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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

diese Versöhnlichkeit! Lothar und Cilly kümmern sich um mich ebenso wenig als ihr Bruder Engelbert, in den ich, wie ich glaube, damals mit meinem siebenjährigen Herzen sterblich verliebt war.“

„Sie kümmern sich nicht um Dich – das heißt, man könnte wohl auch mit gutem Recht das Umgekehrte sagen. Hast Du ihnen denn jemals einen Beweis Deines Daseins gegeben?“

„Wie hätte ich dazu kommen sollen? Wußten die Brenckendorfs etwa nicht, daß ich elternlos geworden war?“

„Allerdings; aber sie glauben Dich vielleicht noch heute unter der väterlichen Obhut des würdigen Stadtraths Lehmann in der Heimath.“

„Mag sein! – Jedenfalls war es ihre Sache, mich zu suchen, nicht die meinige, mich ihnen aufzudrängen; denn ich bin arm und sie sind reich! Hatte ich nicht recht. Wolfgang?“

„Wenn Du es sogar verschmähen konntest, meine brüderliche Unterstützung anzunehmen – gewiß! Von einem andern Standpunkte aus und namentlich im Hinblick auf das Brenckendorfsche ‚demüthig und muthig‘ ließe sich allerdings vielleicht auch widersprechen! Aber es fällt mir nicht ein, in der Stunde unseres ersten Wiedersehens dergleichen zu thun – um so weniger, als es nun wirklich die höchste Zeit ist, daß ich gehe! – Gute Nacht, mein stolzes Schwesterchen – gute Nacht!“

Sie küßten sich herzlich, und mit glückstrahlendem Antlitz geleitete Marie den Bruder bis zur Thür.

(Fortsetzung folgt.)




Die Forthbrücke in Schottland.

Der Eiffelthurm ist ein Bau, der die ganze französische Nation mit ungeheurem Stolz erfüllt, und es fehlt sicher nicht an einer gewissen Berechtigung dazu. Aber die Engländer haben eben ein Werk der Baukunst vollendet, das als ein Merkmal wissenschaftlichen Fortschritts und großartigen Unternehmungsgeistes jenem mindestens gleichzustellen, zugleich aber von außerordentlichem praktischen Nutzen ist. Das ist die große Brücke über den Forth, die größte Brücke des Erdenrundes, die aber noch eine besondere Bedeutung dadurch erlangt hat, daß sie durch das System ihrer Bauart ein neues Zeitalter des Brückenbaues einzuleiten verspricht.

Ein Blick auf die Karte von Schottland wird uns zeigen, daß der unmittelbare Verkehr zu Lande zwischen Edinburgh und Perth, Dundee, Montrose, Aberdeen, sowie fast dem ganzen Norden von Schottland durch den nahezu zwei Kilometer breiten Ausfluß des Forth, der hier schon eher einem Meeresarm gleicht, bisher unterbrochen wurde. Aller Eisenbahnverkehr ging weiter landeinwärts über Falkirk und dann entweder bei Alloa oder bei Stirling über den Fluß.

Diesen großen Umweg abzuschneiden, wurde die neue Brücke gebaut. Schon im Jahre 1873 wurde der Bau beschlossen. Es sollte eine Hangebrücke werden ein System, welches sich damals noch der größeren Gunst bei den Ingenieuren zu erfreuen hatte. Doch der Bau wurde nur langsam ins Werk gesetzt und war selbst im Jahre 1879 nicht über seine ersten Anfänge hinausgekommen, als sich der schreckliche Unglücksfall auf dem Firth of Tay ereignete, einem etwas nördlicher gelegenen, der Forthmündung ähnlichen, wenn auch nicht so tiefen Stromausfluß. Die über denselben führende Brücke stürzte während eines Sturmes ein im Augenblick, da ein stark besetzter Personenzug darauf angelangt war, und begrub, wie sich mancher noch entsinnen wird, den ganzen Zug sammt seinen Insassen in der Tiefe.

Ein so schreckliches Unglück, das die ganze Welt damals so tief bewegte, hatte in England auch das Vertrauen auf die Bauart der Hängebrücken tief erschüttert. Eine Folge davon war, daß auch die Arbeiten an dem Bau der Brücke über den Forth sofort eingestellt und neue Pläne entworfen wurden. Im Jahre 1881 entschieden sich die mit der Prüfung der Angelegenheit beauftragten Sachverständigen einstimmig für die Annahme des Entwurfs, welcher von Sir John Fowler und Mr. Baker vorgelegt worden war und darauf hinausging, auf dem Meeresgrunde, bezw. auf einer im Forth liegenden Insel drei mächtige Pfeiler zu errichten und auf diesen riesenhafte Stahlthürme aufzubauen, die eigentlichen Stützpunkte des Ganzen, von denen aus nach beiden Seiten hin vom Kopf wie vom Fuß je zwei mächtige Kragarme ausgehen, deren untere Gurtungen sich gegen den Fuß der Stahlthürme stützen und deren obere sich an das obere Ende derselben anhängen. Diese beiden Gurten sind noch durch diagonale Verbindungsstücke gegen einander abgesteift, während in der Mitte selbst der Träger für die eigentliche Fahrbahn angebracht ist. In dieser Weise aneinander gefestigt, werden die Gurtungen nach beiden Seiten hin fortgeführt, bis sie den ausgestreckten Armen der nächstgelegenen großen Thürme so nahe kommen, daß nun durch einige besondere Zwischenträger eine Verbindung der beiden Thürme herbeigeführt wird, auf die also die ganze Last zurückfällt.

