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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

lag ein Rosenzweig, der eine wundervolle, duftende Blüthe und zwei halb erschlossene Knospen trug.

„Fräulein Volkmar,“ wiederholte er stockend, „Sie wünschten vorhin eine Rose – bitte, nehmen Sie –“

In seinen Augen und seiner ganzen Haltung lag deutlich genug eine stumme Abbitte wegen der Rücksichtslosigkeit seiner Mutter. Marietta hatte ihr Schluchzen unterdrückt, in ihren dunklen Augen funkelten noch die Thränen, aber es lag zugleich ein unsäglich verächtlicher Ausdruck darin.

„Ich danke, Herr von Eschenhagen,“ versetzte sie herb. „Sie haben ja wohl gehört, was da drinnen gesprochen wurde, und jedenfalls den Befehl erhalten, mich auch zu meiden. Warum gehorchen Sie denn nicht?“

„Meine Mutter hat Ihnen unrecht gethan,“ sagte Willibald halblaut, „und sie sprach auch nicht im Namen der anderen. Toni weiß nichts davon, glauben Sie es mir –“

„So, das wissen Sie und haben nicht ein Wort des Widerspruches gefunden?“ unterbrach ihn das junge Mädchen glühend vor Zorn. „Sie haben es mit angehört, wie Ihre Mutter ein schutzloses Mädchen kränkte und beleidigte, und hatten nicht einmal so viel Ritterlichkeit, dazwischen zu treten? Freilich, Sie versuchten es ja, aber Sie wurden ausgescholten und fortgeschickt wie ein Schulknabe und ließen sich das geduldig gefallen!“

Willibald stand da wie vom Donner gerührt, Er hatte allerdings tief die Ungerechtigkeit seiner Mutter empfunden und sie nach Kräften wieder gutmachen wollen, und nun wurde er so behandelt! Ganz betäubt starrte er auf Marietta, die durch sein Schweigen nur noch zorniger wurde.

„Und nun kommen Sie und bringen mir Blumen,“ fuhr sie mit steigender Leidenschaftlichkeit fort, „heimlich hinter dem Rücken Ihrer Mutter, und meinen, ich würde eine solche Entschuldigung annehmen? Erst lernen Sie, wie ein Mann sich zu benehmen hat, wenn er Zeuge solcher Ungerechtigkeiten ist, und dann bringen Sie Ihre Aufmerksamkeiten an. Jetzt – jetzt will ich Ihnen zeigen, was ich von Ihrem Geschenk und von Ihnen halte.“

Sie riß ihm das Papier sammt seinem Inhalt aus der Hand, warf es zu Boden und in der nächsten Sekunde zertrat der kleine Fuß kräftig die duftenden Rosen.

„Mein Fräulein –!“ Willibald, schwankend zwischen Scham und Entrüstung, wollte auffahren, aber ein sprühender Blick aus den sonst so schelmischen dunklen Augen machte ihn verstummen, und zum Ueberfluß wurden die armen Rosen noch verächtlich mit dem Fuße fortgestoßen.

„So, nun sind wir zu Ende! Wenn Toni wirklich nichts von der Sache weiß, so thut es mir leid, deshalb muß ich ihr in Zukunft doch fern bleiben, denn ich werde mich nicht neuen Kränkungen aussetzen. Möge sie glücklich sein, ich wäre es nicht an ihrer Stelle. Ich bin ein armes Mädchen, aber einen Mann, der sich noch vor der Ruthe seiner Mutter fürchtet, nähme ich nicht, und wenn er zehnmal Majoratsherr von Burgsdorf wäre.“

Damit ließ sie den armen Majoratsherrn stehen und war in der nächsten Minute verschwunden.

„Willy, was soll das heißen?“ tönte plötzlich die Stimme der Frau von Eschenhagen, die in der halboffenen Thür stand. Als keine Antwort erfolgte, trat sie heraus und schritt mit unheilverkündender Miene auf ihren Sohn zu.

„Das war ja eine ganz merkwürdige Scene, die ich da mit ansehen mußte. Willst Du nicht so gut sein und mir erklären, was sie eigentlich bedeutet? Dieses kleine Ding sprühte ja wie ein Kobold vor Zorn und sagte Dir die empörendsten Dinge in das Gesicht, und Du standest dabei wie ein Schaf, ohne Dich zu wehren.“

„Weil sie recht hatte,“ murmelte Willy, der noch immer auf die zertretenen Rosen blickte.

„Was hatte sie?“ fragte die Mutter, die nicht recht gehört zu haben glaubte; der junge Majoratsherr hob den Kopf und sah sie an; er hatte einen ganz eigenthümlichen Ausdruck im Gesichte.

„Recht, sage ich, Mama! Es ist wahr, Du hast mich wie einen Schulknaben behandel, dagegen hätte ich mich wehren müssen.“

„Junge, ich glaube, Du bist nicht recht bei Troste,“ sagte Frau Regine, aber Willibald fuhr gereizt auf:

„Ich bin kein Junge! Ich bin der Majoratsherr von Burgsdorf und siebenundzwanzig Jahre alt. Das vergißt Du immer, Mama, und ich habe es leider auch vergessen, aber endlich fällt es mir doch einmal ein.

