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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Vorherbestimmte Tagesarbeit unterbrechen, das kannte bei Kaulbars in erster Reihe nur Verstimmung wecken, weil er ganz und gar zu jenen ausgesprochenen Bauer- und Landwirthsnaturen gehörte, die, wenn ihnen Vater und Mutter während der Ernte sterben, zunächst nur unter dem Gefühl stehen: Vater und Mutter hätten sich auch eine bessere Zeit aussuchen können. Als indessen dies erste selbstische Gefühl in unserem Kaulbars erst überwunden war, war er nicht bloß gutwillig, sondern vor allem auch umsichtig in all seinen Anordnungen und wählte neben allerlei Rettungssachen, die man muthmaßlich brauchen würde, zugleich drei seiner besten Leute zur Verstärkung des nun von ihm zu führenden Zuges aus. Auch eine Leiter sammt einer Schütte Stroh nahm er mit, weil er der bestimmten Ansicht war, daß der Verunglückte, verwundet oder nicht, noch am Leben sein müsse; dreißig Stunden könne man’s aushalten, und Tobys Bemerkung, daß Uncas ihn sicher erst verlassen habe, als es mit ihm vorbei gewesen, wollt’ er nicht gelten lassen. Der Hund sei klug, aber doch bloß eine unvernünftige Kreatur. „Und reden kann er nicht.“

Es war gegen sechs Uhr, als man oben war und eine kurze Rast nahm. Uncas jagte beständig hin und her, so lange die Rast dauerte, immer auf denselben Punkt zu, so daß Toby nun in aller Bestimmtheit wußte, wohin man die Schritte zu richten habe.

„Er ist auf den Look-out hinaufgestiegen, um nach mir auszusehen. Und bei dem Aufstieg ist er verunglückt.“

Auf den Look-out also schritten sie zu, Kaulbars voran. Und nur noch wenige Minuten, so waren sie bis an den Fuß der Felspartie gekommen und tranken hier aus dem Quell – denn es war, trotz früher Stunde, schon heiß – und stiegen nun höher hinauf bis auf den Einknick, von dem aus der eigentliche Kegel anhob.

Und nun hatte man die Stufe glücklich erreicht und schritt um den mäßig breiten Rand, den sie bildete, herum. Das erste, was man sah, war der Brotrest, den Lehnert auf ein paar Schritt Entfernung dem Hunde zugeworfen, den dieser aber nicht berührt hatte.

„Hier müssen wir ihn finden,“ sagte Toby, und die Zweige des am Fuße des Kegels festeingewurzelten Gebüsches zurückschlagend, sah er den, dem die Suche galt. Unwillkürlich ließ er das Gezweig, das er in Händen hielt, wieder zurückfahren und seine Augen füllten sich mit Thränen. Könnt’ es anders sein? Der da lag, war gestorben um ihn, um seinetwillen. Und er sprach ein kurzes Gebet, während die andern noch zurückstanden. Nun näherte sich auch Shortarm und brach die weitvorgestreckten Zweige fort, und nun traten alle heran und schlossen einen Halbkreis und blickten auf den Todten. Er sah ernst aus, aber nicht von Schmerzen verzerrt oder entstellt, und hatte die Jagdtasche unter dem Kopf; – neben ihm lag das Gewehr, und ein kurzes Jagdmesser, das er noch in seiner letzten Stunde gebraucht haben mußte, war mit der Klinge in den Sand gestoßen. Sein Rock war halb geöffnet und man sah ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt, das er in die Rocköffnung wie in eine Brusttasche gesteckt hatte. Darunter ruhte seine linke Hand, auf deren Oberfläche man geronnenes Blut sah, aber nur wenig, wie von einem kleinen Riß mit dem Messer. Und nun bückte sich Toby, um das Zeitungsblatt zu nehmen, auf das der Todte, wie’s schien, in seiner letzten Stunde seine letzten Worte geschrieben hatte. Zwischen den Fingern der rechten Hand hielt er noch ein zugespitztes Holzstäbchen.


27.

Am zweiten Tage danach saß Obadja an seinem Arbeitstisch und schloß einen längeren Brief mit der geschnörkelten Aufschrift: An den Kirchen- und Gemeindevorstand zu Wolfshau bei Krummhübel in Schlesien, (Prussia.)

