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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Meeresarmes, des Kanals zwischen England und Frankreich. Die Ausführbarkeit eines solchen Planes wird durch die Forthbrücke in der Theorie als erwiesen erachtet, und es sind auch bereits mehrfach Entwürfe dazu ausgearbeitet worden. Warum sollte nicht die Sache – und zwar in gar nicht allzu ferner Zeit – auch thatsächlich ins Werk gesetzt werden? Zwar sind keine Inseln wie die Inch Garvie im Kanal vorhanden, doch giebt es geeignete Erhöhungen auf dem Meeresgrunde, die man sich für den Brückenbau zunutze machen könnte, und die Meerestiefe im allgemeinen ist hier ungefähr dieselbe wie im Forth. Gewiß, es würden sich im Kanal wesentlich größere Schwierigkeiten darbieten; aber ein Zweifel an ihre schließliche Ueberwindbarkeit hieße wenig Vertrauen haben in den steten Fortschritt der Wissenschaft und den menschlichen Unternehmungsgeist. Wilh. F. Brand.     




Ungedruckte Briefe Fritz Reuters.
V.


Man braucht nicht auf ein Wort des alten römischen Philosophen Boethius: „die Freundschaft, dies heiligste Gut, gehört der Tugend und nicht dem Glücke zu“, zurückzugreifen, um zu verstehen, aus welchem Grunde die Freundschaft zwischen Reuter und Fritz Peters aufgebaut war; auch ein gut deutscher Dichter, Tiedge, giebt in anderer Form demselben Gedanken Ausdruck:

„Und einen Freund kann jeder haben,
Der selbst versteht, ein Freund zu sein.“

Als Fritz Reuter noch schwer vom Schicksal verfolgt und seine Stirn von düstern Sorgen umschattet war, da nahm sich der wackere mecklenburgische Landwirth des Niedergedrückten mit seiner ganzen Selbstlosigkeit an, und die Mannhaftigkeit und schlichte Treue, die sich hierin offenbarte, waren Züge in dem Charakter beider Männer, die sie dauernd und innig an einander fesselten. Wohl trennten sie sich später wieder, als Reuter seine geliebte Luise heimführte und sich ein bescheidenes eigenes Heim gründete, aber sie standen nach wie vor in innigem Verkehr. Und gemeinsam blieben ihnen Freud und Leid auch dann, als der Lorbeerkranz das Haupt des Dichters umgrünte und der Ruhm den Namen Reuter auf seinen Fittigen durch die Welt trug. Von jedem kleinen Ereigniß machte der Dichter dem Freunde Mittheilung, an jedem Vorkommniß in Peters’ Familie nahm er theil. Als er 1869 wieder wie in den vierziger Jahren zur Kur in der Wasserheilanstalt Stuer war, schilderte er brieflich sein nasses Leben mit dem alten Humor und suchte die Freunde auf ihrem Gute Bollentin persönlich auf. Und als die ernsten Kriegsjahre 1870/71 hereinbrachen, da bewies er seine herzliche Antheilnahme dem Sohne Peters’, der als Soldat mit vor den Feuerschlünden des Feindes stand, und wir geben unter den nachfolgenden Briefen auch denjenigen wieder, den die Feldpost von Reuter dem jungen Peters überbrachte.

*  *  *
„Stuer, den 3. Januar 69. 

 Mein lieber Fritz!

‚Seht, Ihr Beide dort im fernen Pommern,
Seht, Ihr Wilden seid doch bess’re Menschen!
Und ich schlag mich seitwärts in die Büsche.’

Ja, Ihr seid besser als wenigstens ich, Ihr schreibt doch und schreibt gute und freundliche Briefe, das will ich Euch nächstens einmal gedenken. Ich lebe hier und blühe hier, wie ein einsames, stilles Veilchen, nur daß ich nicht so schön rieche und statt in Gras und Blumen im Sande versteckt bin. Meine Gesundheit ist von der Art, daß sie anfängt steuerlos zu werden, zwei Meilen ins Land zu laufen, durch die Näthe zu platzen und sich ernstlich darauf vorzubereiten, Siedenbollentin banquerutt zu fressen; ich werde indessen wohl schwerlich die Hand- und Spanndienste[1] Deines getreuen Knappen Jochen Nebke, dessen rechten und wohlklingenden Namen ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal erfahre, in Anspruch nehmen, denn wenn ich noch bis die zwanziger Tage des Januar abgeschrubbt bin, werde ich schon so viel Fell verloren haben, daß es auf einzelnen Stellen durchsichtig sein wird. Einen kupfernen Kessel kann man alle Tage mit Strohwiepen und Sand scheuern, das goldene Fließ eines Dichters aber will geschont sein. Doch darüber später!

