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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Eisenach, den 13. Okt. 70. 

 Mein lieber Fritz!

Es ist schon lange her, daß ich nicht an Euch geschrieben habe, habe auch nicht zu den alljährlich so schön regelmäßig wiederkehrenden Geburtstagen gratulirt, obgleich ich doch auch an anderen minder wichtigen Tagen sehr viel und freundlich an Euch gedacht habe. – Was ist das für eine Zeit! – Man kommt gar nicht zu Athem, zumal wenn man an einer so belebten Militärstraße wohnt wie wir. Hier gehen die meisten Soldatenzüge durch und nur die große Entfernung von uns zum Bahnhof und die Ungewißheit der Ankunft der Züge verhindern uns, bei den meisten Zuschauer zu sein; aber nun diese Zeitungsnachrichten! (ich lese jetzt 4 Zeitungen, die ‚Kölnische‘, die ‚Weimarsche‘, die ‚Rostocker‘ und unser Eisenacher Wurstblättchen), bald sind’s Freuden-, bald Hiobsposten, zu welchen letzteren ich die furchtbaren Verlustlisten der ‚Kölnischen‘ rechne, worin ich denn auch einen A. als leicht verwundet gefunden habe, aber zum Glück keinen M. Peters; ferner die Schilderung der in der Pfalz und im Elsaß herrschenden Noth und schließlich die infame Viehpest.

– – Dein M. hat an mich geschrieben, einen lieben, freundlichen und sehr instruktiven Brief; er bittet darin um Antwort, und diese hätte ich schon längst ihm zukommen lassen, wenn ich nicht die Absicht hätte, ihm irgend einen Abdruck von einem längeren Gedicht von mir zukommen zu lassen. Das Ding muß noch nicht gedruckt sein, ich erwarte es jedoch bald und dann werde ich es an Euch in Bollentin senden, da Ihr doch am Ende seinen Aufenthaltsort genau wissen müßt. Der wird was zu erzählen haben. Gebe Gott nur, daß er erst gesund und heil zu Euch zurückkehre; wenigstens aus diesen nichtswürdigen Bivouaks bei Metz erlöst wird, von denen uns ein mecklenburgischer Unteroffizier eine sehr häßliche Beschreibung gemacht hat.

Wir haben hier ein Lazareth von einigen Leichtverwundeten und ziemlich vielen Kranken (Rheumatismus, Typhus, Ruhr) und heute erwarten wir französische Gefangene; es soll eine Rasselbande von Zuaven, Turkos, Mobilgarden und Franctireurs sein, die zur Sicherheit von einer ganzen Kompagnie geleitet wird. Diese unsere neue Einwanderung wollen wir denn auch heute Nachmittag auf dem Bahnhofe in Empfang nehmen. Es ist nur ein sehr schlechtes Wetter augenblicklich, stürmisch mit vielem Regen, und der Herbst macht dem rasch herbeieilenden Winter nur noch ein flüchtiges Kompliment.

Wie’s uns geht? Nun, bei so allgemeinem Leid und so verbreiteter Sorge und Noth darf man billigerweise mit seinen kleinen Klagen nicht zu Markte ziehen. Fühl’s aber doch schon, daß ich in kürzester Zeit meine 60 Jahre auf dem Rücken habe; Kreuzschmerzen, Reißen in den Beinen und andere Altersgenossen treiben sich in meinem Leichnam umher. – – –

Was mir noch viele Freude macht, ist mein Garten, der in diesem feuchten Sommer prächtig herangewachsen ist; alles gedeiht gut, auch die im oberen Garten neu gepflanzten Obstbäumchen. Die andern haben schon fast alle getragen und treffliches Obst gebracht, vor allem die Weinstöcke, nur sind manche spätere Sorten nicht reif geworden. Meine Kirschen haben die Vögel, meine Nüsse die Eichkatzen aufgefressen. Heute will ich Pfirsiche, Aprikosen und Wein beschneiden. – –

 Dein Fritz Reuter.“




„Eisenach, den 2. Nov. 70. 

 Mein lieber M![1]

Gottlob, daß Ihr mit dem verdammten Metz fertig seid! Es ist dort doch wohl die scheußlichste Lage im ganzen Kriege gewesen. Ich habe hier von verschiedenen Seiten darüber Schilderungen von Leuten, die davor gelegen haben, erhalten, unter andern von dem Obersten des 77. Regiments, der ein paar Häuser weit von uns sehr bedeutend am Typhus erkrankt darniederliegt. Nun lese ich aber zu meiner großen Freude, daß schon vor dem vollständigen Abschluß der Kapitulation die eine Division des 2. Armeecorps[2] in vollem Regen des Abends auf Paris abmarschirt ist.

Ich hätte Dir schon viel früher auf Deinen so freundlichen und hübschen Brief geantwortet, wenn ich nicht die Absicht gehabt hätte, Dir ein Stückchen Poesie mitzusenden, zu dem mich eigentlich Dein Bericht über Gravelotte zunächst veranlaßte; aber bevor so etwas geschrieben und wiederholt durchgesehen und schließlich gedruckt ist, darüber vergeht immer geraume Zeit, und nun wissen wieder die Deinigen, an welche ich diese Zeilen zur Beförderung sende, wahrscheinlich nicht, wohin sie mein Machwerk schicken sollen.