Der Brief selbst aber lautete:

„Dem verehrlichen Kirchen- und Gemeindevorstande zu Wolfshau (Krummhübel) habe ich in Nachstehendem die Pflicht, das Hinscheiden ihres Ortsangehörigen Lehnert Menz bekannt zu geben Er starb hier am 1. Juni d. J. und wurde den 4. in unserer Familiengruft zu seiner letzten Ruhe bestattet. Ueber sein Vorleben und seine Schuld war ich durch ihn selbst unterrichtet, aber ebenso war ich, von dem Tage seines Eintritts in unser Haus an, auch ein Zeuge seiner Reue. Seine Tüchtigkeit bei der Arbeit, seine kleinen gesellschaftlichen Gaben, seine Demuth und Bescheidenheit, wohl erst durch den Gang seines Lebens erworben, vor allem aber seine gute Sitte machten ihn zum Liebling unseres Hauses, und es war beschlossen, ihn, noch im Laufe dieses Sommers, meiner Familie näher zu verbinden: die Hand meiner Tochter Ruth, die er durch seinen Muth und seine Geistesgegenwart vom Tode gerettet hatte, war ihm bestimmt. Als er mir auch den auf einem Jagdausfluge begriffenen und in eine fährliche Lage gerathenen Sohn erhalten wollte, war es ihm nach Gottes unerforschlichem Rathschluß vorher bestimmt, diese neue Liebesthat mit seinem Leben zu bezahlen Im eifrigen Suchen nach dem, den er in unserem Gebirge verirrt glaubte, glitt er einen steilen Bergkegel, den wir den Look-out nennen, herab und verletzte sich dabei derart – der Hüftknochen sprang aus dem Gelenk –, daß er unfähig war, sich von der Unglücksstelle fortzubewegen, geschweige denn seinen Rückweg nach unserem Dorfe hin zu finden. Und in Einsamkeit ist er dort oben gestorben, nicht ohne daß sich zu seinem körperlichen Schmerz auch noch der Schmerz des Gewissens gesellt hätte, wie seine letzten Worte mit aller Bestimmtheit bezeugen. Wir fanden ihn den zweiten Tag, hoch auf dem Kamm des Gebirges, todt, mit einem in die Brusttasche gesteckten Zettel, auf den er, nachdem er sich eigens die Hand mit seinem Messer geritzt, all das niedergeschrieben, was ihm in seiner letzten schweren Stunde das Herz bewegt hatte. Das Holzstäbchen, das ihm dabei gedient, hielt er noch in seiner Rechten. Die niedergeschriebenen Worte aber lauten: ,Vater unser, der Du bist im Himmel . . . Und vergieb uns unsere Schuld . . . Und Du, Sohn und Heiland, der Du für uns gestorben bist, tritt ein für mich und rette mich . . . Und vergieb uns unsere Schuld . . .

„Ich hoffe: quitt.“




Ungedruckte Briefe Fritz Reuters.
IV.

Durch die ungeahnten litterarischen Erfolge, welche Fritz Reuter mit seinen Dialektdichtungen errang, besserten sich zusehends auch seine Vermögensverhältnisse, sodaß er bald daran denken durfte, sich und seiner Luise ein eigenes stattliches Heim zu bauen und einen berühmten Architekten mit der Ausführung zu betrauen. Der nachfolgende Brief an den alten Freund enthält eine anschauliche Schilderung dieses Hausbaues, der dem Eigenthümer viel Freude machte, aber ihm nicht allein solche, sondern auch mancherlei Sorgen brachte.

„Eisenach, den 11. Sept. 1866.

Mein lieber Fritz!

Du wirst nun wohl mit Deiner Ernte hoffentlich fertig sein und hoffentlich nicht so schrecklich viel Regen gehabt haben wie wir hier; und dann kannst Du nicht allein mit Muße diesen Brief lesen, sondern auch denselben bei Gelegenheit einmal beantworten. – Heber E.s[1] Glück und Deine Eigenschaft als Großpapa haben wir uns sehr gefreut; bin aber doch überzeugt, daß Dir meine verehrte Frau Gevatterin in ihrer Würde als Großmama vollständig Gegenstand leisten wird. Was das wohl für ein interessantes Enkelchen ist! und was das wohl für ein Hantieren und Wirken mit Windeln und kleinen nothwendigen Tüchern ist! Dann kommen denn später die gestickten kleinen Gewänder und Bänder und die verzwickten kleinen gehäkelten Mätzchen und die Lutschbeutel und die Klöterbüssen, und die Idylle ist fertig.

Wir träumen hier auch allerlei Idyllen, denn unser Hausbau hat insofern begonnen, als wir dabei sind, die Felsen, die im Wege liegen, zu sprengen, was viel Arbeit, aber auch Baumaterial schafft. Den Plan zu dem Hause habe ich mir von dem Professor Bohnstedt, einem Architekten aus Petersburg, machen lassen, sehr zur Zufriedenheit; der ausführende Baumeister ist der hiesige Ingenieur der Eisenbahn. Einen genauen Anschlag über den Bau habe ich noch nicht, weil der Plan wegen einiger Abänderungen an Bohnstedt zurück

  1. Peters’ älteste Tochter hatte sich im September 1865 verheirathet.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_186.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)