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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

hohem Schmelzpunkte (wie Paraffin, Schwefel in Pulverform etc.) gefüllt, um zu beobachten, inwieweit dieselben durch die niederfallenden Bleitheile zum Schmelzen gebracht werden.

Prof. Bruns fand nun, daß größere Bleistücke sich höchstens bis auf 150°, die kleinen bis 200° und die kleinsten bis zu höchstens 210° C. erwärmten; der Schmelzpunkt des Bleis liegt aber erst bei 334° C. Bruchstücke von Stahl- und Nickelmänteln erhitzten sich bis zu 230° C., die kleinsten ausnahmsweise bis über 300° C. Ein Schmelzen der Geschosse konnte nicht festgestellt werden. Die Entformung geschieht also nur infolge des Druckes auf rein mechanischem Wege. Die Mantelgeschosse erweisen sich dabei widerstandsfähiger als die einfachen Bleigeschosse. Von welcher Bedeutung dies für die Durchschlagskraft des Geschosses ist, beweisen unsere Abbildungen. Fig. 6 zeigt den cylindrischen Schußkanal, der durch 8 mm-Nickelmantelgeschoß in trockenes Buchenholz gebohrt wurde. Die ganze Länge des Schußkanales, der hier nur in seinen letzten 13 cm abgebildet ist, beträgt 54 cm, und das Geschoß liegt fast unverändert im blinden Ende desselben. Fig. 7. stellt den Schußkanal durch 11 mm-Weichbleigeschoß dar. Der Kanal ist nur 8 cm lang und trichterförmig; die Einschußweite hat einen Durchmesser von 6 mm, das blinde Ende aber, in welchem das kaum noch erkennbare Geschoß liegt, einen solchen von 46 mm. Man erkennt daraus sofort, wie das Bleigeschoß durch seine Entformung sich größere Widerstände schafft.

Bezeichnend für die Durchschlagskraft der Geschosse sind ferner unsere weiteren Abbildungen Fig. 8 und 9, welche Schüsse auf 12 m Entfernung durch eine 4 mm dicke Walzeisenplatte darstellen. In Fig. 8 finden wir ein kreisrundes Loch, welches das 8 mm-Geschoß geschlagen hat, in Fig. 9 die unregelmäßige größere, seitlich eingerissene Oeffnung, welche das 11 mm-Geschoß zustande brachte. Dieses Verhalten des neuen Geschosses ist von größter Wichtigkeit; denn trifft es auf Knochen, so zertrümmert es dieselben bei weitem weniger als das alte Geschoß, ja es erzeugt in denselben reine Lochschüsse ohne weitergehende Risse und Brüche. Selbst dem Laien muß es einleuchten, daß derartige Wunden rascher und sicherer heilen als Wunden, bei denen weite Partien des Knochens beschädigt sind.

Es würde zu weit führen, hier auf die Wirkungen der Geschosse in verschiedenen Entfernungen oder Zonen ausführlicher einzugehen; denn mit der abnehmenden Geschwindigkeit der Kugel ändert sich auch die Beschaffenheit der Wunde. Das eine steht aber fest, daß der Charakter der Schußwunden durch die kleinkalibrigen Geschosse in allen Zonen, sei es bei Nah- oder Fernschüssen, ein viel günstigerer ist.

„Es ist gewiß mit hoher Freude zu begrüßen,“ schließt Prof. Bruns seine Ausführungen, „daß die durch taktische Gründe bedingte Herabsetzung des Kalibers und insbesondere die davon unzertrennliche Einführung der Mantelgeschosse gerade im Sinne der humanitären Bestrebungen liegt. Die künftigen Kriege werden vielleicht in derselben Zeit zahlreichere, aber jedenfalls viel häufiger reine und glatte Schußwunden bringen; . . . der Heilungsverlauf wird sich günstiger gestalten, Verstümmelung und Verkrüppelung häufiger vermieden werden. – Das neue Kaliber ist nicht bloß die beste, sondern zugleich die humanste Waffe, um nach Möglichkeit die Schrecken des Krieges zu mildern.“




Blätter und Blüthen.


