Seite:Die Gartenlaube (1890) 098.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

(Stuttgart, Ferdinand Enke), und man mag dort im einzelnen die Darstellung der wahrhaft entsetzlichen Zustände nachlesen

Aber es kam das Jahrhundert der Aufklärung. Es lehrte die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz und bekämpfte die menschenvernichtende Grausamkeit der Strafen. Gleichzeitig trat von anderer Seite eine Bewegung für die Verbesserung der Gefängnisse auf, welche in dem Verbrecher nicht nur den Schädiger der Rechtsordnung, den Feind des Gemeinwesens, sondern auch den Unglücklichen erkennen lehrte.

Der Mann, welcher sich in erster Linie die Hebung des Gefängnißwesens zu seiner Lebensausgabe gemacht hat, ist der Engländer John Howard. Geboren 1726 als der Sohn eines Londoner Kaufmanns, streng puritanisch erzogen, ohne jegliche gelehrte Bildung, mit 17 Jahren durch den Tod seines Vaters Erbe eines Vermögens, das ihn unabhängig machte, bekundete er von früh auf einen lebhaften Trieb zur Verbesserung des Looses seiner Nebenmenschen.

Da hört er von dem furchtbaren Erdbeben zu Lissabon (1755). Sofort beschließt er, zu Hilfe zu eilen. Auf der Ueberfahrt fällt sein Schiff einem französischen Kaper in die Hände und nun lernt er als Kriegsgefangener den menschenunwürdigen Zustand der französischen Gefängnisse kennen, sein Blick ist zum erstenmal auf das Gefängnißelend gelenkt. In die Heimath zurückgekehrt, ruht er nicht eher, als bis er das Loos der Kriegsgefangenen in den beiden damals mit einander im Krieg liegenden Ländern, Frankreich und England, menschlicher gestaltet hat. 1773 zum Sheriff oder Richter seines Bezirkes gewählt, sieht er eines Tags, wie freigesprochene Gefangene ins Gefängniß zurückgeschleppt werden, weil sie dem Gerichtsschreiber und dem Gefängnißwärter die Sporteln nicht bezahlen können. „Er brachte diese Ungerechtigkeit vor den Gerichtshof und verlangte, daß man dem Gefängnißwärter Lohn zahle und den Gefangenen die Sporteln erlasse. Man fand seine Forderung gerecht, trug aber Bedenken, sie zu erfüllen, weil man keinen Vorgang, keinen 'precedent' habe, der Grafschaft diese Kosten aufzuerlegen. Da machte er sich auf den Weg, einen 'precedent' zu suchen; er wanderte von Grafschaft zu Grafschaft, voll Gefängniß zu Gefängniß und fand seinen 'precedent' nicht, aber überall denselben Schmutz, dieselbe Unordnung, dieselbe Zuchtlosigkeit, dasselbe Elend, dieselben betrügerischen, habsüchtigen Gefängniswärter.“

Das war für ihn der Anstoß, die Verbesserung des Gefängnißwesens mit allem Ernste und allem Nachdruck in die Hand zu nehmen. Noch mehrere Male hat er seine Wanderungen durch England wiederholt, weitreichende Studienreisen auch nach dem Festlande, ja bis in den Orient und nach der afrikanischen Küste gemacht. 42000 englische Meilen im Dienste seiner Sache zurückgelegt und 80000 Pfund Sterling von seinem eigenen Vermögen geopfert; er hat das englische Parlament für die Gefängnißreform zu erwärmen verstanden und in einem grundlegenden Werke („State of prisons in England und Wales“ 1777, d. h. „Zustand der Gefängnisse in England und Wales“) seine Erfahrungen und Vorschläge zusammengefaßt. Fernhaltung alles dessen, was dem Rechte und der Menschenwürde des Strafenden und des Bestraften widerspricht, das ist der Grundsatz, von dem er ausgeht und mit welchem er ein Vorbild für alle späteren Bestrebungen aus diesem Gebiete geworden ist.

Auf der letzten seiner großen Reisen ist er am 20. Januar 1790 zu Cherson in Südrußland infolge von Ueberanstrengung oder Ansteckung gestorben. Wohl war es die letzte Bitte des bescheidenen Mannes gewesen: „Setzt auf mein Grab eine Sonnenuhr, nichts weiter, und vergeßt mich!“ Aber er hat doch um seines edlen Wirkens willen in der Paulskirche zu London ein Denkmal erhalten und er ist es auch werth, daß heute noch, 100 Jahre nach seinem Tode, die Menschheit dankbar seiner gedenke. -




An südlichen Gestaden. (Zu dem Bilde S. 85.) Sie ist überall gleich, die stumme wortlose Sprache der Liebe, ob der dunstverhüllte kühle nordische Himmel sich über sie spannt, oder der Süden seine azurne Herrlichkeit über ihr leuchten läßt. Sie wird überall gesprochen und überall verstanden.

