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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

war denn auch, ähnlich wie damals, von den Liebesworten und mehr noch von Ruths Stimme ergriffen worden und hatte Thränen im Auge, als das Lied schwieg. Auch L’Hermite war bewegt, und beide, wie wenn sie gewillt gewesen wären, sich den Eindruck nicht stören zu lasten, brachen früher als gewöhnlich auf und gingen in ihren Korridor hinüber. Einen Augenblick schwankten sie hier, wohin sich wenden, aber L’Hermites Zimmer, überhaupt das bevorzugtere, ward es auch heut, und nach rechts hin eintretend, nahmen beide Platz, Lehnert auf einem Schaukelstuhl, L’Hermite wie gewöhnlich mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Arbeitstisch, den Schraubstock neben sich.

„Nun,“ sagte L’Hermite, während er eine kleine Eisenstange aus dem Schraubstock herauszog und damit zu spielen begann, „Lehnert, was giebt’s? Ich glaube, Ihr wollt mir etwas sagen.“

„Ja, seit lange schon.“

„Nun denn.“

„Ich liebe Ruth.“

L’Hermite lächelte. „Wer nicht?“

„Ah, ich versteh’. . . Ihr findet es anmaßlich“ – L’Hermite schüttelte den Kopf – „oder vielleicht ein Unrecht.“

„Weder das eine noch das andere.“

„Oder Ihr meint, sie liebe mich nicht?“

„Im Gegentheil.“

„Nun, was dann?“

„Mein lieber Lehnert,“ sagte L’Hermite und setzte sich in eine Art Positur, „Ihr wißt, daß ich nicht viel glaube. Aber ich glaube an Eines, an ein Fatum. Und weil es ein Fatum giebt, geht alles seinen Gang, dunkel und räthselvoll, und nur mitunter blitzt ein Licht auf und läßt uns gerade so viel sehen, um dem Ewigen und Räthselhaften, oder wie sonst Ihr’s nennen wollt, seine Launen und Gesetze abzulauschen.“

„Nun?“

„Und ein solches Gesetz ist es auch: wenn man erst ’mal heraus ist, kommt man nicht wieder hinein. Und da hilft kein Hoherpriester und kein Prophet, und wenn es Obadja selber wäre, gleichviel ob der alte oder der neue. Das Fatum ist eben stärker, und es ist das beste, lieber Lehnert, Ihr lebt Euch mit diesen, Gedanken ein. Ich Hab’ es gethan. Und wenn Euch das glückt, so werdet Ihr wenigstens Eines davon haben, dasselbe, was ich davon gehabt habe: das Glück der Einsamkeit. Und Ihr steht dann von Stund an über dieser armen Komödie, die Welt und Leben heißt.“

Lehnert starrte ihn an.

L’Hermite aber, dessen Bewegungen immer nervöser wurden, fuhr fort: „Gebt Ruth auf! Ihr kriegt sie nicht. Und wenn morgen die Hochzeit sein soll und die gute Frau Kaulbars so viel Kringel und Krausgebackenes bäckt, daß der Fettgeruch bis ans Ende der Welt zieht – ich sag’ Euch, Lehnert, Ihr kriegt sie doch nicht, Ihr fallt todt vorm Altar nieder. Und wenn nicht Ihr, so Ruth. Glaubt mir, es soll nicht sein. Es ist da so was Merkwürdiges in der Weltordnung, und Leute wie wir – Pardon, ich sage mit Vorbedacht, wie wir – die nimmt das Schicksal unter die Räder seines Wagens und zermalmt sie, wenn sie glücklicher sein wollen, als sie noch dürfen.“

(Schluß folgt.)




Ungedruckte Briefe Fritz Reuters.


III.

Welchen lebendigen Reiz zu humorvoller Betrachtung die Wasserkur auf Reuter ausübte, das ersehen wir aus seinen Schilderungen der „Waterkunst“ in der „Stromtid“ und aus den bisher abgedruckten Briefen. Aehnlichen Tons muß auch das nicht mehr vorliegende Schreiben gewesen sein, das er zwischen dem 19. November und dem 7. Dezember an Fritz Peters richtete. Auf dieses nimmt der nachstehende Brief an Frau Peters Bezug.

„Stuer, den 7. Dezember 1847.

Meine vortrefflichste Freundin!

