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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Aber der Winter hat dem Sommer gleichfalls mancherlei am Zeuge zu flicken. Er sagt:

„Da Summer is a rechter Bauer,
Er macht den Weibern den Milchrahm sauer.
Herimei, da Winter is fei!“

In dieser Weise geht der Streit eine Weile fort, bis der Winter bekennt, daß er doch nächstens das Feld räumen muß. Dann gehen beide friedlich nach dem nächsten Hause. Einst war das Spiel weit umfassender, wie eine ältere Fassung dieses Liedes zeigt, die 1580 als fliegendes Blatt erschien und durch Ludwig Uhland wieder bekannt geworden ist. 1628 wurde sie mit Beibehaltung des Kehrreims zu einem Wortwechsel zwischen der Stadt Ulm und einem Soldaten umgedichtet. Auch Lieder haben ihre Lebensschicksale!

Funkensonntag.

Nur an wenigen Stellen ist der Brauch so rein erhalten. Aber in den Mummereien der Landbevölkerung zur Fastnachtszeit blickt noch vielerorts der Gegensatz von Sommer- und Winterlarven durch, während derselbe in den Maskenbällen unserer Städte längst dem größeren Luxusbedürfniß und dem Streben nach Mannigfaltigkeit zum Opfer gefallen ist. Aber auch diese Lustbarkeiten sind Reste eines alten Vorfrühlingsfestes und einer derberen Zeit, welcher es Bedürfniß war, sich vor Beginn der stillen Fastenzeit noch einmal gründlich auszutoben. Ihre außerordentliche Verbreitung über ganz Europa legt deutlich Zeugniß von der wichtigen Stellung ab, die Fastnacht dereinst einnahm.

Noch ist keine volle Woche ins Land gegangen, da klopft die Frühlingsfestfreude schon wieder gebieterisch gegen die Thür, und wenige Pforten der deutschen Gebirgsgegenden bleiben ihr verschlossen. Es ist Funkensonntag, oder Sonntag Invocavit, wie ihn die Kirche nennt, der Tag des Feuerzaubers oder Feuersegens. Baumanzünden, Fackellaufen, Scheibenschlagen, Feuerradrollen und Kornwecken heißen die Bräuche, mit denen man allenthalben hier die Flur für das kommende Fruchtjahr weiht und der Saat wie der Ernte ein fröhliches Gedeihen zu sichern sucht. Hier kommt der „Winter“ meist nicht mehr so glimpflich weg wie am Fastnachtstage, denn er muß, wo er auftritt, unerbittlich den Feuertod sterben.

In Vorarlberg erscheint er unter der Gestalt der „Hexe“, einer aus allerhand alten Kleidungsstücken hergestellten Puppe. Der „Funka“, eine schlanke, junge Tanne, wird grün, wie sie im Holze steht, bis zum Wipfel mit Stroh umwickelt. Rings thürmen rüstige Burschen mächtige Stöße von Holzscheiten auf, und bald thront die Hexe oben auf dem Tannenwipfel. Schon wirft der Wald lange Schatten, da sammelt sich die männliche und weibliche Jugend aus weitem Umkreis um den Funka. Tiefe Stille herrscht. Es ist, als ob man sich bewußt wäre, eine heilige Handlung zu begehen. Burschen und Mädchen schwingen jedes eine noch unentzündete Fackel in der Hand, und der Funka nebst der Here sind die einzigen Gegenstände der leise geführten Unterhaltung. Jetzt blitzen die ersten Sterne auf, und die niedrigen Dorfhütten sind von der Höhe aus nur noch undeutlich zu erkennen. Ein Auserwählter tritt aus der Menge, die sich zu einem Kreise zusammenschließt, und zündet den Funka an. Jetzt fängt er Feuer, die Flamme züngelt empor und bereits loht er hoch gen Himmel. Die Hexe versinkt in seiner Gluth und alles drängt heran, die Fackel an dem geweihten Feuer zu entzünden und fortzustürmen. Bald ist Berg und Thal übersät von dahineilenden Feuerbränden; denn jedes will dem eigenen Boden den Feuersegen bringen, ehe die Fackel verlischt. Dazwischen hallt es, von ganzen Gruppen gesungen, durch die Nacht:

