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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

dereinst auf hohem Posten eine weitgreifende und nutzbringende Thätigkeit entfalten zu dürfen, hat gewiß sehr viel Verführerisches für mich. Aber der Lohn ist doch nicht glänzend genug, als daß ich ihn mit dem Opfer meiner Ueberzeugung, mit der Drangabe meiner persönlichen Willensfreiheit erkaufen möchte. Ich kann nicht das ausführende Werkzeug von Maßnahmen sein, die ich nicht zu billigen vermag.“

„Die Politik der gegenwärtigen Regierung hat nicht Deinen Beifall – ich weiß, ich weiß! Und es ist ja möglich, daß Du im Rechte bist! Ich kümmere mich nicht um die Politik und ich verstehe nichts davon. Aber glaubst Du wirklich, daß ich während meiner langen Dienstzeit mit den Anordnungen und Befehlen meiner militärischen Vorgesetzten ausnahmslos einverstanden gewesen wäre? Und begreifst Du nicht, daß wir weder eine starke, tüchtige Armee noch eine regelrecht arbeitende Staatsmaschine haben könnten, wenn nicht das oberste Gesetz für den einzelnen lautete: Manneszucht und Gehorsam bis zur Selbstverleugnung?“

„Eben weil ich es begreife und weil ich für diese willenlose Unterwerfung nicht geschaffen bin, tauge ich zum Verwaltungs-Beamten so wenig, als ich zum Soldaten taugen würde. Es mag sein, daß dies eine angeborene Schwerfälligkeit ist; aber ich kann mich nun einmal bei keiner meiner Handlungen, gleichviel ob sie eine dienstliche oder außerdienstliche ist, des Bewußtseins persönlicher Verantwortlichkeit entschlagen. Und wie sollte ich vor meinem Gewissen verantworten, was ich aus ehrlicher Ueberzeugung verurtheilen muß?“

Der General stand auf und machte ein paar Schritte über den Teppich. „Ist denn ein Regierungsassessor oder ein Landrath heutzutage berufen, so überaus bedeutsame und folgenschwere Dinge zu verrichten, wie man nach Deiner Darstellung beinahe glauben möchte? Ich erlaube mir, das zu bezweifeln, und ich meine, Du könntest es immerhin noch eine Weile mit ansehen, ohne von dem Gefühl Deiner Verantwortlichkeit erdrückt zu werden. Nichts ist dauernd in der Welt, und Regierungssysteme sind es gewiß am allerwenigsten! – Bis Du es zum Oberpräsidenten oder auch nur bis zum Geheimen Regierungsrath gebracht hast, weht der Wind vielleicht längst aus einer ganz anderen Richtung. Ich für meine Person wünsche mir freilich nicht, das zu erleben; aber ich bin doch nicht so thöricht, es darum für weniger wahrscheinlich zu halten.“

„Es ist mir unmöglich, eine solche Wendung abzuwarten, unmöglich schon deshalb, weil ich es für pflichtwidrig halten müßte. Die Regierung hat doch wohl ein Recht, zu erwarten, daß jeder ihrer Beamten seine Pflicht nicht nur dem Buchstaben nach und mit innerem Widerstreben, sondern freudig und mit ganzem Herzen erfülle. Bei dieser oder jener Gelegenheit – wie bei dem Arbeiterausstande – vermochte ich das wohl zu thun, in anderen Fällen aber würde ich dazu nicht mehr imstande sein. Glaubst Du wirklich, Vater, daß der Minister mein Verbleiben im Dienste noch länger wünschen würde, wenn er das wüßte?“

„Ich glaube nichts, als daß dies von allen Dummheiten, welche Du in Deinem Leben gemacht hast, die größte ist! Und ich prophezeie Dir, daß die Reue kommen wird, wenn es zu spät ist, das Geschehene ungeschehen zu machen. Sitzest Du erst einmal als Amtsrichter mit grauen Haaren auf irgend einem Neste draußen, so wirst Du nicht ohne bittere Wehmut daran denken, daß Du auf dem anderen Wege inzwischen vielleicht zum Regierungs-Präsidenten aufgestiegen wärest.“

„Das fürchte ich nicht; denn das Bild, welches Du mir da entrollst, hat durchaus nichts Schreckhaftes für mich. Von allen Ansprüchen, die ich an meine künftige Lebensstellung erhebe, ist der vornehmste der, daß sie mich niemals zwinge, mir selber untreu zu werden.“

„Und bist Du so sicher, davor in einem richterlichen Amte immer bewahrt zu bleiben? Hast Du noch nie erfahren, daß es in einem Menschenleben auch andere Einflüsse giebt, die uns mit Ehre und Gewissen in Widerstreit bringen können, als dienstliche Vorgesetzte und Gehorsam heischende Befehle?“

„Nein, Vater, an solche Einflüsse glaube ich nicht, oder ich bin doch wenigstens gewiß, ihnen niemals zu unterliegen.“

„Nun, Du seltenes Muster eines unbestechlichen und überzeugungsstarken Mannes, so gehe denn meinetwegen hin und thue, was Dir beliebt. Ich kann ja am Ende noch froh sein, wenn mein Barbier nicht seine Prozesse durch einen Rechtsanwalt von Brenckendorf führen lassen kann.“

Lothar wurde der Nothwendigkeit einer Erwiderung durch den eintretenden Diener enthoben, der dem General eine Visitenkarte überreichte.

