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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

den Strand, daß sie den Leuten die Seefahrt verderben. Der Fischer arbeitet nur in der Nähe des Ufers und nur bei stillem Wetter.

Während fern in den westlichen Theilen des Sees, hinter dem Schutze von Inseln und Landzungen, jedes Kind die Ruder führt, war hier ein einziger Mann, der vor Zeiten mit trotziger Kühnheit sein Fahrzeug durch die Wasser trieb. Und er ist lange todt, der alte Thurnhamer; er ist todt und sein treues Schiff in Trümmer gegangen. Und mit ihm der letzte Seefahrer dieses Ufers.

Er hatte eine schier dämonische Freude an der Seefahrt. In den Ufersand hatte er sich einen kleinen Hafen gegraben, darin lag sein schwarzes hochgeschnäbeltes Schiff, ein Einbaum, aus einer der stolzesten Eichen des Gaus gezimmert. Droben auf weitausblickender Höhe lag des Thurnhamers schönes schuldenfreies Heimwesen; von diesem stieg er gern herab an den See und trieb sein Schiff mit gewaltigen Ruderschlägen in die weite Fluth hinaus. Ihm war dazu die Kraft gegeben. Denn siebeneinhalb Fuß maß er vom Scheitel bis zur Zehe und seine Hände waren die größten zwischen der Isar und der Salzach. Unter dem Drucke seines Ruders stöhnte seines Einbaums tüchtiger Bau.

Am liebsten fuhr er in entlegene Wirthshäuser am See. Auf jener Insel, die aus stundenweiter Ferne herüberglänzt, stand eins, welches ihm das liebste war. Dahin kam er etwa alle Vierteljahre. Saß er aber einmal am Ahorntisch, so trank er sich fest und kam unter drei Tagen nicht fort. Nach solchem Austoben packte ihn dann das Gewissen und er blieb wieder vier Wochen daheim und arbeitete mit Bärenkraft.

Er war ein Vollblutbauer, wie jemals die südbayerische Hochebene einen getragen: bieder und schlau, grob und gemüthlich, widerborstig und kindlich zugleich. Zornig konnte er nicht werden; denn ehe er es ward, nahm er den, der ihn zornig machen wollte, und warf ihn durch eine halbzöllige Thür von Fichtenholz aus dem Hause, wobei es ihm ganz gleichgültig war, ob die Thür offen stand oder nicht. In letzterem Fall ging sie in Splitter.

Als er in die sechzig Jahre kam und sein Weib gestorben und sein Töchterchen Nannei zu einer schönen blondzöpfigen Jungfrau herangewachsen war, da waren auch des Thurnhamers Gesinnung und Lebensweise in ihrer Eigenart verhärtet wie ein alter knorriger Eichbaum. Er fing an zu philosophiren und fuhr öfter in die Wirthshäuser als früher, blieb auch länger darinnen und war bei allen beliebt. Verließ er sie dann am vierten oder fünften Tage seiner Gastrolle, so gab’s immer große Feierlichkeit. Gewöhnlich fing er mit dem Abschiednehmen schon am ersten Abend an, indem er schwerfällig zum Strande hinabschritt, wo sein Fahrzeug, von ihm „Scheef“ genannt, lag. Seine Kneipkumpanei begleitete ihn. Bedächtig schob er dann das Scheef vom Lande und setzte einen Fuß hinein, bis ihm jählings einfiel, daß ein plötzlicher Durst seinen Gaumen vertrockne. Dann zog er ebenso bedächtig das Scheef wieder ans Land, schimpfte, daß man ihn so durstig fortfahren lasse, und wandelte zurück an den Ahorntisch. Das ging so jeden Tag ein paarmal. Es war seltsam, warum der Thurnhamer, sonst so kurz entschlossen und hartköpfig, in Bezug auf das Scheiden aus dem Wirthshause so wankelmüthige Gesinnung zeigte.

