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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


verfolgt er die gleichen Zwecke wie in den übrigen: er schildert durchweg solche Lebensläufe, aus denen ein großer Wille, eine ungewöhnliche Festigkeit des Wesens hervorleuchtet, und mit Vorliebe behandelt er die Schicksale von Männern, welche sich aus geringen Anfängen mühsam emporgerungen, lange mit jeder Art von Beschwer und Hemmniß zu kämpfen gehabt haben, und deren endlicher Sieg den Triumph des mächtigen Menschengeistes über die Zufälle der Geburt, über Umstände und Verhältnisse, über jegliche Art voll Ungunst und Unbill bedeutet.

Wenn er glaubt, mit Betrachtungen und Auseinandersetzungen innehalten zu sollen, dann geht er gern zu Beispielen über, und auf diesem Gebiete ist er geradezu unerschöpflich. Er ermuthigt, er spornt an, er tröstet durch Beispiele. Er weist auf die Personen hin, die gestrebt, gelitten, gekämpft haben – er weiß aus der Daseinsgeschichte unzähliger Personen Begebnisse anzuführen, welche uns erheben, beruhigen, ermuthigen sollen. Droht der Mißerfolg uns niederzubeugen, so erzählt Smiles uns eine Menge Proben davon, wie der Lorbeer erst nach vielen Enttäuschungen und Entbehrungen dem oder jenem zutheil geworden sei. Betrachten wir die uns zugefallene Aufgabe als zu gering, so belehrt Smiles uns, daß niemand klein sei, der seine Pflicht erfülle, daß es ein Heldenthum in der Lebensführung gebe wie ein Heldenthum auf dem Schlachtfelde. Und wie er scharf zu sondern weiß, die Sparsamkeit empfiehlt, aber den Geiz verdammt, das Streberthum geißelt, den Ehrgeiz aber preist, so macht er uns klar, daß nur derjenige ein unnützes Geschöpf ist, der nicht mit allen Kräften trachtet, zu leisten, was innerhalb der Grenzen seiner Fähigkeiten liegt. Smiles führt mit Vorliebe das Wort Lord Broughams an: wenn er Stiefelputzer wäre, so würde er sich bemühen, der erste Stiefelputzer von England zu werden. Wie er die Aufgabe des Menschen versteht, mag eine Stelle aus dem Buche „Der Charakter” darthun: „Geleitet von dem Lichte großer Beispiele, die von den edelsten Vertretern der Menschheit gegeben wurden, soll jeder von uns dahin streben, die höchste Charakterstufe zu erreichen, nicht in den Mitteln, wohl aber im Geiste der Reichste, nicht in weltlicher Stellung, wohl aber in Ehrenhaftigkeit der Höchste, nicht der Klügste, wohl aber der Tugendhafteste, nicht der Mächtigste und Einflußreichste, sondern der Wahrhafteste, Aufrichtigste und Ehrlichste zu werden.”

Mancherlei läßt sich gegen Einzelheiten in Smiles Schriften einwenden. So z. B. wird jeder Nationalökonom erklären, daß Smiles der Sparsamkeit des einzelnen eine zu große wirthschaftliche Bedeutung für die Gesammtheit beilegt, und daß er sich irrt, wenn er mittels des Sparens die sociale Frage ein für allemal lösen will. Er geht auch darin zu weit, daß er der natürlichen Begabung, der Eigenart, dem Temperament des Menschen nur einen sehr geringen Platz einräumt neben Fleiß, Standhaftigkeit, Tüchtigkeit und Selbstbeherrschung. Aber im großen und ganzen wird man kaum den Gegenbeweis gegen Smiles’ Ausführungen antreten können. Man hat die Empfindung, daß er immer den Nagel auf den Kopf trifft.

Eine der gewinnendsten Seiten an Smiles ist sein scharfer Blick für das Aus- und Durchführbare. Er schwebt nie in den Wolken, er geht mit festen Schritten über die Erde. Er vertröstet diejenigen, die seine Rathschläge befolgen, auf keinen außerirdischen Lohn, sondern beweist ihnen, sie würden greifbaren Nutzen finden, wenn sie den richtigen Weg einschlügen – und auch da ist er mit lebendigen Belegen wieder flink zur Hand.