Im fernen Süden ist's, an wogenumspülter Küste. Ein schmales Vorgebirge zieht sich hinaus in das Meer und trägt auf seiner Spitze ein altes Tempelchen, das griechischer Schönheitssinn der meerentstiegenen Göttin erbaut. Hell und freudig sind die Töne dieser begnadeten Landschaft und nur vereinzelt dämpfen Oelbäume das helle Licht; düstere Cypressen ragen schlank zum Himmel empor, und aus ihren Zweigen rauschen ernste Gedanken.

Aber das Paar auf unserem Bilde, das versunken ist in die stumme Zwiesprache der Liebe, es schaut nicht hinauf zum blauenden Himmel, nicht auf die leuchtenden Töne der Felsen, es lauscht nicht dem Plätschern der Wogen und dem Säuseln des Seewindes, es verlangt nicht nach dem Schatten des Oelbaumes und hört nicht auf das ernste Flüstern der Cypressen. In stiller Frage reicht der Jüngling der Freundin die Blume und Antwort suchend hängt sein Auge an dem ihren - und alle Herrlichkeiten der Natur rings um sie her werden nur unbewußt von ihnen empfunden, sie sehen und zergliedern sie nicht, sie fühlen sie nur als ein Ganzes, als eine köstliche Harmonie, in der ihre Seelen voll Wonne sich wiegen und beglückt sich hingeben an den seligen Traum der Jugend und Schönheit.




Die hauswirthschaftliche Unterweisung armer Mädchen betitelt sich ein Buch von F. Kalle und Dr. D. Kamp (Wiesbaden, I. F. Bergmann), welches wir unseren Leserinnen um seines anregenden Inhalts willen empfehlen. Es behandelt in gründlicher und sachgemäßer Ausführung die große und brennende Frage des Arbeiterhaushalts, beziehungsweise seiner Vernachlässigung durch Frauen, die von der Wirtschaft nichts verstehen, weil sie aus der Volksschule in die Fabrik und von da in die Ehe traten. Bei den heutigen Löhnen kann auch der Arbeiter sich eines behaglichen und geordneten Heims erfreuen, falls er eine reinliche, ordnungsliebende Frau besitzt, welche zu kochen und zu flicken versteht; ihm diese zu verschaffen, ist das Ziel, welches von einer großen Zahl von Vereinen in Deutschland bereits angestrebt wird. Die Verfasser führen im Eingang des Buches aus, wie das Dienen in „bessern Häusern“ mit seinem mannigfachen Verwöhnungen nicht die wünschenswerthe Vorbildung liefert, weil die Mädchen eben das, was sie künftig selbst brauchen, nicht darin üben. Ausdrücklich wird hierauf betont, daß jede Haushaltungsschule nur ein Nothbehelf ist für die mangelnde Unterweisung durch eine tüchtige Mutter; dann kommt eine Uebersicht der überraschend großen Anzahl von praktischen Haushalts- Industrie-, Koch- und Flickschulen, die überall in Deutschland von Städten, Vereinen und Privaten bereits gegründet worden sind und sämmtlich segensreich wirken.

In Kassel, Mühlhausen, Rappoltsweiler und anderwärts hat man die Haushaltungskunde als neuen Gegenstand in die Volksschule eingeschoben, in vielen Städten (Stuttgart, Frankfurt, Karlsruhe) bestehen Tagesschulen, welche die aus der Volksschule abgegangenen Schülerinnen noch während einiger Zeit besuchen. All letzterem Ort hat die unermüdliche Großherzogin Luise Kochkurse gegründet, für die einfachsten Verhältnisse berechnet, welche im ganzen Lande Nachahmung finden. Ein Flickabend für Arbeiterfrauen in Frankfurt hat starken Zuspruch, ebenso steht es mit den vielen abendlichen Näh- und Flickschulen für Fabrikmädchen in der Rheinprovinz, in Dresden und Berlin. Kurz, es ist ein erfreuliches Bild sittlichen und wirtschaftlichen Fortschritts, welches uns aus diesen Blättern entgegensteht. Aber es bleibt noch unendlich viel zu thun, bis aus diesen Anfängen sich eine feste, ganz Deutschland umfassende Ordnung entwickelt. Dazu beizutragen sollten sich recht viele Frauen und Mädchen der oberen Stände entschließen. Ihnen vor allem sei das genannte Buch ans Herz gelegt als Anweisung zu eigener segensreicher Thätigkeit.

Br.




