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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Du freie Schweizererde, nimm sie wieder,
Aus deren Schoß ich sie empfing,
Verzehr’ in Staub den Bau der holden Glieder,
An dem mein Blick mit Wonne hing.

Und schön auch ist, geliebtes Kind, die Stätte,
Wo du im jungfräulichen Bette liegst!
Die Alpen grüßen fern in stolzer Kette,
Die du so gern mit mir erstiegst.

Wohl spreitet heut’ ob all den kleinen Hügeln
Der Schnee nur noch das reine Bahrtuch aus,
Doch kehrt der Lenz nun bald auf blauen Flügeln
Und schmückt dir bunt das enge Haus.

Und lieb ist’s dann, dem Fall des Bachs zu lauschen
Im tiefen Grund durch blum’ge Wiesenflur:
Er spricht mit Flüstern bald und bald mit Rauschen
Vom ew’gen Leben der Natur.

Im Fichtenhain, der dir das Grab beschattet,
Weht frischer Duft vom weißen Schlehenhag,
Wo sich des Finken frohem Schmettern gattet
Der süßverliebte Amselschlag.

Dort die Kastanie senkt der Wurzeln Fülle,
Dich liebevoll umarmend, in die Gruft,
Die Wurzel streift an die zerfall’nde Hülle,
Der Wipfel schwankt in sonn’ger Luft.

Sie will dein schwindend Leben noch behüten,
Sie lockt dich – ein Atom von deinem Staub
Ringt sich ans Licht in ihren weißen Blüthen
Und wallt beglückt im Frühlingslaub.

An dieses Baumes Fuß will ich mich setzen,
Wenn fern verlischt der Alpe Rosenglühn,
Und mit dem Abendthau der Thränen letzen
Die Blumen, die dein Grab umblühn.

 ________

Aber nicht aus dem Moder der Grüfte
Zaubr’ ich auf ewig dein Bild mir empor!
Nein, im Glanze der himmlischen Lüfte
Schwebst du mir über die Gipfel empor.

Hoch im Gebirg, wo dein Füßchen so gerne
Sprang durch die Blumen der sonnigen Au,
Strahlt mir vom Aether aus endloser Ferne
Deines Auges entzückendes Blau.

Wenn von summenden Bienen umflogen
Weiß in Blüthen pranget der Strauch,
Küßt mich sanft in des Duftes Wogen
Deines Mündchens belebender Hauch.

Wenn der Föhn mich zärtlich umschmeichelt,
Träum’ ich von dir, mein holdseliges Kind,
Wie so gern mir die Wange gestreichelt,
Ach, dein Händchen, so warm und so lind.

Und wenn sanft der Gipfel sich röthet
Und in den Thälern die Nacht schon blaut,
Hör’ ich, wenn mir die Amsel flötet,
Deines Stimmchens holdtröstenden Laut.

 ________

Ich ruhe still – der Tag ist fast verblichen,
Und seine Müh’ und Sorgen bin ich los;
Da kommst du leichten Füßchens hergeschlichen,
Und setzest dich auf meinen Schoß.

Den Arm wie ernst mir um den Hals geschlagen.
Das Köpfchen an die Wange mir gelehnt,
So flüsterst du: o Vater, laß das Klagen.
Den Gram, der stets nach mir sich sehnt.

In Liebe hab’ ich selig mich gefunden,
Die voll ich gab und voll empfing;
Nun stillt auch ihr die tiefen Herzenswunden,
Da ich in Frieden von euch ging!

Wohl mocht’ ich gern an eurer Brust erwarmen.
Doch flüchtig eilte vorwärts Jahr um Jahr –
Bald riß die Welt mich fort aus euren Armen,
Und anders ward ich als ich war.

Dir und der Mutter darf ich jetzt mich gatten,
So oft es eure Sehnsucht mir gebeut;
Ich hör’ euch auch im tiefen Reich der Schatten –
Ruft mich, so bin ich da wie heut!

Und nun leb’ wohl! Du hauchst es, und ich wähne
Zu fühlen, wie dein Bild dem Arm entweicht –
Die Nacht umfängt mich, still noch fließt die Thräne,
Doch muthig wieder schlägt das Herz und leicht.

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Ich stand an deinem Grab mit bangem Weinen,
Da hab’ ich’s in der Stille dir gelobt:
Nicht Bitterkeit soll mir das Herz versteinen,
So wild der Schmerz auch drinnen tobt!

Zu Deines Herzens Höh’n will ich mich schwingen,
Denn du warst gütig wie das Morgenlicht,
Und wo du andern konntest Freude bringen,
Du scheutest Sorg’ und Arbeit nicht.

Die Liebe, die ich dir nicht durfte spenden,
Du sendest sie als Liebe mir zurück;
Ich will sie treulich auf die Menschheit wenden,
Und leidend bau’n an fremdem Glück.

Das Gold, das ich in manches Jahres Streben
Mit harter Faust für dich erwarb,
Es rolle hin, da mir mit deinem Leben
Nun auch die Sorge für dich starb!

Vielleicht ein ander Kind wird noch gerettet
Vom Gut, das einst dein eigen sollte sein,
Und weil du liegst im dunkeln Grab gebettet,
Tanzt es im frohen Sonnenschein. [1]

Dann lebst auch du ja fort! Auf späten Wegen
Geht lächelnd noch dein Schatten durch die Welt,
Von deinem kurzen Dasein thaut ein Segen,
Der sanft auf Mutterherzen fällt.

