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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

sittenstrenge Frau vor einem derartigen Treiben empfand. Trotzdem verrieth sich eine unwillkürliche Theilnahme in ihrer Stimme, als sie fragte:

„Und seitdem hast Du nichts wieder von ihnen gehört?“

„Doch, noch einige Male! Als ich bei der Gesandtschaft in Florenz war, leitete mich ihr Name, der zufällig genannt wurde, auf die Spur; sie waren damals in Rom, einige Jahre später tauchten sie in Paris wieder auf, und von dort erhielt ich auch die Nachricht von dem Tode der Frau Zalika Rojanow.“

„Also sie ist todt!“ sagte Regine leise. „Wovon mögen sie denn gelebt haben in all den Jahren?“

Wallmoden zuckte die Achseln.

„Wovon leben all die Abenteurer, die unstet durch die Welt ziehen! Vielleicht hatten sie noch etwas gerettet aus dem Schiffbruch, vielleicht auch nicht, jedenfalls verkehrten sie in den Salons von Rom und Paris. Eine Frau wie Zalika findet ja überall Hilfsquellen und Protektion. Als Bojarentochter führte sie den Adelstitel, und die rumänischen Güter, von deren Zwangsverkauf man schwerlich wußte, mögen wohl ihre Rolle gespielt haben bei diesem Auftreten. Die Gesellschaft öffnet sich nur zu bereitwillig solchen Elementen, sobald sie sich äußerlich zu behaupten wissen, und das scheint der Fall gewesen zu sein. Durch welche Mittel – das ist freilich eine andere Frage.“

„Aber Hartmut, den sie gewaltsam mit hineinriß in dies Leben! Was mag aus ihm geworden sein?“

„Ein Abenteurer – was sonst!“ sagte der Gesandte mit vollster Härte. „Die Anlage dazu hatte er von jeher, in dieser Schule wird sie sich wohl entwickelt haben. Seit dem Tode seiner Mutter, der vor drei Jahren erfolgte, hörte ich nichts weiter von ihm.“

„Und mir machtest Du ein Geheimniß aus dem allem?“ klagte Regine vorwurfsvoll.

„Ich wollte Dich schonen, Du hattest diesen Buben, den Hartmut, nur allzusehr ins Herz geschlossen, und überdies fürchtete ich, Du könntest Dich Falkenried gegenüber zu irgend einer Andeutung hinreißen lassen.“

„Das war eine unnöthige Sorge. Ich habe es nur ein einziges Mal gewagt, von der Vergangenheit zu sprechen, ich hoffte, die starre Eisrinde zu durchbrechen, mit der er sich auch mir gegenüber umgab. Er sah mich nur an – ich werde den Blick nicht vergessen – und sagte mit einem geradezu furchtbaren Ausdruck: ‚Mein Sohn ist todt, das wissen Sie ja, Regine, lassen Sie die Todten ruhen!‘ Ich nenne den Namen sicher nicht wieder vor ihm.“

„So brauche ich Dir nicht erst Schweigen zu empfehlen, wenn Du nach Haus zurückkehrst,“ entgegnete Wallmoden. „Du solltest aber auch Willibald nichts von diesem Zusammentreffen mittheilen, seine Gutmüthigkeit könnte ihm doch einen Streich spielen, wenn er weiß, daß der einstige Jugendfreund in seiner Nähe ist; es ist besser, er erfährt nichts davon. Ich werde bei einer immerhin möglichen zweiten Begegnung diesen ‚Herrn‘ einfach ignoriren und Adelheid kennt ihn ja überhaupt nicht, sie weiß nicht einmal, daß Falkenried einen Sohn gehabt hat.“

Er brach ab und erhob sich, denn soeben trat die junge Frau mit ihrem Begleiter aus dem Thurme. Man begrüßte sich, erneuerte die Bekanntschaft von vorgestern, und Fürst Adelsberg erkundigte sich ganz harmlos, ob sein Freund Rojanow, dessen Verschwinden er sich nicht erklären konnte, hier vorübergekommen sei.

Ein Blick Wallmodens warnte seine Schwester, die diesmal auch der Ueberraschung stand hielt; er selbst bedauerte höflich, den betreffenden Herrn nicht gesehen zu haben, und erklärte zugleich, er sei im Begriff, mit seinen Damen aufzubrechen, und habe nur auf die Rückkehr seiner Frau gewartet. Der Befehl zum Anspannen wurde auch sofort gegeben, Egon leistete den Herrschaften bis zur Abfahrt Gesellschaft und begleitete sie an den Wagen. Mit einer tiefen Verbeugung verabschiedete er sich von dem Gesandten und seiner Gemahlin, aber er blickte noch minutenlang dem davonrollenden Wagen nach.

In dem Gastzimmer des Wirthshauses, wo sich sonst niemand befand, stand Hartmut am Fenster und sah gleichfalls der Abfahrt zu. Auf seinem Gesicht lag wieder dieselbe fahle Blässe wie damals, als er zuerst den Namen Wallmoden hörte, aber jetzt war es die Blässe eines wilden Zornes, der ihn fast erstickte.