Neue Balladen von Heinrich Bierordt. Der Dichter, der sich aus dem Gebiete der Ballade einen Ruf verschafft und besonders dadurch Verdienste erworben hat, daß er an Stelle der alten Gespensterballaden oft zeitgeschichtliche gesetzt, hat jüngst „Vaterlandsgesänge“ herausgegeben (Heidelberg, Carl Winters Universitätsbuchhandlung). Die ersten derselben sind trauliche Idyllen, wie das Gedicht „Die Spieldose“ mit seinen Christfesterinnerungen und „Die Uhr der Großmutter“. Einem Loblied auf des Dichters engere Heimath Baden folgt eine Reihe geschichtlicher und litterargeschichtlicher Bilder, die in diesen vaterländischen Rahmen gefaßt sind. Auch werden uns Bilder der Verwüstung vorgeführt, von der jene schönen Lande durch die Einfälle der Franzosen zur Zeit des vierzehnten Ludwig und der Revolution heimgesucht wurden. Die dichterische Sprache hat Fluß und Schwung ohne Ueberschwänglichkeit. Der Dichter huldigt dem Geist der Neuzeit:

"O neue Zeit, wo immerdar
Dein Rad beflügelt läuft,
Die Freiheit aus dem Schwingenpaar
In goldnen Tropfen träuft."

Eine an die nächtliche Heerschau von Zedlitz erinnernde Ballade, die ihren Stoff aus einem der neuesten Vorgänge entnimmt und ein Kaiserwort poetisch illustrirt, ist:


Die Todten von Samoa
.

"O klagt nicht, da so sanft wir ruhn
Im Schoß des Oceans,
Hinabgerissen vom Taifun,
Den Wirbeln des Orkans.

5
Und hielten wir auch nicht die Wacht

Am Rhein mit blanker Wehre,
War's auch kein Kampf in offner Schlacht
Für deutschen Herdes Ehre;

Sind wir auch nicht, das Schwert zur Hand,

10
Feind gegen Feind gefallen -

Wir starben doch fürs Vaterland
Am Riffe der Korallen.

Gern hätten wir die Brust gekühlt,
Vertrau'nd dem Schlachtenglücke,

15
Eh' uns die Fluth hinabgespült

In mitternächt'ger Tücke.

Ruft Kaiser Wilhelm einst sein Heer
Zum ewigen Appelle,
Ziehn wir im feuchten Kleid einher,

20
Benetzt vom Schaum der Welle.


Wir schließen uns dem Reigen an,
Der bleichen Helden Scharen,
Vorüberschreitend Mann für Mann
In triefend nassen Haaren.

25
Mit Streitern von dem Strand des Rheins,

Von Metz, von Gravelotte,
Herwallen schimmernden Gebeins
Die Todten von der Flotte.

Nun schlummern wir in stiller Rast

30
Im tiefen Oceane.

Auf Meeresgrund noch wogt am Mast
Des Deutschen Reiches Fahne."




Philippine Welser vor Kaiser Ferdinand I.. (Zu dem Bilde S. 93.) „Ihre Haut ist so zart, daß man den rothen Wein, den sie trinkt, durch ihren Hals gleiten sieht“, so rühmten die Zeitgenossen von der Augsburger Bürgerstochter Phillppine Welser, dem schönsten Mädchen der damaligen Welt. Und Kaiser Ferdinands I. Sohn, Erzherzog Ferdinand von Tirol, sah sie, als er mit seinem Vater und seinem Oheim, dem Kaiser Karl V., im Jahre 1547 einzog in die alte Reichsstadt, und es ergriff ihn eine Liebe zu dem wunderbaren Mädchen, gegen die kein Bedenken und keine Furcht vor dem gestrengen Vater mehr aufkam. Wohl widerstand Philippine lange seinen glühenden Werbungen: erst 1550 ließ sie sich, wie es scheint, im Einverständniß mit ihren Eltern, heimlich zu Innsbruck mit dem Fürstensohne trauen. Aber über dem Glücke der Liebenden schwebte drohend der Zorn des kaiserlichen Vaters. Sechs Jahre lang blieb aller Verkehr zwischen ihm und dem Sohne unterbrochen: da endigte Philippine durch eine kühne That den unseligen Zwist.

Sie zieht mit ihren zwei Kindern nach Prag, wo der Kaiser sich aufhält. Unerkannt mischt sie sich bei der nächsten Audienz unter die Reihen der Bittenden, unter fremdem Namen trägt sie dem Herrscher das bittere Leid vor, das sie von einem harten Schwiegervater erdulde. Und sie entlockt dem alten Manne eine Thräne der Rührung, bei seinem kaiserlichen Worte verheißt er, ihr Recht zu schaffen - da giebt sich Philippine zu erkennen, und die gewaltige Macht ihrer engelgleichen Schönheit, die liebliche Unschuld ihrer reizenden Kinder siegen über den aufsteigenden Grimm des Getäuschten. Er weist die Versöhnung nicht mehr zurück und wenn auch die Ehe Ferdinands und Philippinens noch eine

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_098.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)