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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

das Geschoß hat eine Länge von 31,8 mm und ein Gewicht von 15,8 g. In Belgien wurde neuerdings das kleinkalibrige Mausergewehr angenommen. Das Geschoß desselben (Fig. 5) besteht aus einem Weichbleikern und einem unverlötheten Mantel aus Kupfernickelblech, ist 30 mm lang, 14,2 g schwer und von 8 mm Kaliber.[1] Das neueste deutsche Infanteriegewehr 88 endlich, welches in diesen Tagen zur Ausgabe an die Truppen gelangen soll, weist ein Kaliber von 7,9 mm auf, während das nickelplattierte Stahlmantelgeschoß 32 mm lang ist und 14,5 g wiegt.

So wurde nach und nach der Querdurchmesser der Geschosse von etwa 18 mm auf durchschnittlich 8 mm, das Gewicht von über 50 auf kaum 15 g herabgesetzt. Selbstverständlich mußte dabei die Konstruktion des Gewehres selbst mannigfache Veränderungen erleiden; man mußte, um die Durchschlagskraft der kleineren Geschosse zu sichern, ein anderes, kräftiger und langsamer wirkendes Schießpulver erfinden, man mußte schließlich auch das Material, aus welchem das Geschoß selbst besteht, ändern. Die gewöhnliche Bleikugel war zu weich; sie verursachte ein zu rasches Verbleien der Drallzüge des Rohres, sie verlor zu leicht ihre Form, und man sah sich genöthigt, das Blei mit einer schützenden Hülle zu umgeben; die Kugeln der kleinkalibrigen Gewehre sind Mantelgeschosse, bei denen der innere Bleikern von einem Mantel, sei es aus Kupfer, sei es Nickel oder Stahl, umgeben ist.

An den Arzt tritt nun die Frage heran: wie sind die Wunden beschaffen, welche von den Geschossen der kleinkalibrigen Gewehre erzeugt werden?

Fig. 8. Einschuß des 8 mm-Geschosses in eine 4 mm dicke Eisenplatte.

Fig. 9. Einschuß des 11 mm-Geschosses in eine 4 mm dicke Eisenplatte.

Schon die Einführung des 11 mm-Kalibers bei den Chassepotgewehren erwies sich in chirurgischem Sinne als günstig, die Schußverletzungen durch die Chassepotkugeln waren im allgemeinen 1870/71 weniger schwer als in früheren Kriegen. Wenig Quetschung und Zertrümmerung der Gewebe, kleine Eingangs- und Ausgangsöffnungen, das war der Charakter der Wunden, und oft trat Heilung fast ohne Eiterung ein. Diese Eigenschaften zeigten jedoch nur die Schußverletzungen, die auf größere Entfernungen zustande gekommen waren. Anders bei Nahschüssen. In diesen Fällen war das Bild oft höchst ungünstig; die Aerzte fanden Schußwunden vor, wie man sie früher noch niemals gesehen hatte, so großartig war die Zerstörung und Zermalmung der Gewebe. Der Schußkanal bildete einen Trichter, dessen Eingangsöffnung etwa dem Kaliber des Geschosses entsprach, dessen Ausgangsöffnung aber zehn- bis zwanzigmal so weit war. Gegen das Ende des Trichters waren Weichtheile und Knochen zermalmt und zerschmettert. Aehnliche Folgen wurden, wenn auch seltener, auf französischer Seite bei Verwundungen durch das Zündnadelgewehr beobachtet. Man wußte den Grund dieser Verheerungen nur durch die Annahme zu erklären, daß die Gegner allem Völkerrecht zuwider Explosionsgeschosse benutzten, die im Körper der Verwundeten platzten und die gewaltigen Zertrümmerungen verursachten. Studien über Schußwunden, die man später im Frieden anstellte, zeigten, daß diese Anschuldigungen durchaus grundlos waren, daß jedes mit großer Geschwindigkeit auftreffende Geschoß eine Sprengwirkung ausüben kann.