Frau von Eschenhagen blickte mit maßlosem Erstaunen auf ihren sonst so folgsamen Sohn, der auf einmal Anstalten zur Widersetzlichkeit machte.

„Ich glaube wahrhaftig, Du willst aufsässig werden, Junge! Laß Dir das nicht einfallen, Du weißt, dergleichen leide ich nicht. Was ist Dir denn überhaupt in den Kopf gefahren, daß Du Dir solche Eigenmächtigkeiten erlaubst? Während ich mich bemühe, einem im höchsten Grade unpassenden Umgange ein Ende zu machen und diese Marietta zu beseitigen, leistest Du ihr hinter meinem Rücken eine förmliche Abbitte deswegen, bietest ihr sogar die Rosen an, die Du für Deine Braut bestimmt hast. Ich weiß zwar nicht, wie Du dazu kommst, es ist das erste Mal in Deinem Leben, aber Toni wird sich dafür bedanken, wenn sie erfährt, was aus ihren Blumen geworden ist. Es geschah Dir ganz recht, daß der kleine Sprühteufel sie zertreten hat, künftig wirst Du solche Dummheiten bleiben lassen.“

Sie schalt ihn in dem gewohnten Tone aus, ohne sich im mindesten an seinen Widerspruch zu kehren, aber Willibald nahm das diesmal übel. Er, der noch vor zehn Minuten ängstlich die Blumen in seine Tasche versenkt hatte, um ja nicht bei der Aufmerksamkeit ertappt zu werden, bekam plötzlich einen Anfall von Heldenmuth, und anstatt seine Mutter in ihrem Glauben zu lassen und den gefährlichen Sturm damit zu beschwichtigen, forderte er ihn geradezu heraus.

„Die Rosen waren gar nicht für Toni bestimmt, sondern für Fräulein Volkmar,“ erklärte er trotzig.

„Für –?“ Der entsetzten Frau blieb das Wort im Munde stecken.

„Für Marietta Volkmar! Sie wünschte heute abend eine Rose im Haar zu tragen, und da in Waldhofen keine mehr aufzutreiben war, so ging ich zum Schloßgärtner und verschaffte mir die Blumen – nun weißt Du es, Mama!“

Frau von Eschenhagen stand da wie eine Salzsäule, sie war kreidebleich geworden, denn mit einem Male ging ihr ein Licht auf, aber es zeigte ihr etwas so Furchtbares, daß sie für einige Sekunden Sprache und Bewegung verlor. Dann freilich kam ihr die alte Thatkraft zurück. Sie packte den Arm ihres Sohnes so nachdrücklich, als wolle sie sich seiner für alle Fälle versichern, und sagte kurz und bündig:

„Willy – wir reisen morgen ab!“

„Abreisen?“ wiederholte er. „Wohin denn?“

„Nach Hause! Wir fahren morgen früh um acht Uhr, dann erreichen wir vormittags den Schnellzug und sind übermorgen in Burgsdorf. Du gehst augenblicklich auf Dein Zimmer und packst!“

Der Kommandoton machte diesmal leider gar keinen Eindruck auf Willy.

„Ich packe nicht,“ erklärte er verstockt.

„Du packst, sage ich Dir!“

„Nein,“ trotzte der junge Majoratsherr. „Wenn Du durchaus abreisen willst, Mama, so reise – ich bleibe hier.“

Das war unerhört, aber es beseitigte auch den letzten Zweifel, und die entschlossene Frau, die ihren Sohn noch immer festhielt, schüttelte ihn jetzt in der derbsten Weise.

„Junge, wach auf, komm zu Dir! Ich glaube, Du weißt es noch gar nicht einmal, was eigentlich mit Dir ist! Nun, dann will ich es Dir sagen! Verliebt bist Du – verliebt in diese Marietta Volkmar!“

Sie schleuderte das letzte Wort mit einem geradezu niederschmetternden Tone heraus, aber Willy war gar nicht niedergeschmettert. Eine Minute lang stand er allerdings starr vor Ueberraschung, das war ihm wirklich noch nicht eingefallen, aber jetzt begann es auch bei ihm zu tagen. „O!“ sagte er mit einem tiefen Athemzuge, und dabei ging etwas wie ein Lächeln über sein Gesicht.

„O! Ist das Deine ganze Antwort?“ brach die erzürnte Mutter los, die trotz alledem auf einen Widerspruch gehofft hatte. „Du leugnest es also nicht einmal! Und das muß ich erleben an meinem einzigen Sohne, den ich erzogen, den ich nie von meiner Seite gelassen habe! Während ich Dich zum Wächter bestelle, wenn diese Person bei Deiner Braut ist, behext sie Dich selbst, denn das ist doch offenbar Hexerei, und da spielt sie mir gegenüber noch die Tugendhafte, Tiefbeleidigte, dies Geschöpf –“

„Mama, hör’ auf, das leide ich nicht!“ unterbrach sie Willibald gereizt.

„Du leidest es nicht – was soll das heißen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_168.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)