Er war auf Fragen und Vorwürfe gefaßt gewesen, die er freilich hochmüthig abweisen wollte, und begegnete statt dessen einer Nichtachtung, die seinen Stolz tödlich verletzte. Die schroffe Mahnung Wallmodens an seine Schwester: „Wir kennen ihn nicht! Muß ich Dir das erst sagen?“ hatte sein ganzes Wesen in Aufruhr gebracht, er fühlte das vernichtende Urtheil, das darin lag. Und auch die Frau, die ihm stets eine mütterliche Liebe bewiesen hatte, auch Regine von Eschenhagen stimmte bei und wandte ihm den Rücken wie einem Menschen, den man sich schämt, einst gekannt zu haben – das war zu viel!

„Nun, da bist Du endlich!“ klang Egons Stimme von der Thür her: „Du warst ja wie vom Erdboden verschwunden! Hat sich die unglückliche Brieftasche denn nun endlich gefunden?“

Rojanow wandte sich um, er mußte sich erst auf den Vorwand besinnen, den er gebraucht hatte.

„Jawohl,“ antwortete er zerstreut, „sie lag auf der Wendeltreppe.“

„Nun, dann würde sie wohl auch der Thurmwächter gefunden haben. Warum bist Du denn nicht zurückgekommen? Recht artig, Frau von Wallmoden und mich so ohne weiteres im Stich zu lassen! Du hast Dich bei der Dame nicht einmal empfohlen, die allerhöchste Ungnade ist Dir gewiß.“

„Ich werde dies Unglück zu tragen wissen,“ sagte Hartmut achselzuckend; der junge Fürst kam näher und legte neckend die Hand auf seine Schulter.

„So? Vermuthlich, weil Du vorgestern schon in Ungnade gefallen bist. Es ist doch sonst Deine Art nicht, davonzulaufen, wenn es die Unterhaltung mit einer schönen Frau gilt. O, ich weiß bereits Bescheid, Ihre Excellenz haben geruht, Dir den Text zu lesen bei Deinen beliebten Ausfällen auf Deutschland, und der verwöhnte Herr hat das übelgenommen. Nun, von solchen Lippen kann man sich immerhin die Wahrheit sagen lassen.“

„Du scheinst ja ganz hingerissen zu sein,“ spottete Hartmut. „Nimm Dich in acht, daß der Herr Gemahl nicht eifersüchtig wird, trotz seiner Jahre!“

„Ja, es ist ein seltsames Paar,“ sagte Egon halblaut wie in Gedanken verloren. „Dieser alte Diplomat, mit seinen grauen Haaren und seinem kalten, unbewegten Gesicht, und diese junge Frau, mit ihrer strahlenden Schönheit wie –“

„Ein Nordlicht, das aus einem Eismeer aufsteigt! Es ist nur noch die Frage, wer von den beiden tiefer unter dem Gefrierpunkte steht!“

Der junge Fürst lachte laut auf bei dem Vergleich.

„Sehr poetisch und sehr boshaft! Uebrigens hast Du nicht ganz unrecht, ich habe auch etwas von diesem Polarhauch gespürt, der mich einige Male sehr erkältend anwehte, und das ist ein Glück, denn sonst würde ich mich rettungslos in die schöne Excellenz verlieben. – Aber ich denke, wir brechen jetzt auch auf, meinst Du nicht?“

Er ging nach der Thür, um den Diener herbeizurufen. Hartmut, im Begriff, ihm zu folgen, warf noch einen Blick hinaus, wo an einer freien Stelle des Weges der Wagen des Gesandten wieder sichtbar wurde, und seine Hand ballte sich unwillkürlich.

„Wir sprechen uns noch, Herr von Wallmoden!“ murmelte er. „Jetzt werde ich bleiben! Er soll nicht glauben, daß ich seine Nähe fliehe, jetzt werde ich mich von Egon einführen lassen und alles dran setzen, daß mein Werk einen Erfolg erringt. Wir wollen doch sehen, ob er es dann noch wagt, mich wie den ersten besten Abenteurer zu behandeln. Er soll mir diesen Blick und diesen Ton bezahlen!“




In Fürstenstein rüstete man sich zu dem Empfange des Hofes. Es handelte sich diesmal nicht um einen kurzen Jagdausflug, sondern um einen Herbstaufenthalt, der mehrere Wochen dauern sollte und zu dem auch die Herzogin erwartet wurde. Die oberen Stockwerke des Schlosses mit ihren zahlreichen Räumen wurden gelüftet und in stand gesetzt, ein Theil der Hofbeamten und der Dienerschaft war bereits eingetroffen und in Waldhofen traf man festliche Anstalten für die Ankunft des Landesherrn, der auf seiner Fahrt durch das Städtchen kommen mußte.

Auch der Aufenthalt Wallmodens, der unter anderen Umständen nur ein sehr kurzer gewesen wäre, verlängerte sich dadurch. Der Herzog, der den Gesandten in jeder Weise auszeichnete, hatte erfahren, daß dieser zu einem Familienfeste nach Fürstenstein reiste, und den bestimmten Wunsch ausgesprochen, ihn und seine Gemahlin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_139.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)