  1. Gottfried Kinkel hatte zum Gedächtniß seines Lieblings dem Begründer der Ferienkolonien, Pfarrer Bion, eine namhafte Gabe zugewendet.


Volkswitz in der Sprache.

Daß sich der Volkswitz von jeher besonders gern in allerlei theils gelehrten, theils ungelehrten, theils gesuchten, theils ungesuchten Wortverdrehungen ergangen hat, ist bekannt: schon Fischart, Hans Sachs, Martin Luther und besonders der von Schiller in der Wallensteinschen Kapuzinerpredigt nachgeahmte Ulrich Megerle, genannt Abraham a Santa Clara, haben darin Hervorragendes geleistet. Da wurde „Alchimisterei“ zu „Allkühmisterei“ gewandelt, „Philosophus“ zu „Philosaufaus“, die „Xanthippe“ sehr hübsch zur „Zanktippe“, der „Notar“ zum „Notnarr“, das „Fundament“ zu „Untenamend“, die „Provision“ oder „Profession“ zur „Brotfression“, der „Professor“ zum „Brotfresser“ und der „Jesuiter“ endlich zum „Jesuwider“.

Spätere Zeiten haben diese Verdrehungswitzeleien wacker fortgesetzt. Da wurde die „Cigarre“ zur „Zieh-jarre“, der „Potsdamer“ zum „Potsdämlichen“, der „Civilverdienstorden“ zum „Zuvielverdienstorden“, die „Aprikose“ zur „Appelkose“, das „Räucherkerzchen“ zum „Räucherkätzchen“, „radikal“ zu „rattenkahl“, „Tribüne“ sehr anschanlich zur „Treppine“, der „Trainsoldat“ zum „Tränksoldat“, „Janitscharenmusik“ zur „ganzen Scharenumsik“, „Gasbeleuchtung“ zur „Gassenbeleuchtung“, der „Kanarienvogel“ zum „Kanaillenvogel“, der „Apotheker“ zum „Abdecker“, der „Rentier“ zum „Rennthier“, die „Gouvernante“ hübsch zur „Jungfer Nante“, der „Dragoner“ zum „Trojaner“, „Champagner“ zu „Schlampagner“, „Rheumamatismus“ sehr gut zum „Reißmatismus“, „Rothkehlchen“ zum „Rothkäthchen“, das „Bologneserhündchen“ zum „Polonaisenhündchen“, die „mediceische“ Venus zur „medicinischen“, die thüringische Stadt „Apolda“ zu „Apollo“ (in dem bekannten Studentenliede vom Knaster, „den uns Apollo präparirt“), die „Frieden von Nymwegen und Ryswyk“ zu Frieden von „Nimmweg und Reißweg“, der Sieg bei Le Mans zum großen Siege bei „Lehmanns“ und endlich der „Koloradokäfer“ zum „Kohlrabikäfer“. Und von welchen Ungeheuerlichkeiten könnte erst der Apothekenbeflissene erzählen! Was fordert man nicht alles an seinem Verkaufstisch und dabei alles Ernstes und einfältigen Gemüthes, da der im Worte liegende Verdrehungswitz durchaus nicht von jedem verstanden wird! Der eine will „umgewend’ten Napolium“ (unguentum Neapolitanum), ein anderer verlangt nach einem „Ochsenkruzchenpflaster“ (emplastrum oxycroceum), ein dritter erstrebt ein „doppeltes Diakonuspflaster“ (Diachylonpflaster), den vierten zieht das Herz zu einer „ollen Pussade“ (Arkebusade), ein fünfter fordert, ein Sohn seiner Zeit, hartnäckig sein „Sektenpulver“ (Insektenpulver), ein sechster seufzt wehmüthig nach einer „kalten Quinte“ (Koloquinthe) und der umstürzlerisch gesinnte siebente endlich heischt gebieterisch das „Kaputöl“ (Kajaputöl). Wieder einen andern zieht es unwiderstehlich zur „spitzen Lenore“ (species lignorum), zur „feinen Grete“ (foenum graecum) oder endlich zum „Lottenpflaster“ (Melilotenpflaster), während der Unglücklichste zum äußersten Mittel, dem „Rhinocerosöl“ (Ricinusöl) zu greifen entschlossen ist. Jeder Apotheker, jeder Droguenhändler, jeder Kaufmann kann die kleine Auswahl um bedeutende Witzblüthen vermehren, jeder Leser darüber näheres lesen in Andresens „Deutscher Volksetymologie“ (Heilbronn, Henninger). Aber mit der Andresenschen Zusammenstellung ist die Anzahl dieser Verdrehungswitze, die gewiß zum Theil auch Worterklärungs- und ableitungsversuchen ihre Entstehung zu danken haben, bei weitem nicht erschöpft, kann nicht erschöpft sein, denn jeder Tag gebiert neue, und während wir die folgenden, unseres Wissens bisher noch nicht zusammengestellten jüngsten Kinder des Volkswitzes einer kurzen Musterung unterziehen, erzeugen sich bereits andere, noch jüngere, ungeahnte in dem fruchtbaren Boden des Volkshumors, der dann selbstverständlich seinen Muthwillen besonders an der großen Zahl unserer Fremdwörter übt, ohne übrigens daneben das sich bietende heimische Wort völlig zu verschonen.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_224.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2021)