Jedermann weiß, daß der Druck, der auf eine Flüssigkeit ausgeübt wird, sich in derselben nach allen Richtungen hin fortpflanzt, jedermann kennt die auf diesem Gesetz aufgebaute hydraulische Presse. Auch die Kugel, welche in eine Flüssigkeit, z. B. Wasser, einschlägt, erzeugt in diesem einen Druck. Ist nun das Wasser in einem Gefäß eingeschlossen und schießt man in dasselbe hinein, so wird das Wasser in der Regel (bei Benutzung gewöhnlicher Jagdflinten) in einer hohen Säule aufspritzen. Hat aber das Geschoß, welches das Wasser trifft, eine besonders hohe Geschwindigkeit, pflanzt sich infolge dessen der durch dasselbe erzeugte Druck plötzlich und ungemein rasch in allen Wassertheilchen fort, so werden diese keine Zeit finden, durch die obere Oeffnung zu entweichen, sondern mit voller Wucht gegen Wand des Gefäßes drängen und dieses sprengen. Dies ist oft durch Proben festgestellt worden.

Nun sind die mit Blut und Säften durchtränkten Organe des menschlichen Körpers in ihrem Verhalten einem solchen Wasserkasten ähnlich. Trifft das Geschoß mit hoher Geschwindigkeit die Leber, die Milz, das Herz oder den mit weicher Gehirnmasse gefüllten Schädel, dann treten derartige Sprengwirkungen durch den hydraulischen Druck ein, dann entstehen jene gefährlichen trichterförmigen Wunden, dann geschieht es, daß der Schädel durch einen solchen Schuß, durch eine einzige Kugel so jäh zersprengt wird, daß die Stücke weit umherfliegen.

Wie verhalten sich nun das neue 8 mm- und das alte 11 mm-Geschoß in Betreff dieser Sprengwirkung? Bei dem Kleinkaliber kommt diese überhaupt nur so lange zur Geltung, als das Geschoß die Endgeschwindigkeit von etwa 300 m und darüber besitzt, d. h. auf Entfernungen bis zu etwa 800 m, bei dem 11 mm-Geschoß genügt schon die Endgeschwindigkeit von 200 m, welche das Geschoß auf etwa 900 m erreicht. Die Zone, in welcher die Nahschüsse aus dem Kleinkalibergewehre solche Sprengwirkungen erzeugen können, ist somit kürzer, außerdem bringt der kleinere Durchschnitt des Geschosses es mit sich, daß die Druckwirkungen zwei- bis dreimal geringer sind als bei den 11 mm-Kugeln.

Es werden somit diese schlimmen Verwundungen auch in Zukunft vorkommen, aber sie werden nicht so häufig und nicht so umfangreich sein wie bisher. Die Zone der nach dieser Seite hin eigentlich gefährlichen Nahschüsse umfaßt etwa die ersten 400 m der Flugbahn des kleinkalibrigen Geschosses.

Bevor man Klarheit über diese hydraulischen Wirkungen der Geschosse erlangt hatte, suchte man diese Erscheinung durch die Annahme zu erklären, daß die Kugeln beim Auftreffen auf festere Theile sich bis zum Schmelzpunkt erhitzten und die geschmolzene Masse alsdann die Sprengungen verursachte. Dadurch sollte zugleich das Zersplittern, die Formveränderung, Abplattung etc., die „Deformation“ oder „Entformung“ des Geschosses, erklärt werden, welche wieder dazu beiträgt, den Charakter der Wunde zu verschlimmern.

Prof. Bruns hat auch diese Frage durch seine Versuche entschieden. Er benutzte dazu einen viereckigen, hinten und zu beiden Seiten mit starken Eisenplatten versehenen Kasten, in welchen die als Ziel dienenden Eisenscheiben in bestimmten Abständen eingesetzt werden konnten. Nach vorne wurde der Kasten durch ein ganz dünnes Blech, nach oben durch eine aufgelegte Eisenplatte geschlossen, nach unten blieb er offen gegen eine Schieblade, welche in dem den Kasten tragenden Holzgestell angebracht war. Auf diese Weise fiel das abgefeuerte Geschoß mit allen seinen Bruchstücken, nachdem es durch die dünne vordere Blechscheibe gedrungen und dahinter auf die Eisenplatte aufgeschlagen war, unmittelbar in die Schieblade. Diese wurde mit Stoffen von verschieden

  1. Mit diesem Gewehre wurden die Versuche von Prof. Bruns angestellt; zur Vergleichung der Wirkung wurden Parallelversuche mit dem deutschen Infanteriegewehr 71.84 von 11 mm Kaliber ausgeführt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_161.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)