In den pontinischen Sümpfen. (Zu dem Bilde S. 145.) Wie Goethe vor hundert Jahren besteigen wir eines Morgens in Velletri die Diligenza – noch immer das einzige Verkehrsmittel auf der 50 Kilometer langen Straße zwischen den beiden Grenzstationen der pontinischen Sümpfe: Cisterna und Terracina – wohlgewarnt von Wirth und Vetturin vor den Gefahren der Malaria. Steil fällt die Poststraße die artemisischen Hügel hinab, einsam, staubig. Aber mit einem Schlage, bei plötzlicher Wendung, liegt sie nun dicht vor uns, die unermeßliche, schweigende, einsame, von weißlichen Dünsten umschleierte Ebene, groß wie ein Meer. In schnurgerader Linie, gesäumt von dem Abzugskanal, den Papst Pius VI. gezogen, der Linea Pia, schneidet durch die Ebene die Via Appia, die „Königin der Straßen“, auf welcher einst die römischen Legionen in den Süden hineinzogen. Vorerst steigt sie und fällt sie noch, windet sich um immer flacher werdende Hügel herum, läuft an einsamen Meiereien, einem zerfallenen Kirchlein vorüber, und dann ist man in Cisterna, der „Region der Büffel, des Fiebers, der Sümpfe und der Räuber“. Hier beginnt der Sumpf, die fiebergelben Gesichter der vermummten, vom Frost geschüttelten Bauern sagen’s uns, und dehnt sich hinab bis zum Meere, ein großer Leichenacker. Wie zum Trost schweift der Blick links hinüber nach den Volskerbergen und findet hoch droben, ins Himmelblau getaucht, zunächst Rocca Massima, dann unterhalb das Felsennest Cori, einst Cora, dessen arme Bewohner sich des Ursprungs von Dardanos rühmen, dem Stammherrn der Trojaner, das in seinen cyklopischen Mauern noch von gewaltigen Urzeiten erzählt, das in den Volskerkriegen durch das Römerschwert unsägliches gelitten. Wild schieben die Felsen sich über- und durcheinander, und auf steiler Klippe richtet sich Norma auf (343 Meter ü. M.), bei den Römern, die in den festen Mauern die karthagischen Geiseln in Sicherheit brachten, Norba genannt. Auch hier cyklopische Mauern und Tempelreste, deren Steine, angeblich von Herkules selbst gefügt, im sullanischen Kriege wild durcheinandergeworfen wurden.

Nach diesem Norma hinauf steigt aus den Sümpfen eine Straße und an ihrem unteren Ende liegt Ninfa, der Kirchhof, die Leiche einer Stadt, die ihren Tod durch Ertrinken in den Sümpfen fand, nachdem ihre Bewohner von dem Würgengel Malaria erstickt worden waren.

Uns packt die geheimnißvolle Gewalt des Märchenzaubers. Die Stadt ist wie zu einem großen Blumenfeste geschmückt. Ueber die Mauern, Hütten, Häuser, über Kirchen und Thürme hat der Epheu sein grünes Netz gebreitet, von Gesims zu Gesims ziehen seine flatternden Gewinde, aus den Thurmfenstern hangen die Ranken. Wie eine stille Braut, die den Bräutigam erwartet, spiegelt Ninfa sich in seinem schilfumsäumten See. Das Thor der Basilika steht offen, helle Sonnenlichter spielen auf dem blumenbewachsenen Mosaikfußboden; von den Wänden schauen die schattenhaften Figuren von Heiligen in verblichenen byzantinischen Gewändern; den Altar überdeckt ein Blumenteppich, um den ein Schmetterlingspaar gaukelt. Das Reich Dornröschens! Die tiefe Stille, sie wird nur unterbrochen durch das schläfrige Gemurmel des Flusses Ninfa, dann und wann auch durch das Krächzen der Reiher, die ungestört zwischen den Binsen des Sees nisten, der Raben, die in den Spalten eines alten Feudalthurmes aus- und einfliegen.

Die Steine des säulenragenden antiken Brunnenhauses, des Nymphaeums, von dem der Ort den Namen erhielt, sind längst in dem Sumpfe versunken. Auf seinen Ruinen errichtete ein späteres Jahrhundert eine dem Erzengel Michael geweihte Kirche; so erzählt die Ueberlieferung. Sicher ist, daß im Jahre 1216 der Kardinal Ugolino, nachheriger Papst Gregor IX., hier am Orte die Kirche S. Maria del Mirteto (zum Myrtenhain) bauen ließ, neben welcher die Ritter des heiligen Lazarusordens ihren Sitz hatten. Weiteres weiß man nicht von der Stadt. Der Sumpf schlich näher und näher an die Mauern heran, das Fieber wanderte durch die Gassen, und eines Tages war niemand mehr da, der die Todten beweinen konnte. Die schöne mittelalterliche Stadt war eine Sage geworden.