„Flack us! flack us,
Ueber alle Spitz und Berg us!
Schmalz in der Pfanna,
Korn in der Wanna,
Pflueg in der Erda
Gott alls grota lot[1]
Zwüschat alla Stega und Wega!“

Im Oberinnthal kommt das „Scheibenschlagen“ dazu. Die flammenden runden Scheiben aus Erlenholz, welche mit einem kräftigen Schwung in die Luft getrieben werden, glänzen weithin am dunklen Nachthimmel, und ihre Feuerbahnen, die sich bald kreuzen, bald nebeneinander laufen und auf Augenblicke die Nacht weithin erhellen, geben ein prächtiges Bild. Auch Schwaben kennt das Scheibenschlagen. Hier steht dasselbe in enger Beziehung zum Liebesleben. Man schlägt die Scheiben auf der Geliebten Wohl.

Jeder Scheibe Flug ist vorbedeutend für die Zukunft. Ob Flachs und Korn gedeihen, ob Lawinen stürzen, ob Glück oder Unglück, Krieg oder Friede kommt, das alles steht in ihren glänzenden Bahnen geschrieben, geschrieben für den, der zu lesen versteht. Wie mögen heuer am Funkensonntag die Scheiben geflogen sein? – Noch deutlicher als hier tritt die segnende Wirkung des Feuers in dem „Kornaufwecken“ von Proveis in Tirol hervor. Auf jedem Gute tragen hier die Buben Stroh und Reisig zusammen, stecken mit Einbruch der Nacht diese Haufen in Brand und schüren ihn, bis er weithin sichtbar loht; denn so weit er leuchtet, so weit reicht sein Segen. Nun beginnt ein Lärmen und Toben, ein Krachen und Blitzen. Die älteren Burschen schießen Büchsen und Pistolen ab, und jüngere eilen mit Schellen und Glocken wie rasend und laut schreiend durch die Felder, wo das Korn schläft. Erst nach Mitternacht wird’s allmählich still. Fragt man, was das bedeute, so erhält man die Antwort: „Sie wecken das Korn auf.“

An diese Bräuche schließen sich allerorts Spiel und Tanz an. Eigene Festgebäcke und der Bedeutung des Tages entsprechende Festspeisen erhöhen die volksthümliche Feier, und ein echter schwäbischer Funkensonntag giebt an Glanz im Herzen der Betheiligten einem großen städtischen Vogelschießen nichts nach.

Drei Wochen nach dem Funkensonntag fällt der Rosensonntag, Dominica rosarum, der Sonntag Lätare. Er ist das Frühlingsfest für den deutschen Osten. An ihm muß der Winter endlich für immer sterben und begraben werden. Schon aus dem sechzehnten Jahrhundert haben wir eine hübsche knappe Schilderung davon bei dem biederen Sebastian Franck, in seinem Weltbuch (1542): „Zu Mitterfasten ist der Rosensonntag … An diesem Tag hat man an etlichen Orten ein Spil, daß die Buoben an langen Ruoten Bretzeln herumbtragen in der Statt, und zwen angethone Mann, einer in Singrüen oder Ephew, der heißt der Summer, der ander mit Gmöß[2] angelegt, der heißt der Winter, dise streiten miteinander, da ligt der Summer ob und erschlecht den Winter, darnach geht man darauff zum Wein.“

In Obersteiermark faßt man heute den Streit zwischen Sommer und Winter gerichtlich auf, und beide führen vor versammelter Dorfgemeinde jedes Jahr einen langwierigen Rechtsstreit, in dem der Winter zuletzt immer Unrecht bekommt. Eine noch eigenartigere Gestalt hat das Frühlingsspiel im Saazer Kreise in Böhmen angenommen, wo es seltsamerweise den Namen „Mit dem Bändertod gehen“ führt. Hier ziehen fünf verkleidete Knaben

  1. Alles gerathen lasse.
  2. Mooswerk.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_174.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)