Seite:Die Gartenlaube (1890) 116.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Menz sei gescheit und umsichtig, und gerade, daß er auf der Hampelbaude vorgesprochen und genächtigt habe, das beweise sein gutes Gewissen. Auch daß er sich hier im Saal immer an der Thür gehalten und die Vorlesung der letzten Worte kaum abgewartet habe, spreche nicht so sehr gegen ihn, als es scheine, wohl aber spreche das für ihn, daß er der erste gewesen sei, der auf Hilfe gedrungen habe. Ja, rasche Hilfe, das sei das einzig Richtige gewesen, und er für seine Person beklage jetzt aufrichtig, daß man nicht gleich gestern abend diese Hilfe geleistet habe. „Mondschein war. Und vielleicht hätten wir ihn um Mitternacht noch am Leben gefunden.“

Auch diese Rede wurde beifällig angenommen, was den alten Klose sichtlich verstimmte, und weil man sich, wie das so leicht geschieht, infolge dieser immer persönlicher werdenden Fehde nicht recht einigen konnte, stand man eben auf dem Punkt, die Frage nach der Täterschaft vorläufig wenigstens ganz fallen zu lassen, als der Grenzaufseher und gleich nach ihm der junge Forstgehilfe, die man beide zu weiterer Nachforschung an Ort und Stelle zurückgelassen hatte, voll großer Aufregung eintraten. Sie waren erschöpft, denn es war immer schwüler geworden; trotzdem ließ sich unschwer von ihrer Stirn lesen, daß sie gute Botschaft brachten und ihr Suchen nach einem Anhaltspunkte nicht vergeblich gewesen war.

„Nun, Ihr Herren,“ empfing sie der alte Klose mit der ihm eigenen Gemüthsruhe. „Was bringt Ihr? Aber erst einen Cognac und dann Euren Bericht. Eine Bärenhitze! Maywald, wir wollen Thür und Fenster aufmachen. So! Nun herangerückt! Und nun, Ihr Herren, was giebt es?“

Der Grenzaufseher, welcher der ältere war, nahm zunächst das Wort und erzählte mit vieler Anschaulichkeit, wie sie, nach Ausmessen der Fußspuren – denn ’was anderes habe sich nicht finden lassen wollen – nahe dran gewesen seien, unverrichteter Sache wieder umzukehren, als sein Kamerad, und hierbei wies er auf den jungen Forstgehilfen, eines angebrannten Papierstückchens ansichtig geworden sei, das an der abgestochenen schmalen Lehmwand des Weges geklebt habe. Dies Papierstückchen sei, wie sie gleich vermuthet, ein Schußpfropfen gewesen, was sie denn bestimmt habe, dasselbe sorglich auseinander zu fallen und zu glätten. Hier sei es und könne vielleicht zur Entdeckung des Thäters führen; denn es sei, wie leicht zu sehen, kein gewöhnliches Stück Zeitungspapier, sondern ein Stück von einem alten Kalender, und der Monat sei noch halb und die Jahreszahl 1816 noch ganz deutlich zu lesen. Er glaube, daß das wichtig sei; denn in demselben Hause, drin man einen alten Kalender von 1816 finde, werde man muthmaßlich auch den Mörder zu suchen haben.

Alles war unter diesem Berichte des Grenzaufsehers in Aufregung gerathen, weil jeder fühlte, daß die nächste Stunde schon das Geheimniß aufklären müsse. Natürlich war eine Haussuchung nöthig, und zur Frage stand nur noch das eine, bei wem damit begonnen werden solle.

„Bei wem anfangen?“ fragte der Alte.

„Bei Lehnert Menz,“ antwortete der Forstgehilfe.

„Gut! Und wann?“

„In dieser Minute noch. Denn er hat viel Freundschaft hier herum, und erfährt er, was wir Vorhaben, oder wohl gar, wonach wir suchen, so wandert der Kalender in den Ofen oder er selber in die Welt. Er hat es schon lange vor.“

Alle waren einverstanden. Nur einige wenige blieben im Kretscham zurück, der Rest aber ging auf Wolfshau zu.

Bei der großen Hitze, die herrschte, zog man es vor, die ganz in greller Sonne liegende Chaussee zu vermeiden und lieber von dem hochgelegenen Kretscham aus gleich nach links hin bergab zu steigen, um hier, im Schatten der Berglehne, den Weg an der Kühlung gebenden Lomnitz hin zurückzulegen. Unterwegs wurden einige wieder unsicher und Zweifel ließen sich hören, die, wenn sie nicht geradezu von dem jüngeren Gerichtsmann ausgingen, so doch wenigstens durch eben diesen genährt wurden. Ein halbverbrannter Papierpfropfen sei gefunden worden, so viel stehe fest, aber dieser Papierpfropfen brauche keineswegs aus dem Gewehre des Wilddiebs zu stammen. Auch Opitz habe geschossen, wenn nicht im Kampf, worüber sich vielleicht streiten lasse, so habe er doch jedenfalls ein paar Noth- und Signalschüsse abgegeben, was aus seinen eigenen Aufzeichnungen hervorgehe. Solcher Aeußerungen wurden hinten im Zuge mehrere laut, aber an der Spitze der Kolonne, wo neben Klose der aus Erdmannsdorf herbeigekommene Gendarm Brey marschirte, hielt man an der einmal gefaßten Meinung fest und war nur einigermaßen überrascht, als man im Näherkommen an das Inselchen und seine Stellmacherei Lehnert Menz gewahr wurde, welcher unter der Thür stand und damit beschäftigt war, ein paar überhängende Rosenzweige mit Bast wieder zurück an den Stamm zu binden.