Habe ich an Fritz nichts als dummes Zeug geschrieben, so bitte ich, mir dies von Ihrer Seite zu verzeihen; eine Entschuldigung will ich nicht wagen, da ich weiß, wie hartnäckig Sie auf seiner Seite stehen und wie vergeblich es sein würde, Ihnen begreiflich zu machen, daß er diese Strafe für sein Schweigen verdiene. Sie werden aus solchen Tollheiten den Schluß auf mein Wohlbefinden machen können, das sich zuweilen fast zu wahrem Uebermuth steigert und mich manchen Kummer und Sorge vergessen läßt, der billig von mir nicht leicht genommen werden sollte. Ich bin überhaupt in einer sonderbaren Lage, heiter durch Gesundheit, keck durch Sorglosigkeit, frei von allen Schranken, könnte ich augenblicklich der glücklichste Mensch sein, wenn nicht die Briefe aus Ludwigslust[1] mir alles dies raubten und mich mit Selbstvorwürfen über meine Lustigkeit erfüllten, wenn ich bedenke, daß, während ich in lustiger Stimmung schwelge, dort die arme Luise mit überhandnehmender Kränklichkeit und erbärmlicher Engherzigkeit zu kämpfen hat. Die Klagen über ihr Unwohlsein haben zugenommen, und wenn sie auch mir es bis dahin verschwiegen hat, so hat sie meinem Drangen doch nachgeben müssen und mir die Wahrheit sagen, die für mich so peinlich und schmerzlich gewesen ist, daß ich mich genöthigt gesehen habe, an ihren Arzt, den Medicinalrath B. zu schreiben, um durch diesen ihren jedenfallsigen Abgang zu Weihnacht d. J. zu bewirken. Ob sie mir folgen wird, weiß ich nicht, so viel aber weiß ich, daß ich in der höchsten Angst bin, eben weil es die höchste Zeit zu sein scheint. Ihre Briefe sind im übrigen herzlich und freundlich, sowie ich es nur hoffen kann. Ich würde Sie nicht mit solchen Nachrichten beschweren, wenn ich nicht wüßte, daß Sie mir zu gut sind, um nicht theilnehmend zu sein, und zu theilnehmend, um nicht wirklich zu wünschen, helfen zu können. Spornen Sie gefälligst die Trägheit Ihres verehrten Gemahls zu irgend einer Antwort und bedecken Sie meine Unbescheidenheit mit dem Schleier Ihrer Nachsicht. Ich denke viel an Thalberg und an das schöne Weihnachtsfest, wollte Gott, ich könnte dort sein und mich an den Kindern, an P.s großen Augen ergötzen, denn die wird der Junge bei den vielen Lichtern machen. – – – Grüßen Sie Ihr kleines Gewürm von Onkel Eute. – – – Leben Sie wohl, meine liebe Madame – – – denken Sie an mich fortwährend, als an

Ihren

dankbarsten F. Reuter.“

Der folgende Brief entstammt der Zeit des Uebergangs von der landwirthschaftlichen Thätigkeit zum dichterischen Schaffen. Reuter hat seine Luise heimgeführt und ist nach Treptow, ganz nahe bei Thalberg, gezogen, um sich dort – zunächst recht kümmerlich – durch Ertheilen von Privatunterricht zu ernähren.

„Treptow, den 30. Juni 1851.

Meine liebe, gute Madame Peters!

Jetzt erst ernstlich. – Viele tausend Grüße von meiner Luise, einen herzlichen Gruß von meiner Schwiegermutter[2] und einen Kuß auf Ihre Hand von mir. – Heute ist es mir unmöglich, zu Ihnen zu kommen und persönlich dies alles auszurichten an Sie und Ihren alten Fritz und vor allem an Großmama; aber morgen bin ich bei Ihnen, morgen hoffentlich zu Mittag, heute habe ich noch Bestellungen, Besorgungen etc. zu machen, daß ich an nichts weiteres denken kann. – Nun scherzando: Endlich ist jenes Zimmer, welches ich zu einer Speisekammer erhob, weil ich darin späterhin Speisen aufbewahren wollte, wirklich zu einer Speisekammer geworden. Mein natürlicher Instinkt trieb mich heute nach meiner Ankunft in dies räthselhafte Gemach und ich gewahrte dort einen gewissen, geheimnißvoll verschleierten Korb.[3] Dreistigkeit ist meine Sache, und mit Gagerns kühnem Griffe fuhr ich hinein. Mein Glück war größer! Er griff einen Reichsverweser, ich eine Wickelwurst. – Eine Wickelwurst ist eine schöne Idee; aber jedenfalls

  1. Dort hielt seine Braut sich auf.
  2. Reuter ist mit seiner Frau verreist gewesen und ist zunächst allein zurückgekehrt.
  3. Es war in der That ein Korb mit Eßwaren und anderen Dingen von Thalborg für die Wirthschaft angekommen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_156.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)