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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

deutscheste Gesicht, das ich all mein Lebtag gesehen habe. Lache nur! Und siehst dabei so klar aus und so gut. Du gefällst mir.“

„Du nennst mich Du?“

„Und Du mich auch,“ fuhr Lehnert fort, „was mir nur beweist, daß ich recht habe. Du bist nicht bloß ein Deutscher, Du bist auch ein Mennonit. Und die Mennoniten nennen sich, glaub’ ich, ,Du’, ganz so wie die Quäker.“

„Daß ich nicht wüßte. Jedenfalls nicht immer.“

„Aber doch oft. Und wenn sie Tobias Hornbostel heißen, dann ganz gewiß. Nicht wahr?“

„Ja, dann gewiß,“ antwortete Tobias und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich sehe, Du hast gute Augen und hast Namen und Ort auf dem Messingschilde gelesen. Und aus ,Nogat-Ehre‘ hast Du den Schluß gezogen, daß ich ein Mennonit sein müsse.“

„Freilich. Aber Du triffst es nur halb. Schon Dein Name Hornbostel hätte mir alles gesagt, auch wenn ich den Ortsnamen Nogat-Ehre gar nicht gelesen hätte. Vor sechs Jahren, als ich eben herübergekommen, war ich in Dakota, wo sie damals die Schwellen und Schienen für die Nord-Pacific-Bahn legten, und in einem Dorfe, das uns wegen seiner Tieflage viel zu schaffen machte – wenn ich nicht irre, nannten sie’s Dirschau –, in eben diesem Dorfe waren Mennoniten, und der Oberste der Gemeinde hieß Hornbostel, Obadja Hornbostel, mir noch deutlich in Erinnerung, weil wir, verzeih’, über den Namen oft scherzten. Und ich weiß auch, daß die Rede davon war, in Obadja Hornbostels Farm einzutreten, wo’s uns jedenfalls besser ergangen wär’, als in unserem fiebrigen Sumpfloch. Aber ich hatte damals noch die Sehnsucht nach den Diggings hin, weil ich ein Narr war und reich werden wollte. Sonst hält’ ich’s wahrhaftig auf der Stelle versucht . . . Obadja Hornbostel, ein hübscher, aber etwas sonderbarer Name.“

„Das war mein Vater.“

Lehnert erschrak fast. „Aber das war ja doch in Dakota, neunhundert englische Meilen von hier.“

„Und ist doch so, wie ich sage. Wir waren erst in Dakota, da bin ich auch geboren, und meine Schwester Ruth auch. Und unsere Mutter ist da begraben. Und wir dachten auch in Dakota zu bleiben. Als aber ein Streit mit der Behörde kam und die klugen Herren, die man uns nach Dakota schickte, so thaten, als ob wir Mormonen seien, oder doch nicht viel anders, da machte der Vater kurzen Prozeß und zog aus wie Abraham, und die ganze Kolonie mit ihm, und diesen Herbst werden es fünf Jahre, daß wir hier sind und eine neue Heimath haben, in der man uns, bis jetzt wenigstens, nicht gestört hat. Erst sollt’ es wieder Dirschau heißen, so wenigstens wollt’ es der Vater, aber schließlich gab er es auf und nannt’ es wie die Gemeinde wollte. Und so wohnen wir denn in ,Nogat-Ehre‘.“

Lehnert sah nachsinnend in die Landschaft hinaus. Erst nach einer Weile nahm er das Gespräch wieder auf und sagte: „Glaubst Du, daß Dein Vater mich brauchen kann?“

Tobias schwieg.

„Du schweigst. Und ich sehe daraus, Ihr seid sehr wählerisch geworden seit Dakota.“

„Nein. Das nicht. Ich überlege nur, wie’s wohl ginge.“

„Das soll Euch keine Sorge machen. Ich habe von Kind auf Schwielen an meinen Händen gehabt und wenn ich sie hatte, war mir immer am wohlsten. Ich will Deinem Vater in der Wirthschaft helfen, pflügen und graben, wenn es sein muß, und das Vieh austreiben. Ich weiß mit Axt und Säge Bescheid und kann Uhren reparieren und Dach decken, mit Schindel und mit Stroh, und einen Stollen in den Berg schlagen. Und ich kann auch die Schreiberei besorgen und werde mich überhaupt schon nützlich machen.“

Toby nickte. Als aber Lehnert gleich danach in Erfahrung brachte, daß man in weniger als einer halben Stunde schon auf Station Darlington eintreffen werde, ließ er das Thema, das er vorläufig als erledigt ansah, fallen und sprach statt dessen von Utah und den Heiligen am Salzsee und zuletzt auch von Kalifornien.

„Kennst Du Kalifornien?“ fragte Toby.