So wenigstens schien es. Er stand abgewandt und sah sich bei seiner Arbeit erst um, als er den Tritt der Herankommenden auf der kleinen Bohlenbrücke hörte. Daß er zusammenfuhr und sich verfärbte, sah niemand. Entschlossen ging er dem Trupp bis an den Brückensteg entgegen und begrüßte den alten Gerichtsmann.

„Ich weiß, Gerichtsmann Klose, weshalb Sie kommen.“ Dabei zog er den Hut und trat respektvoll bei Seite. Der Angeredete lächelte.

„Nun gut, Lehnert, wenn Ihr wißt, weshalb wir kommen, so werdet Ihr auch nicht erstaunt sein, wenn wir vorsichtig sind und Eure kleine Festung absperren und die Brückenstege besetzen. Ich will Euch und uns wünschen, daß sich schließlich alles als ‚nicht nöthig gewesen‘ herausstellen möge. Vorläufig aber muß ich Euch bitten, voranzugehen und dafür zu sorgen, daß wir Euch im Auge behalten. Im übrigen sollt Ihr, vor der Hand wenigstens, persönlich unbehelligt bleiben, denn es handelt sich nicht um Eure Person, sondern um eine Sache. Wir sind nämlich hier, um Euer Haus nach einem falschen Bart zu durchsuchen“

Der alte Klose sagte das so hin, um den unter Verdacht Stehenden auf eine falsche Fährte zu führen und dadurch sicher zu machen, was auch glückte. Lehnert stieg voran schreitend die Steintreppe hinan, während der Gerichtsmann und der junge Fachgehilfe folgten. Gendarm Brey aber postierte sich vor der Vorderthür und überwachte von dieser seiner Hochstellung aus die durch den anderen Trupp erfolgende Besetzung der beiden Brückenstege.

In der Stube begann inzwischen ein Wehklagen und Geschrei. Die alte Menz warf sich dem Gerichtsmann zu Füßen, küßte dem jungen Forstgehilfen die Hand und schwor und jammerte, daß sie unschuldig sei und von nichts wisse, und daß Lehnert auch unschuldig sei und ein frommes Gemüth habe, was ja der liebe Pastor Siedenhaar bestätigen könne, der ihn auf die Freischule geschickt, weil er immer die Sprüche so gut gelernt und immer neben der Orgel gestanden und am besten gesungen habe. Ja, so sei das Lehnertchen immer gewesen, ein frommes Gemüth und kränke keinen und keine Fliege nich an der Wand. Und was die Leute gesagt haben und was auch Opitz gesagt habe, – Gott hab’ ihn selig, denn er war ein engelsguter Mann, und nun gar erst die Frau, die gab all und jedem, – das sei nicht wahr und alles bloß gelogen, weil es so viel schlechte Menschen gebe, die einem nichts gönnen, und sie seien unschuldig. Und wenn sie vor Gottes Thron stünde und sie sollte es anders sagen, so könnte sie nicht anders sagen, als daß sie unschuldig seien und Lehnert auch, denn er sei immer ein frommes Kind gewesen, und Siebenhaar unten in Arnsdorf . . .

In diesem Augenblicke wurde der junge Forstgehilfe, während die Hände der Frau Menz die Kniee des alten Klose nach wie vor umklammert hielten, einiger an einer Bindfadenschlinge hängender Kalenderblätter gewahr und machte Miene, darauf zuzuschreiten. Lehnert, der mit klugem Auge jeder Bewegung gefolgt war, wußte, daß man ihn jetzt in Händen habe.

„Laß doch, Mutter!“ rief er dieser in erkünsteltem Zorne zu, während er die Knieende vom Boden aufriß, „was erniedrigst Du Dich? Ich will das nicht. Ich kann das nicht mit anseh’n.“

Und die kleine Frau heftig schüttelnd, schob er sie, scheinbar nur um dem Geschrei und Gewimmer ein Ende zu machen, aus die Thür und den Flur zu.

Der mittlerweile ganz an seine Fährte gebannte Forstgehilfe war, ohne für das, was sonst in der Stube vorging, einen Blick zu haben, an die vergilbten Blätter herangetreten und hob sie sammt dem Faden, daran sie hingen, vom Nagel. Und schon das erste, worauf sein Auge fiel, war das, wonach er suchte.

„Wir haben ihn!“ Und triumphirenden Auges an den alten Gerichtsmann herantretend, wies er auf die Jahreszahl oben rechts in der Ecke. „Wir haben ihn!“

Und unter diesen Worten eilte man nach dem Flur hinaus, um Lehnert, dessen Schuld nun klar war, in Verhaft zu nehmen. Aber wo war er? Die Alte lag draußen, in wirklicher oder erheuchelter Ohnmacht, jedenfalls unfähig oder unwillig, auf die stürmisch an sie sich richtenden Fragen Antwort zu geben. Wo war er?

Die Brückenstege waren nach wie vor besetzt, so mußt’ er

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_116.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)