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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Egon hätte es unter anderen Umständen vielleicht sonderbar gefunden, daß sein Freund so entschieden das Anerbieten des alten Mannes ablehnte und sich selbst der Mühe des Suchens auf der dunklen Wendeltreppe unterzog, jetzt aber war er gänzlich von seinem Erkläreramte in Anspruch genommen und schien es nicht gerade ungern zu sehen, daß man ihm das Feld allein überließ. Frau von Wallmoden hatte das Fernglas angenommen, das er ihr bot, und folgte mit offenbarer Aufmerksamkeit seinen Erläuterungen, während er ihr die einzelnen Höhen und Ortschaften nannte.

„Und dort drüben, hinter jenen Waldbergen, liegt Rodeck,“ schloß er endlich, „das kleine Jagdschloß, wo wir wie zwei menschenfeindliche Einsiedler hausen, abgeschnitten von aller Welt, nur in Gesellschaft einiger Affen und Papageien, die wir aus dem Orient mitgebracht haben und die auch schon ganz melancholisch geworden sind.“

„Sie sehen aber gar nicht aus wie ein Menschenfeind, Durchlaucht,“ sagte die junge Frau mit einem flüchtigen Lächeln.

„Ich habe allerdings nicht viel Anlage dazu, aber Hartmut hat bisweilen förmliche Anfälle von dieser Krankheit, und ihm zu Gefallen vergrabe ich mich dann auch wochenlang mit in die Einsamkeit.“

„Hartmut? Das ist ja ein urgermanischer Name, und es ist auch überraschend, daß Herr Rojanow das Deutsche mit so vollkommener Reinheit, ohne jede fremdartige Beimischung spricht. Er stellte sich mir doch als Ausländer vor.“

„Gewiß, er stammt aus Rumänien, ist aber in Deutschland bei Verwandten erzogen, von denen er wohl auch den deutschen Vornamen geerbt hat,“ sagte der junge Fürst so unbefangen, daß man sah, er wußte selbst nichts anderes über die Herkunft seines Freundes. „Ich lernte ihn in Paris kennen, als ich gerade im Begriff stand, meine Orientreise anzutreten, und er entschloß sich, mich zu begleiten. Es war mein Glücksstern, der ihn mir zuführte!“

„Sie scheinen sehr eingenommen von Ihrem Freunde zu sein.“ Es lag etwas wie leise Mißbilligung in dem Tone.

„Ja, Excellenz, das bin ich auch,“ fiel Egon aufflammend ein, „und nicht ich allein! Hartmut ist eine von jenen genialen Naturen, die überall, wo sie nur erscheinen, die Menschen im Sturme erobern und gewinnen. Man muß ihn sehen und hören, wenn er sich ganz und voll giebt, ohne jeden Rückhalt, dann flammt es wie Feuer aus seiner Seele in die der anderen, dann taucht er alles um sich in Gluth und Begeisterung, reißt alles mit sich fort, und man muß ihm folgen, gleichviel wohin der Flug trägt.“

Die begeisterte Schilderung fand eine sehr kühle Zuhörerin, die junge Frau schien ihre Sinne ganz der Landschaft zuzuwenden, während sie erwiderte:

„Sie mögen recht haben, Herrn Rojanows Augen verrathen etwas davon, aber auf mich machen solche Feuerseelen einen mehr unheimlichen als sympathischen Eindruck.“

„Vielleicht weil sie den dämonischen Zug tragen, der fast immer dem Genie eigen ist. Auch Hartmut hat ihn, er erschreckt mich bisweilen damit, und doch ziehen mich gerade diese dunklen Tiefen seines Wesens unwiderstehlich an. Ich habe es wirklich verlernt, ohne ihn zu leben, und werde alles dran setzen, ihn hier in meiner Heimath zu fesseln.“

„In Deutschland? Das wird Ihnen schwerlich gelingen, Durchlaucht. Herr Rojanow hegt eine sehr geringe Meinung von unserem Vaterlande, er verrieth das vorgestern bei unserer Begegnung in ziemlich verletzender Weise.“

Der junge Fürst wurde aufmerksam. Die Worte erklärten ihm auf einmal jene kalte Zurückhaltung, deren sich Hartmut einer schönen Frau gegenüber sonst nie schuldig machte und die ihn gleich im ersten Augenblick befremdet hatte. Aber er lächelte.

„Ah, deshalb also schwieg er über das Zusammentreffen! Excellenz haben ihm vermuthlich Ihren Unwillen gezeigt; es geschieht ihm ganz recht, warum lügt er mit einer solchen Beharrlichkeit! Auch mich hat er oft genug gereizt mit dieser angeblichen Geringschätzung, die ich auf Treu und Glauben hinnahm; jetzt freilich weiß ich besser Bescheid.“

„Sie glauben nicht daran?“ Adelheid wandte sich plötzlich von der Aussicht ab und dem Sprechenden zu.