Das Land, das ringsum noch im Schmucke seiner Oliven, Reben, Orangen und Citronen lächelt, lächelt wie ein Sterbender; es ist das Lächeln des Todes, das wir sehen. Er eilt auf Flügeln der Malaria vom Gebirge zum Meer hinab und zurück und mäht das Leben, wo er es findet. Wem er begegnet in dieser Ebene, den grüßt er mit dem Gruße der Unterwelt. Die Straße, die wir ziehen, von Cisterna hinab gen Terracina, geht mitten durch sein Reich: eine Gräberstraße, und der Gruß der Schnitter, die mit Weib und Kind todesmuthig im glühenden Erntemond von den Höhen hinabwandern, das Korn der reichen römischen Herren einzuheimsen, klingt uns wie der Gruß der zum Sterben bereiten Fechter des alten Roms: Morituri te salutant! Woldemar Kaden.     


Ein hungriger Gast. (Zu dem Bilde S. 137.) Es sind sonst nicht gerade die friedsamsten Gesellen, die fahrenden Kriegsknechte, die ihre Dienste überall anbieten, wo es Händel und einen gut zahlenden Herrn giebt, oder die auch wohl in Ermangelung solcher Gelegenheit zu „ehrlichem“ Verdienste auf eigene Faust das Kriegen anfangen. Diesmal aber haben wir es mit einem verhältnißmäßig ordentlichen Vertreter dieser Menschenklasse zu thun; verhältnißmäßig – denn auch er wird sich kaum die Mühe genommen haben, sich über die Entbehrlichkeit des fetten Huhns, das an seiner Seite hängt, erst genauer bei der Bäuerin zu erkundigen, ehe er es heute früh beim Durchmarsche durch das halbschlafende Dorf mitlaufen ließ.

Aber der schon etwas ältliche Kumpan, den wir auf unserem Bilde im grobgenähten Lederkoller, in Eisenwams und Eisenschuhen vor uns sehen – er ist unter seinem rauhen Kriegshandwerk empfänglich geblieben für die Reize friedlicher bürgerlicher Lebensart – insbesondere soweit solche mit einem ausgiebigen Nahrungsstande verbunden ist. So hat es denn sein gutmüthig schmunzelndes Gesicht rasch dahin gebracht, daß der sechsjährige Bube seiner Quartiergeberin Freundschaft mit dem Fremdling schloß und in kindlichem Anpassungstrieb sofort sich mit des neuen Kameraden Armbrust und – Schnapsflasche bewehrte. Mit ehrlicher Bewunderung schaut das Schwesterchen auf die mit erstaunlicher Schnelle zwischen den Zähnen des hungerigen Gastes verschwindenden Knödel – sie weiß, daß sie für den Nothfall, wenn die Knödel zur Stillung des Appetites nicht ausreichen sollten, noch mit ihrem Brotlaib einspringen kann. Auch die junge Mutter hat Vertrauen zu dem vielleicht nicht eben gerne begrüßten Gast gefaßt und sie schaut mit Befriedigung auf den glänzenden Sieg, den ihre Kochkunst bei dem fahrenden Mann zu verzeichnen hat. =     

Das viele Kaffeetrinken. Wir wissen seit lange, daß ein übermäßiger Genuß des Kaffees der Gesundheit nicht zuträglich ist, und jedermann kennt auch die Anzeichen der Vergiftung durch Kaffee. Man wird matt, unlustig zur Arbeit, leidet an Kopfdruck und Schlaflosigkeit; die Hände zittern, das Herz schlägt schnell, unregelmäßig und schwach; der Puls ist dementsprechend klein und weich; der Appetit fehlt und man verspürt Angstgefühle. Das kommt von dem vielen Kaffeetrinken, und es kommt vor bei Männern wie bei Frauen; bei letzteren entschieden häufiger, denn die Frauen „kneipen“ ja in Kaffee, wie man unhöflich zu sagen pflegt.

Wir sind allerdings noch weit davon entfernt, von einer „Kaffeeseuche“ reden zu dürfen, wir befinden uns noch in dem Stadium des Kränzchendusels,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_162.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)