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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


in einem besonders kraftvollen „Bogens“ auf dem Eise bewundern sollten. Er hielt sich natürlich etwas abseits von den Seinigen, da eine Mutter und gar Schwestern zu besitzen zwar innerhalb der vier Wände des Hauses ganz angenehm und schätzenswerth sein kann, sich aber zu einem beschämenden Gefühl zu steigern pflegt, wenn man „Bekannten“ begegnet.

Die etwas gereizte Frage der Mutter, was denn eigentlich daran so blamabel sei, erwiderte Robert mit der überraschenden Eröffnung ; „Nun, wenn zum Beispiel der Schwarz dann fragt: ‚Das waren wohl Deine Schwestern?’ da schäme ich mich zu Tode!“ - ein räthselhafter innerer Vorgang, dessen Berechtigung von der Mutter nicht anerkannt würde.

Die Folge war also, daß Robert die Breite der Fahrstraße zwischen sich und die Seinigen legte und so unbefangen aussah, als gingen sie ihn gar nichts an.

Er beglückwünschte sich innerlich um so mehr über sein Verfahren, als eine Gruppe von Damen sich der Mutter zugesellte, die ebenfalls Söhne auf dem Eise zu bewundern wünschten und dieselben sogar zum Theil mit sich führten.

Zu Roberts sprachloser Empörung winkte die Mutter ihn jetzt heran, sein Inkognito grausam vernichtend: „Komm nur, Junge, warum hast Du Dich denn so?“ worauf er zögernd näher schlich.

„Die Jungen können ja zusammen gehen, Frau Neumann,“ wandte sich die eine der Damen an die andere, mit dem theuren Namen Roberts Herz zu schnelleren Schlägen bringend: am Ende konnte er hier gar mit dem Bruder der Angebeteten in wünschenswerthe Beziehungen treten!

Die Mutter wandte sich auch nach ihm um und warf ihm einen lächelnd verständnißvollen Blick zu. In dem Augenblicke erhob der von Frau Neumann mit den formlosen Worten „Das ist Meiner!“ gekennzeichnete Junge seine Stimme, sah Robert mit einem frischen, freundlichen Gesicht an, das diesem unwürdig bekannt vorkam, und sagte lachend: „Ach, das ist ja der, der neulich mit mir tanzen wollte und nicht konnte!“

Das war das Ende von Roberts erster Liebe. Die Rokokodame war ein Tertianer - die Neumann war der Neumann und Robert war der Blamirteste unter allen Schuljungen des 19. Jahrhunderts!

Wie er den vernichtenden Schlag auffaßte, den die Mutter nicht unterlassen konnte; durch ein herzliches Gelächter zu feiern, das kann man sich wohl denken! Er machte kurz auf dem Absatz kehrt, rannte, Schlittschuhfreuden und alles vergessend, schnurstracks nach Hause und schloß sich in seine Stube ein, wo er den ganzen Nachmittag dazu verwendete, alle N von der Wand und den Fensterbrettern viel sorgfältiger abzukratzen, als er sie hingemalt hatte.

Das Stillschweigen seiner Schwestern aber sicherte er sich in der zarten Weise, daß er ihnen freundlich ankündigte: „Wer jemals noch ein Wort von der Neumann zu mir sagt, der mag's nur probiren - den schlage ich einfach todt!“

Da nun die beiden jungen Damen zu dieser Erfahrung keine besondere Lust verspürten, so wurde Roberts erste Liebe bald im Schoßes der Familie mit Stillschweigen übergangen, - und wenn sie zu seinem Polterabend einmal wieder auftauchen sollte, so wird er bis dahin wohl ruhiger darüber denken gelernt haben!





Ein Widerschein der französischen Revolution.
Von F. A. v. Winterfeld.

Ideen „schweben in der Luft“, sagt man, und man bezeichnet damit nicht immer ihre Haltlosigkeit, ihre mangelhafte Begründung, sondern noch mehr die geflügelte Natur, wie sie den Kindern der Lüfte eigen ist. Unbekümmert um räumliche Schranken überfliegen sie die Lande, unfaßbar, ungreifbar sind sie da, mit ihrem erstickenden Wehen frisches Leben in müde, gedrückte Geister zu ergießen oder auch mit dem Gluthhauch der Leidenschaft Schrecken und Verderben zu verbreiten.

Der hundertste Jahrestag der französischen Revolution hat vielfach der geschichtlichen Forschung Veranlassung gegeben, den Spuren dieser Riesenumwälzung im Reiche der Geister auch in die Gegenden zu folgen, die vom eigentlichen Schauplatze der weltgeschichtlichen Begebenheiten weitab liegen, und es bietet ein höchst merkwürdiges Schauspiel, zu beobachten, wie unter dem Einfluß der gährenden Zeitideen überall die Flämmchen der politischen Aufregung emporzucken, wenn sie auch nirgends so zum erheerenden Brande zusammenlodern wie in Frankreich.