Mit dem Buche „Selbsthilfe” hatte er die Art gefunden, die ihm so reiche Früchte bringen sollte. Eine Reihe junger Leute in Leeds hatten einen Selbstbildungsverein gegründet. Smiles leitete damals in Leeds eine Zeitung – es war dies vor seiner Thäthigkeit als Eisenbahnsekretär –, er hielt in jenem Verein Vorträge und erzielte mit letzteren so nachhaltige Wirkung, daß er sie gesammelt erscheinen ließ. Er stand für die Erfahrung ein, daß der Mensch nicht auf Zufall und Glück vertrauen dürfe, sondern auf die eigene Kraft bauen müsse, ja, daß er nicht verzagen dürfe, wenn Zufall und Glück sich ihm auch noch so lange abhold zeigen.

„Die großen Erfolge im Leben,” heißt es bei ihm, „werden gewöhnlich durch einfache Mittel und die Uebung gewöhnlicher Eigenschaften erzielt. Das Alltagsleben mit seinen Sorgen, Bedürfnissen und Pflichten gewährt reichliche Gelegenheit, Erfahrung bester Art zu sammeln; gerade seine am meisten breitgetretenen Pfade bieten demjenigen, der wirklich arbeiten will, den weitesten Spielraum, zu streben, und Platz, sich zu entwickeln. Der Weg, der den Menschen zur Wohlfahrt führt, ist die alte Heerstraße unerschütterlichen Wohlverhaltens und guter Handlungen, und wer am beharrlichsten ist und am treuesten arbeitet, wird gewöhnlich auch am glücklichsten sein. Man hat das Glück oft wegen seiner Blindheit getadelt; aber das Glück ist nicht so blind wie die Menschen. Wer ins praktische Leben blickt, wird finden, daß das Glück meist auf Seite der Strebsamen ist, wie der Wind und die Wogen den besten Schiffen zur Seite stehen.”

In diesen Zeilen liegt der ganze Sinn von Smiles’ Schriften klar zu Tage. Er eifert dagegen, daß man das Leben als ein Lottospiel auffasse; der Mensch ist seines Schicksals Schmied, und wer glücklich sein will, der braucht es nur richtig anzugreifen. Selbst ist der Mann! Das muß man sich stets vor Augen halten und dann wird man siegreich durch alle Prüfungen gehen und sogar aus dem Unglück Nutzen ziehen, indem man von ihm zu lernen sucht. Dem festen Wollen ist nichts unerreichbar. Zu den obersten Regeln gehört es dabei, den Werth der Zeit und des Geldes richtig zu schätzen; erstere wie letzteres muß man richtig zu verwenden wissen, sonst reichen beide nicht aus. Smiles beruft sich auf einen namhaften Naturforscher – immer wieder greift er auf die lebendigen Beispiele zurück – und äußert sich: „Sein Leben bewies aufs klarste die Wahrheit, daß, wer am meisten zu thun hat und arbeiten will, immer Zeit dazu findet.”

Von der Sparsamkeit sprechend, die er aber nicht mit Knauserei verwechselt sehen will, erinnert er an Dr. Johnsons Ausspruch: „Man fasse den Entschluß, nicht arm zu sein; man gebe stets weniger aus, als man hat.”

Aus Eigenem giebt Smiles derselben Lehre folgende Fassung: „Die Klugheit gebietet, lieber seine Lebensweise auf etwas niedrigerem Fuße einzurichten, als genau auf dem, welchen die Einnahmen gestatten.”

Die Sparsamkeit, betont er, fördert die Unabhängigkeit, der Schuldner ist ein Sklave, das Schuldenmachen eine Abart von Unehrlichkeit . . . Wer nicht verschwenderisch und nicht knauserig ist, sondern vernünftig zu sparen weiß, der hat den Weg der Selbsthilfe beschritten, der erfüllt seine Pflicht und befindet sich aus dem Wege, seinen Charakter zu vervollkommnen – das ist der Gedankenring, der seine vier Hauptbücher „Sparsamkeit”, „Sefbsthilfe”, „Pflicht” und „Charakter” umschließt.