Was nun sie ist, so scheint sie ein sonderbares Vergnügen daran zu finden, mich ins neue Jahr an der Nase hineinzuführen und dies nützliche Organ bei mir ebenso lang zu ziehen als ihr eigenes. Sie sollte gleich nach Weihnachten kommen, sie kam nicht und scheint die schöne Festzeit mit Hundedressur[2] verbracht zu haben, sie hat sich wenigstens das Verdienst erworben, die irregeleiteten Jugendtriebe meines Steffan in die gebührenden Schranken zu weisen. Nun wollte sie gestern kommen, sie ist nicht kommen und wenn sie nun heute nicht kommt, dann – täuwen wi noch en beten.[3]

Hier ist’s sehr trostlos und einsam und einfältig; trostlos für ein armes, sehr krankes Mädchen, einsam für Deinen ergebensten Diener und Freund, und einfältig für einen jungen Mann, der sich nur, wie Deine kleinen lieben Schweinchen, von ungesalzenen und ungeschmalzenen Erbsen und Linsen nährt und sich einen Vegetarianer nennt. Dies ist nämlich eine neue philosophische Sekte, die Deutschland ausgebrütet hat, die aber ihren Ursprung auf Pythagoras zurückführt und ernstlich damit umgeht, die Menschheit auf den Urzustand Adams und Evas zurückzuführen, ob auch in Bezug auf Kleidung, ist bisher noch zweifelhaft, mit dem Essen versuchen sie es aber durchzusetzen. Die Anhänger dieser vom deutschen politischen Katzenjammer und thierschutzvereinlicher Frömmigkeit ausgebrüteten Sekte, die schon ganz munter sind und Fleischessen für Sünde erklären, gewinnen an Boden, was Dir bei Deiner Rind- und Schweinezucht gefährlich werden kann, sie verlieren aber an Gewicht, denn unser Ober-Vegetarianer, der uns zu Weihnachten verlassen hat, hat so viel an Gewicht verloren, daß sich sogar seine Haut und seine Knochen in Luft zu verflüchtigen drohten. Ich stehe noch auf dem alten, rohen, fleischfressenden Standpunkt.

Der Bruder unseres Herrn Badey, ein Doktor der Mathematik, schützt mich gegen die Langeweile, aus Dankbarkeit habe ich ihm dafür Bismarck und von der Heidt[4] beigebracht; er frißt auch noch Fleisch.

Nun, meine lieben, braven, theilnehmenden Freunde, meine besten Wünsche zum neuen Jahr und die Bitte, Euch um mich nicht zu grämen, ich bin ganz prächtig zuwege.

 Euer

 alter Fritz Reuter.“



„Eisenach, den 2. Dezember 1869. 

 Mein lieber Fritz!

Gestern sind richtig und wohlerhalten die schönen pommerschen Südfrüchte[5] bei uns eingesprungen. Was meine ist, hat um diese Fleischtöpfe Aegyptens getanzt wie der selige König David um die Bundeslade. Schade! Sie hatte keinen leinenen Leibrock an, sonst wäre der Vergleich vollständig gewesen – und schade! ich mußte sie einfangen, sonst wäre sie in ihrer Freude auf den Tisch gehüppt, und der hätte es nicht ausgehalten, denn wenn’s so beibleibt, dann jagt sie Deine Frau in der Vollkommenheit und Völligkeit noch vorbei. – – – Meine Einnahmen werden für die Folge leider eine große Einbuße erleiden, weil ein spitzbübischer Buchhändler in Amerika meine sämmtlichen Werke Wort für Wort plattdeutsch nachdruckt, und wenn derselbe diesen Nachdruck auch nicht in Deutschland gegen die bestehenden Gesetze vertreiben kann, so wird der Schmuggelhandel doch das seine thun; jedenfalls wird aber der Vertrieb in Amerika, der in der letzten Zeit sehr bedeutend war, vollständig abgeschnitten. Das ist sehr schlimm, es läßt sich aber gegen das amerikanische Raubsystem nichts machen. – – –

 Dein

 Fritz Reuter.“




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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_206.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)
  1. Zum Abreiben mit nassen Tüchern als Nachkur nach dem Verlassen der Heilanstalt.
  2. Reuter hatte sich zur Bewachung seines neuen Hauses eine junge Dogge angeschafft.
  3. Warten wir noch ein bißchen.
  4. Scherzhafte Bezeichungen von Touren im bunten Whist.
  5. Reuter bezog in den letzten Jahren regelmäßiq gegen Bezahlung Fleischwaren aus Bollentin, die ihm besonders zusagten.