„Nur zu gut! Was ich in vier Jahren in den Diggings erworben, bin ich in vier Monaten in San Francisko wieder los geworden. Aber es ist gut so. Ich habe nie am Gelde gehangen und will nur frei sein. Ist Dein Vater streng? Ein großer Befehlshaber?“

„Er befiehlt nie. Er sagt nur: ,Ich denke, wir machen das so.‘“

Lehnert lachte: „O, das kenn’ ich, das ist die fromme Form, aber es läuft auf dasselbe hinaus. Uebrigens ist’s mir gleich. Wo Verstand befiehlt, ist der Gehorsam leicht. Bloß der Befehl rein als Befehl, bloß hart und grausam, da kann ich nicht mit, das kann ich nicht aushalten.“

Toby sah ihn groß an. „Das ist recht, was Du da sagst. So denk’ ich auch und so denken wir alle. Und wenn Du so bist, da bin ich auch sicher, Du wirst dem Vater gefallen. Er hat es gern, wenn man frei spricht und eine Meinung hat. Aber eine Form muß es haben, darauf hält er.“

Unter diesem Gespräche hatte man Darlington erreicht, und beide stiegen aus. Ein kleines Ponygefährt war schon vorher bis dicht an das Stationsgebäude herangefahren und ein junges Mädchen von kaum sechzehn Jahren hielt die Zügel in Händen. „Grüß Dich Gott, Ruth!“ rief Tobias schon von weitem. Ein listig dreinschauender junger Cherokee, der den Dienst auf der Station hatte, stand neben dem Gefährt und wartete. Diesem warf das junge Mädchen mit großer Geschicklichkeit die Zügel zu, sprang vom Wagen und war im nächsten Augenblick in herzlichem Gespräch mit ihrem Bruder. Dies Gespräch aber drehte sich um Lehnert und ob man ihn nicht sofort nach Nogat-Ehre mit hinausnehmen solle, was die Schwester von ihrem Bruder Toby zu fordern schien. Und in der That trat dieser noch einmal an Lehnert heran und sprach in dem Sinne, wie’s Ruth gewollt hatte. Lehnert aber wollte, daß Toby erst bei seinem Vater anfrage, und so lehnte er es ab, sofort mitzugehen. Er werde die Nacht im Stationshause zubringen und am anderen Morgen auf die Farm hinauskommen. So sei’s am besten und Toby solle nur vorher schon für ihn sprechen und nichts von dem vergessen, was er ihm gesagt habe.

Damit trennte man sich, und eine Minute später rollte das Ponygefährt wieder in die Landschaft hinein. Toby fuhr jetzt, während Ruth den Arm um des Bruders Schulter gelegt hatte. Der blaue Schleier flog und an einer Biegung des Weges sahen sich beide noch einmal um und grüßten.

„Unschuld . . . “ sagte Lehnert. „Wer Dich hat, hat das Glück.“


15.

Am andern Morgen war Lehnert früh auf. Die Luft war frisch und steigerte das Wohlgefühl, das ihm ein guter und auskömmlicher Schlaf gegeben hatte; trotzdem aber war seine Zuversicht dahin und einem starken Zweifel gewichen, dem Zweifel, ob er, trotz seiner Unterredung mit Tobias, den Schritt auch thun und sich in Nogat-Ehre melden solle. Wie war sein Leben verlaufen? Unter Abenteuer und Gewaltthätigkeit und unter Auflehnung gegen Ordnung und Gesetz. Und er wollte sich bei den Mennoniten verdingen? Ja, wer waren denn die Mennoniten? Damals, als er noch in Dakota lag und abends beim Gin immer nur ein Witzeln über die Mennoniten hörte, die für reich galten und weiter nichts, da hätt’ es vielleicht gepaßt, weil er’s nicht besser wußte. Jetzt aber wußte er, daß es fromme Leute seien, fleißig und wahrheitsliebend und Feinde von Eid und Krieg, und in solche Friedensstätte wollt’ er einbrechen? Das durft’ er nicht; er gehörte nicht dahin, er war eine Störung, und wenn er keine Störung war und den Frieden der Friedfertigen nicht trübte, war er seinerseits der Mann, den Frieden, den er da vorfand, auch nur tragen zu können? Lag es nicht so, daß der Krieg sein einzig Stück glücklich Leben gewesen war? Und was verwarf der Mennonit mehr als den Krieg?

So sinnend, sah er auf das Bahngeleise, das auf kaum zehn Schritt Entfernung hart an ihm vorüber nach Norden führte. War es nicht besser, diesem eisern vorgeschriebenen Wege, wie er’s ursprünglich gewollt hatte, zu folgen?

Er überlegte noch, als er schräg neben der Bahn ein zierliches kleines Fuhrwerk über die Felder kommen sah, und ein zweiter rascher Blick war ausreichend, ihn erkennen zu lassen, wer die Herankommenden seien. Es waren die Geschwister, die gestern auf demselben Feldwege die Heimfahrt nach Nogat-Ehre gemacht hatten, und Ruths Schleier, der auch heute wieder wehte, nahm ihm den letzten Zweifel. Und mit diesem Zweifel fielen auch alle die Bedenken, die seit Stunden auf ihm gelastet hatten, wieder von ihm ab und es stand wieder fest in seiner Seele, daß er’s bei den Mennoniten versuchen müsse. Freudig erhob er sich und ging rasch auf den kleinen Wagen zu, der, eben die Schienen kreuzend,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_119.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)