Als Beitrag zur Kennzeichnung unseres Moralphilosophen und auch als Antwort auf Fragen nach seinem bisherigen Lebenslaufe mag zum Schlusse dieser flüchtigen Skizze das Wichtigste aus einem Briefe angeführt sein, den Samuel Smiles – er lebt in Kensington bei London – vor etwa 4 Jahren an mich gerichtet hat:

„Während desjenigen Theiles meines Lebens, da ich am beschäftigtsten war, arbeitete ich als Sekretär zweier Eisenbahngesellschaften, und nur während meiner abendlichen Mußestunden schrieb ich die Bücher, die mich auch in Deutschland bekannt gemacht haben. Ich wurde fünfundvierzig Jahre alt, ehe das Publikum mir die Ehre erwies, eines meiner Bücher zu lesen. Es war dies die Geschichte George Stephensons, des Erfinders der Eisenbahnlokomotive. Dieses Werk hatte Erfolg und erlebte fünf Auflagen innerhalb dreier Jahre. Mittlerweile hatte ich ‚Selbsthilfe‘ geschrieben, konnte aber keinen Verleger dafür finden. Ich veröffentlichte es auf meine eigenen Kosten, und seither sind in England 160 000 Exemplare verkauft worden, wie viele in Amerika, das weiß ich nicht, weil es dort auf dem Wege unbefugten Nachdruckes verbreitet wurde. Uebersetzt wurde es ins Deutsche, Holländische, Dänische, Norwegische, Schwedische, Französische, Spanische, Russische, Böhmische, Kroatische. Türkische, Japanische und in einige indische Dialekte, wie Tamil und Marathi. Während ich meine Thätigkeit als Beamter fortsetzte, schrieb ich das ‚Leben der Ingenieure‘, die ‚Biographie von Industriellen‘, die ‚Hugenotten‘ und den ‚Charakter‘. Da wurde ich durch die Natur daran erinnert, daß ich mich überarbeitet hatte. Eine Lähmung warf mich nieder, und fünf Jahre ließ ich die Feder ruhen. Dann zog ich mich vom Amte zurück und erholte mich so weit, daß ich wieder einige Bücher schrieb die mit ungewöhnlichem Wohlwollen aufgenommen wurden . . . Mein Leben geht nun dem Ende entgegen. Nächstens trete ich in mein vierundsiebzigstes Jahr. Seit zweiundvierzig Jahren bin ich verheirathet und habe Kinder und eine Menge Enkel. Im ganzen habe ich ein glückliches Dasein geführt. Ich war immer arbeitsam und ausdauernd, und darin, glaube ich, liegt eines der Geheimnisse des menschlichen Glückes.”

Ferdinand Groß.




Nachgelassene Gedichte von Gottfried Kinkel.

An seinem Schreibtische sitzt ein Mann, groß und kräftig; sein Haupt umrahmen weiße Locken und ein weißer Bart, klare Gedanken wohnen auf seiner Stirn, ein starker Charakter prägt sich aus in den festen Linien seiner Züge und sinnende Weltbetrachtung leuchtet aus den hellen Augen – Weisheit, Kraft und Phantasie in einem Bilde.

Aber noch einen Zug trägt das Bild – Glück, vollkommenes, gesättigtes Glück leuchtet auf dem ernsten Antlitz.

Der Mann schreibt eifrig mit der rechten Hand. Den linken Arm aber hat er um ein liebliches Mädchen geschlungen, das still auf seinem Schoße sitzt, das Köpfchen an seine Wange gelehnt – still, um die Arbeit des Geistes nicht zu stören, mit sinnendem Blick, als wüßte es, daß es so dem Gedankenfluge des Schreibenden Schwingen verleiht.

Es ist Gottfried Kinkel, und das Kind auf seinem Schoße ist sein jüngstes Töchterchen Gerda.

So war es einst, vor mehr als zehn Jahren. Tochter und Vater sind seitdem lange in das Grab gesunken.

Nach dem Tode seiner ersten Frau Johanna, die bekanntlich zu London durch einen Sturz aus dem Fenster ein vielbetrauertes Ende fand, hatte sich Gottfried Kinkel 1862 wieder verheirathet. Seit Jahresfrist etwa lebte er als Professor der Kunstgeschichte am Züricher Polytechnikum an der Seite seiner zweiten Gattin in freundlichen und glücklichen Verhältnissen, als ihm, das letzte von mehreren Kindern, 1867 sein Töchterchen Gerda geboren wurde.

Es war ein zartes Kind. Ganz klein noch, rang es um sein junges Leben, und einmal hatte schon der Arzt die Eltern auf den Tod des Lieblings vorbereitet. Es wurde gesund. „Als Gerda,” so erzählt uns die heute noch in Zürich lebende Witwe Gottfried Kinkels der mir diese Mittheilungen und die Ueberlassung der unten folgenden Gedichte verdanken, „als Gerda zum ersten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_222.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)