„Aeh!“ machte Seine Excellenz in einem augenscheinlich nicht sehr angenehmen Erstaunen, als er einen Blick auf den Namen geworfen hatte. „Führen Sie den Herrn in die Bibliothek!“

Und als der Diener hinaus war, wandte er sich an Lothar.

„Auch eine sehr hübsche Ueberraschung! Wolfgang von Brenckendorf! Der Thunichtgut, den mein bedauernswerther Vetter vor fünf Jahren über Hals und Kopf nach Amerika befördern mußte, weil die Lieutenantsstreiche des jungen Herrn einen sehr bedeuteten Charakter anzunehmen begannen. Ich bin in der That neugierig, zu erfahren, auf welche Wege der Junge zuguterletzt gerathen ist.“

Er schloß ein paar Knöpfe seines Uniformrockes und ging mit den elastischen Schritten eines Jünglings in straffer Haltung aus dem Gemache.

Der Besucher erwartete ihn in dem mit wohlgefüllten Bücherschränken reichlich ausgestatteten geräumigen Bibliothek-Zimmer. Die vornehme Erscheinung des jungen Mannes und die Sicherheit seiner Haltung bildeten sichtlich eine kleine Ueberraschung für den General; aber als ein Mann von guter Erziehung ließ er in seiner Begrüßung davon ebenso wenig merken als von dem Mißtrauen, das er noch soeben Lothar gegenüber an den Tag gelegt hatte.

„Das ist wahrhaftig ein unerwarteter Besuch!“ sagte er in einem Tone, der zwar ohne besondere Herzlichkeit, doch keineswegs kühl und unfreundlich war. „Sie werden mir glauben, lieber Wolfgang, daß er darum nicht weniger willkommen ist!“

Er hatte ihm die Hand geboten, sie jedoch nach flüchtiger Berührung sogleich wieder zurückgezogen. Auch war es unzweifelhaft nicht ohne besondere Absicht geschehen, daß er statt des verwandtschaftlichen „Du“ das förmlichere „Sie“ in der Anrede gewählt hatte. Wolfgang aber nahm an diesen kleinen Zeichen der Zurückhaltung augenscheinlich nicht den geringsten Anstoß. Seine Stimme klang heiter und unbefangen, als er erwiderte: „Nach diesem freundlichen Empfang wäre es undankbar, daran zu zweifeln, und ich freue mich von Herzen, lieber Onkel, Sie so jugendlich frisch und rüstig vor mir zu sehen. Vor neun oder zehn Jahren wurde mir dies Vergnügen zum letzten Male zutheil, und – abgesehen von den Generalsabzeichen – hat sich in Ihrer Erscheinung inzwischen kaum irgend etwas verändert.“

Der General strich sich mit der Rechten durch das dichte weiße Haupthaar.

„Der Schnee des Alters ist auch auf meinen Scheitel gefallen,“ sagte er, „aber das ist nun einmal Menschenschicksal, und ich bemühe mich, es mit leidlichem Humor zu ertragen. Uebrigens bin ich sehr geneigt, Ihnen Vorwürfe zu machen, daß Sie während der letzten Jahre niemals von sich hören ließen. Es ist Ihnen drüben geglückt – wie es scheint.“

„Ich bin zufrieden! – Mit gesunden Armen und gesundem Verstande arbeitet man sich schließlich immer wieder empor.“

„Gewiß – gewiß!“ bestätigte der General höflich. „Alle Wege führen nach Rom! Und Sie trugen nun begreiflicherweise auch einmal Verlangen, die alte Heimath wiederzusehen?“

„Ich sehnte mich herzlich danach! – Wir Deutsche lassen doch immer einen Theil unserer Seele im Vaterlande zurück.“

„Sie werden uns während Ihres Verweilens in Berlin selbstverständlich recht oft besuchen, lieber Wolfgang! Auf wie lange haben Sie sich denn von der neuen Welt beurlaubt?“

„Auf immer, lieber Onkel, wie ich hoffe!“

Der General räusperte sich und seine Haltung wurde um ein Geringes steifer als zuvor.

„Wer unabhängig genug ist, seinen Wohnsitz so ganz nach Belieben wählen zu können, der verdient wahrhaftig, daß man ihn beneidet!“

„Es ist natürlich ein Wagniß; aber ich hoffe, es wird gelingen! Ganz ohne Nutzen habe ich ja am Ende nicht zugesehen, wie meine amerikanischen Fachgenossen es anfangen, zu Praxis und Vermögen zu kommen.“

„So haben Sie sich also doch der ärztlichen Wissenschaft wieder zugewendet? – Ja, ja, man kommt immer wieder auf seine erste Liebe zurück.“

„Na, wie man’s nehmen will! Von einer alten Liebe war bei mir nicht gerade viel die Rede. Auch trifft Ihre Vermuthung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_234.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)