Das Grundgesetz an sich ist nicht neu. Im Gegentheil, wir finden es sogar schon im Alterthum vielfach angewandt, schon bei den Chinesen, bei den Indiern, wie auch bei den Griechen. In seiner einfachsten, rohesten Form kam dasselbe schon vor Jahrtausenden oft genug zu Geltung, wenn ein Wilder, der über einen Fluß setzen wollte, die überhängenden Aeste zweier an den Ufern sich gegenüber stehender Bäume durch einen darüber gelegten Balken mit einander verknüpfte. Da haben wir in den Stämmen der Bäume, den Aesten und dem Balken die drei Hauptbestandtheile des Systems: die Pfeilerthürme, die Kragarme und den Zwischenträger. Wurde diese ureinfache Ueberbrückung im Laufe der Jahrtausende in unzähligen Einzelheiten vervollkommnet, so wurde sie doch dem Hängebrückensystem lange nicht gleich geachtet, bis es den Erbauern der Forthbrücke gelang, mit Zuhilfenahme der neuesten wissenschaftlichen Fortschritte ihr zu richtiger Würdigung zu verhelfen und etwas bis dahin Unerreichtes zu Wege zu bringen. Die Brücke von New-York nach Brooklyn, eine Hängebrücke, deren Mittelstück eine Spannung von 1600 engl. Fuß (483 m) hat, gilt für ein Meisterwerk in ihrer Art. Doch die Forthbrücke hat ihr den Rang abgelaufen schon dadurch, daß sie sogar zwei Spannungen aufzuweisen hat, die je 1710 Fuß (521 m) lang sind, also beide zusammen schon eine Entfernung von mehr als einem Kilometer überbrücken.

Diese beiden langen Spannungen wurden durch die Natur des Untergrundes nothwendig gemacht. Die Stelle, die für die Brücke ausgewählt wurde, befindet sich an der sogenannten „Queens Ferry“, einer Einengung der Flußmündung, die durch einen Vorsprung der nördlichen Küste gebildet wird und die gerade in der Mitte die erwähnte Insel, ein felsiges Eiland, das „Inch Garvie“, aufweist. Auf beiden Seiten desselben befinden sich Stromrinnen von nahezu 60 m Tiefe, die zum größeren Theil mittels dieser riesenhaften Spannungen überbrückt worden sind, indem der mittlere der Pfeilerkolosse auf die Insel zu stehen kam. Die Ingenieure geben selbst zu, daß, wenn diese nicht vorhanden gewesen wäre, sie das Werk kaum hätten ausführen können. Der nördliche der äußeren Hauptpfeiler steht hart am Gestade von Fife und der südliche an einer seichteren Stelle, aber doch noch in dem Meeresarm selbst, so daß die äußerste Tiefe der Grundmauer an dieser Stelle 91 Fuß (27,7 m) unter dem Meeresspiegel erreicht.

Der Bau dieser drei Pfeilerkolosse, die zur Unterlage der mächtigen Stahlthürme dienen, war ein äußerst langwieriges Unternehmen und wurde mittels „Senkkasten“ ausgeführt, von denen ein jeder stark 21 m Durchmesser besaß und die genau an der Stelle, wo die Pfeiler aufzuführen waren, auf den Grund niedergelassen wurden. Ein solcher Senkkasten ist unten offen bis zu einer Höhe von etwas über 2 m, dann folgt ein eiserner Boden. Wenn nun der Kasten auf dem Grunde aufsitzt, so entsteht eine Art Taucherglocke, unter der, nachdem das Wasser ausgepumpt ist, die Arbeiten bei elektrischer Beleuchtung vor sich gehen.

Zur Sicherstellung der unter der Glocke beschäftigten Leute wird fortwährend Luft von oben durch Luftpumpen zugeführt und ein Druck von ungefähr zwei Atmosphären unterhalten. Aber auch im übrigen waren die Einrichtungen sicher und zweckentsprechend, daß selbst einige Besucher in den „Senkkasten“ zugelassen wurden, und man erzählt sich von einem Herrn, der hier auf dem Meeresgrund den Arbeitern sein Whiskyfläschchen herumgereicht und, nachdem dasselbe geleert worden, den Stöpsel wieder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_204.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)