Die Begeisterung für Eure Thaten vor Metz ging wie ein Lauffeuer durch das ganze deutsche Vaterland, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, vom Palast zur Hütte, alles jubelte nicht allein über Euren Erfolg und Euren Heldenmuth, sondern alle die, die sich einen Begriff von den Schwierigkeiten Eurer Lage machen konnten, waren voll Enthusiasmus über die Zähigkeit und Aufopferungsfähigkeit der herrlichen Armee, die unter solchen Umständen solche Erfolge erstreiten konnte. Ja, mein lieber Sohn, wenn wir uns, will’s Gott, gesund einmal wiedersehen, dann kannst Du mit Stolz sagen: da bin auch ich dabei gewesen! Das ist ein großes Gefühl, welches dem Menschen für alle Zeit und Zukunft als Stab und Stütze sicher zur Seite steht.

Wir alten Knaben hier in Eisenach thun auch freilich das unsere, um der Noth im Felde so viel als möglich abzuhelfen, und haben von hier aus schon einige Male Wagensendungen mit warmen Kleidern und Lebensmitteln an unser 2. Bataillon des 94. Regiments abgesandt; aber was will das heißen? Es ist das Scherflein der armen Wittwe, wohl gut gemeint, aber doch sehr wenig hilfreich.

Meine Luise, die Dich recht von Herzen grüßen läßt, hat unser Haus, oben und unten, für Leichtverwundete und Reconvalescenten eingerichtet, sie hat eine Unmasse von Erquickungen eingekocht; aber vergebens, es werden keine Kranke in Privatlogis einquartiert, und so beschränkt sich denn unsere Pflege auf den Obersten v. C., und das auch nur durch etwaige Zusendungen.

Seit zwei Tagen sind wir denn auch mit französischen Gefangenen gesegnet, es sollen meist Elsasser aus Schlettstadt sein, ich habe sie noch nicht gesehen. Heute pfeift die Lokomotive wieder ununterbrochen, ein Zeichen, daß Frankreich wieder bei uns zum Besuch kommt, wir haben uns diesen Besuch wiederholentlich auf unserem vorzugsweise frequentirten Bahnhofe angesehen; aber ich kann nicht sagen, daß derselbe einen wohlthuenden Eindruck auf uns gemacht hat, es sind verkommene Gesellen, diese Zuaven und Turkos, und wenn Deutschland noch irgend Ehre im Leibe hat, so wird es in heller Werkthätigkeit Gott und Euch auf den Knieen danken, daß Ihr uns vor diesen Menschen bewahrt habt.

Gestern Abend verbreitete sich hier, durch Berliner Zeitungen hervorgerufen, das Gerücht, es sei auf unseren König geschossen und der Kriegsminister sei verwundet; ich glaub’s aber nicht. Wäre es wirklich der Fall, so wär’s für Frankreich das fürchterlichste Unglück. – – –

 Dein Fritz Reuter.“




Das Kriegsgetöse war verrauscht, und wenn auch die im blutigen Ringen geschlagenen Wunden noch nicht vernarbt waren, wenn auch mancher theure Todte von den Seinen noch heiß betrauert wurde und der glücklich Heimgekehrte die unter Kanonendonner und Schmerzenslauten erlebten Schreckensscenen noch treu im Gedächtniß hielt: der Friede war doch wieder eingekehrt und mit seinen Segnungen neues kraftvolles Leben. In seiner schönen Villa bei Eisenach lebte Fritz Reuter an der Seite seiner treuen Luise ruhig und glücklich und der Aufschwung, den nach dem siegreichen Kriege das ganze öffentliche Leben in Deutschland nahm, kam auch ihm zugute. Seine Werke fanden Freunde in Hütte und Palast, im Norden und Süden des geeinten deutschen Vaterlandes und in der ganzen Welt, wo Deutsche an dem kraftvollen Gedeihen der alten unvergessenen Heimath freudigen Antheil nahmen. Stets blieb Reuter mit seinen Freunden in reger Verbindung und unauslöschliche Liebe und Dankbarkeit bewahrte er insbesondere dem treuesten Freunde aus schweren Tagen, Fritz Peters, und dessen Familie. Das spricht lebendig aus dem folgenden – letzten – Briefe des Dichters, den er bei dem Tode der Mutter Peters’ an die in Trauer versetzte Familie richtete:

„Eisenach, den 27. Jan. 1873. 

 Mein lieber Fritz!

Als mir gestern Abend mein Möller einen schwarzgeränderten Brief brachte, ich Deine Handschrift auf der Adresse sah und den

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_207.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)
  1. Dieser Brief ist an Peters’ Sohn, der im Felde stand, gerichtet.
  2. M. Peters stand beim zweiten Armeecorps.