich physisch wie moralisch sehr gebessert; das Kind sah bekanntlich nicht sowohl stets sehr, übel und unschön aus, sondern schien es auch darauf anzulegen, durch ungebührliches nächtliches Herumtreiben und Straßenspektakel das Leben, wenigstens die Nächte seiner biedern Eltern zu verbittern, vorzüglich seiner edeln Mutter; jetzt ist es ganz verändert, auf seiner klaren Stirn steht mit klaren Worten geschrieben: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, und nicht allein, daß er selbst diese Ruhe mit Heroismus ausübt, er sucht auch seine Geschwister mit Fischbeinstäbchen[2] sehr zu beruhigen; auch, wie gesagt, mit seiner physischen Beschaffenheit ist eine große Veränderung vorgegangen, das unruhige braune, brennende Auge[3] ist verschwunden, und aus einem Gesichtchen, dessen Rosen und Lilien vom Himmel stammen, blicken uns zwei klare, fromme, blaue Augen, wie ein Gruß des blauen, himmlischen Aethers, an; sein ins Bräunliche spielendes Haar hat sich in einer Nacht zu einem frommen Blond umgebleicht und fließt wie ein Sonnenstrahl auf dem kräuselnden Bach in lichten Locken auf die lieblich geschwellten Schulterblätter, zwischen denen sich plötzlich, wie durch Zauberschlag, ein Paar rundliche Erhöhungen gebildet haben[4], etwa wie beim Böckchen an der Stirn, wenn’s Hörner kriegt, aber unendlich viel reizender. Da stehen wir nun, wir armen unglücklichen Tröpfe, und bewundern dies liebliche Spiel einer überirdischen Natur: Großmama[5] schüttelt den Kopf und scheint unglücklich zu sein, daß ihr Enkel aus der Menschenart ausgeschlagen ist, Mutter Schultsch[6] sagt: ,Dat heff ich woll fegt!’ Adam will die Auswüchse operiren; Schoenermark,[7] der aussieht wie die Weisen Griechenlands zusammengenommen, sagt, indem er sein Heldenmaul[8] in Falten legt: ,Wenn der Junge ein Engel ist, dann ist’s kein Mensch, und ist er ein Mensch, dann ist’s kein Engel; es ist also alles Dummzeug;


  1. „Madame“ ist hier wie später immer Frau Peters.
  2. Indem er damit nach ihnen schlägt.
  3. Das Kind hatte in der That dunkle Augen und Haare.
  4. Ansätze zu Engelsflügeln.
  5. Mutter der Frau Peters, die bei ihrem Schwiegersohne wohnte.
  6. Alte Frau, die zur Wartung der Kinder angestellt war.
  7. Wirthschafter in Thalberg.
  8. Er war Soldat gewesen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_095.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)