Von diesem Gesichtspunkte aus verdient auch ein Ereigniß Beachtung, das vor etwa einem Jahrhundert im damaligen Kurfürstenthum Sachsen sich zutrug, der sächsische Bauernauf-, oder wie man es jetzt wohl mit einem neuerdings geläufig gewordenen Ausdrucke bezeichnen würde, Bauernausstand.

Die Lage des Bauernstandes im Kurfürstenthum Sachsen war auch in den Landestheilen, in welchen die Leibeigenschaft nicht herrschte - in der Oberlausitz bestand sie bis 1832 - eine keineswegs leichte und erfreuliche. Frondienste, Zinsen, Lieferungen und Steuern erschwerten dem Landmann den Kampf ums Dasein und erregten - jedoch, wie wir sehen werden, nicht ohne Anregung von außen - einen allgemeinen Ausbruch seiner Unzufriedenheit.

Im August des Jahres 1790 verweigerten plötzlich die Bauern der Lommatzscher Pflege fast einmüthig die Leistung der Frondienste und Erbzinsen. Die Auflehnung war nicht wider den Staat, sondern wider die Gutsherren gerichtet, denn die Bauern erklärten, sie wollten die kurfürstlichen, nicht aber ferner die gutsherrlichen Abgaben und Dienste leisten. Die einzelnen Dorfschaften waren durch eine feste Organisation und geregelte Verpflichtungen mit einander verbanden. Diebstahl und Plünderung wurde zwar nicht geduldet, jedoch trug man kein Bedenken, die Gutsherren mit sanfter Gewalt zu allerlei schriftlichen Zugeständnissen wie Erlaß der Fronden und sogar Abtretung von Feldern und Wiesen zu nöthigen.

Als man nachforschte, woher der Geist des Aufstandes und der Widersetzlichkeit plötzlich über die sonst so friedlichen Bauern gekommen war, stellte sich folgendes heraus: Im Sommer 1790 war von unbekannter Seite eine geschriebene Aufforderung an das gräflich Bünausche Städtchen Lauenstein gelangt und dort verbreitet worden, die Einwohner möchten sich bereit halten, sich an die 10 000 Mann anzuschließen, welche nach Pillnitz ziehen würden, um den Kurfürsten „im Triumph mit fliegenden Fahnen und unter klingendem Spiel“ von dort nach Dresden zu führen. Wie man sieht, war es auf eine Nachahmung, der Vorgänge abgesehen, welche sich wenige Monate früher in der französischen Hauptstadt abgespielt hatten, als der Pariser Pöbel am 6. Oktober 1789 Ludwig XVI. von Versailles nach Paris entführte.

Dann sollte der Kurfürst, wie es weiter in dem Aufruf hieß, folgenden Forderungen seine Bestätigung geben: 1. Absetzung aller derjenigen, welche Sachsen unglücklich machten, und Einziehung ihrer Güter. 2. Errichtung einer Nationalgarde zu Fuß und zu Pferde. 3. Umänderung des Acciswesens. 4. Beschränkung der Rittergutsbesitzer, „damit sie Sachsen nicht zu einer Wüste und Einöde machten“. 5. Verbot des Wildhegens. 6. Entfernung aller Rechtspraktikanten, sofern sie nicht eine wirkliche Bestallung hätten. 7. Bessere Einrichtung des Kultusministeriums. 8. Aufhebung der Fleisch- und Tranksteuer. - Jeder der Mitziehenden sollte sich für einige Tage mit Lebensmitteln versehen. Die Sammelplätze seien Dohna und Liebstadt. Die Orte, welche sich nicht anschlössen, sollten geplündert werden.

Auch in diesen Forderungen, von denen manche vielleicht nicht ganz unberechtigt waren, entdeckt man ohne Mühe das französische Vorbild, so namentlich in dem Verlangen der Errichtung einer Nationalgarde. Bekanntlich waren die „gardes francaises“, nachdem sie sich bei der Einnahme der Bastille betheiligt hatten, in die „gardes nationales“ umgewandelt worden.

Als Verfasser und Verbreiter des Aufrufes wurde ein sonst nicht übel beleumundeter Mann Namens Geißler aus Liebstadt ausfindig gemacht. Nachdem die Aerzte erklärt hatten, daß er unter der Einwirkung einer fixen Idee gehandelt haben müsse, wurde er als irrsinnig behandelt und in die Irrenanstalt zu Torgau gebracht, jedoch nach einigen Jahren wieder entlasten, da er sich durchaus vernünftig betrug. Jedenfalls war die Kunde von den Vorgängen in Frankreich zu ihm gedrungen und hatte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_127.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)