„Nein, und ich habe den Beweis dafür in Händen. Er schwärmt für unsere deutschen Landschaften! Sie sehen mich ungläubig an, Excellenz; darf ich Ihnen ein Geheimniß mittheilen?“

„Nun?“

„Ich suchte Hartmut heut morgen auf seinem Zimmer, fand ihn aber nicht; statt dessen fand ich auf seinem Schreibtische ein Gedicht, das er vermuthlich einzuschließen vergessen hatte, denn für meine Augen war es sicher nicht bestimmt. Ich habe es gestohlen ohne alle Gewissensbisse und trage den Raub noch bei mir; befehlen Sie, daß ich Ihnen den Inhalt –“

„Ich verstehe nicht Rumänisch,“ sagte Frau von Wallmoden mit kühlem Spott, „und Herr Rojanow hat sich schwerlich herabgelassen, in deutscher Sprache zu dichten.“

Egon zog statt aller Antwort ein Papier hervor und entfaltete es.

„Sie sind gegen meinen Freund eingenommen, ich sehe es und ich möchte nicht, daß Sie ihn in dem falschen Lichte betrachten, in das er sich selbst gestellt hat. Darf ich ihn mit seinen eigenen Worten rechtfertigen?“

„Bitte!“

Das Wort klang sehr gleichgültig und doch heftete sich der Blick Adelheids mit einer eigenthümlichen Spannung auf das Papier, das nur einige, augenscheinlich mit flüchtiger Hand hingeworfene Verse enthielt.

Egon begann zu lesen. Es waren in der That deutsche Verse, aber von einer Reinheit und einem Wohllaut, wie sie sonst nur einem Meister der Sprache zu Gebote stehen, und das Bild, das sie vor der Zuhörerin heraufbeschworen, trug so seltsam bekannte Züge. Tiefe, träumerische Waldeseinsamkeit, durchweht von dem ersten Hauch des nahenden Herbstes, endlose grüne Tiefen, die unwiderstehlich locken und winken mit ihren dämmernden Schatten, duftige Wiesen, überfluthet vom goldigen Sonnenlichte, stille kleine Gewässer, die in der Ferne aufblinken, und der schäumende Waldbach, der von der Höhe niederbraust. Und dies Bild hatte Leben und Sprache gewonnen, was darin klang und flüsterte, das war das uralte Lied des Waldes selbst, sein Wehen und Rauschen, sein geheimnißvolles Weben, in Worte gebannt, die wie eine Melodie das Ohr des Hörers bestrickten, und aus dem Ganzen wehte und klagte es wie eine tiefe, eine unendliche Sehnsucht nach diesem Waldesfrieden.

Der Fürst hatte anfangs warm, dann mit voller Begeisterung gelesen, jetzt ließ er das Blatt sinken und fragte triumphirend:

„Nun?“

Die junge Frau hatte regungslos zugehört, aber sie sah den Lesenden nicht an, sondern blickte unverwandt in die Ferne hinaus. Erst bei der Frage zuckte sie leicht zusammen und wandte sich dann hastig um.

„Wie meinten Sie, Durchlaucht?“

„Ist das die Sprache eines Verächters unserer Heimath? Ich glaube nicht!“ sagte Egon in voller Siegesgewißheit; aber so sehr ihn auch die Dichtung seines Freundes in Anspruch nahm, er sah es doch, wie schön Frau von Wallmoden gerade in diesem Augenblicke war. Freilich war es wohl nur die eben sinkende Sonne, die ihrem Antlitz diesen rosigen Schimmer, ihren Augen diesen Glanz lieh, denn ihre Haltung war ebenso kalt wie die Antwort:

„Es ist wirklich überraschend, daß ein Fremder die deutsche Sprache so vollständig beherrscht.“

Egon sah sie betroffen an. Das war alles? Er hatte doch einen anderen Eindruck erwartet.

„Und wie finden Sie das Gedicht selbst?“ fragte er.

„Recht stimmungsvoll, Herr Rojanow scheint in der That viel poetisches Talent zu besitzen. – Hier ist Ihr Fernglas, Durchlaucht! Ich danke; aber ich muß wohl jetzt an das Hinabsteigen denken und darf meinen Gatten nicht zu lange harren lassen.“

Egon faltete langsam das Papier zusammen und barg es in seiner Brusttasche. In seiner warmen, herzlichen Begeisterung empfand er doppelt den eisigen Hauch, der jetzt wieder von der jungen Frau ausging und der ihn bis ins Innerste hinein erkältete.

„Ich habe bereits die Ehre, Seine Excellenz zu kennen,“ sagte er. „Ich darf die Bekanntschaft doch heute erneuern?“

Ein leises Neigen des Hauptes gab ihm die Erlaubniß zu der Begleitung, sie verließen die Plattform, aber Fürst Adelsberg war etwas einsilbig geworden. Er fühlte sich in seinem Freunde gekränkt und bereute jetzt seine Aufwallung, diese Dichtung, deren poetische Schönheit ihn hinriß, einer Dame preisgegeben zu haben, die so gar kein Verständniß für Poesie besaß.

Hartmut war, als er sich verabschiedete, langsam die Wendeltreppe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_136.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)