Durch Sturm und Wetter ließ er sich nicht halten, bloß durch seinen Durst. Im Gegentheile, je ärger es draußen auf dem See tobte, um so lieber fuhr er. Und dann war’s eine Freude, ihn zu sehen. Aus deinem lässigen schwankenden Gange richtete er sich dann stramm auf und stand in seinem Scheef wie ein riesiger Hüne; seine Augen blitzten und der Sturm fuhr ihm durch das ergraute Haar. Oftmals gab man ihn verloren, wenn er im Weststurm hinausgefahren war in den Weitsee; aber er kam allezeit gesund nach seinem Hofe zurück. Ein paarmal freilich, wenn das Nannei am Ufer stand, hatte sie den Vater daherkommen sehen fast als Ertrinkenden; dann schwamm sein Schiff nicht mehr auf dem Wasser, sondern wälzte sich wie ein unbehilfliches Scheit Holz zwischen den Wellen, während der kühne Ferge bis an die Brust im Wasser lag und mit beiden Händen sich an den Schiffsbord klammerte. Endlich hatten die Wogen dann Schiff und Lenker an den Strand hinausgeworfen.

„Mädel, halt’s Maul!“ hatte der Thurnhamer dann gesagt. Und das Nannei hatte schweigend die nassen Kleider des Vaters getrocknet, welcher sich auf die Ofenbank hingestreckt hatte, um einen langen tiefen Schlaf zu beginnen.

Einmal mußte der Thurnhamer seine letzte Fahrt machen. Es war eine Fahrt, von der die Leute lang erzählten, denn sie war von befremdlichen Dingen begleitet.

Es war ein Feiertag, Mariä Himmelfahrt. Der Thurnhamer saß im Inselwirthshause. Da ging’s lustig her. An einem Tische saßen Maler und Studenten aus München, an einem anderen etliche Honoratioren aus einem benachbarten Städtchen, an einem dritten die Zecher aus dem Inseldorf. Zu denen hatte sich der Thurnhamer gesellt; da sang er prächtige Vierzeiler, die außer ihm niemand kannte. Die Maler und Studenten kamen an seinen Tisch herüber, sangen mit ihm und zeichneten ihn ab.

Wie es auf neun Uhr ging, brach der Thurnhamer auf.

„Thurnhamer, ein Wetter kommt!“ sagte die schlanke Kellnerin, als er seine Zeche zahlte. „Willst doch fahren?“

Der Thurnhamer schlug mit der Riesenfaust auf den Tisch, daß die Gläser tanzten. „Und wenn der leibhaftige Seeteufel mit mir fahrt, so fahr’ ich doch!“ brummte er.

„Das müssen wir sehen!“ sagte einer der Studenten. Und der ganze Tisch rüstete sich, den kühnen Seefahrer zum Strande zu geleiten. Die städtischen Zechgenossen holten Kienspäne aus der Küche, zündeten sie an und begleiteten nun mit Fackeln und Gesang den Scheidenden. Schließlich hielt einer der Studenten noch eine Rede an den Thurnhamer, wobei er ihn stets mit „Magnificenz“ betitelte.

Der Glanz der Kienspanfackeln war schuld, daß die Gesellschaft von dem unheimlichen Leuchten der Blitze im Westen wenig sah. Es hatten auch alle so viel getrunken, daß keiner das leise Grollen des Donners vernahm, während der Thurnhamer mit mächtigem Stoße sein Scheef in den See schob und nachsprang. Ein lautes Hoch scholl ihm vom Ufer nach; die Fackeln der Münchener flogen im Bogen dem Schiffe zu und verzischten in der dunklen regungslosen Fluth.

„Ich wollt’, er wär’ daheim!“ sagte ein Insulaner zu einem der fremden Gäste. „Das wird ein schweres Wetter!“

Der Gast sah zum Himmel empor. „Muß er weit fahren?“ „Zwei Stunden braucht er wohl!“ lautete die Antwort. „Und in einer halben Stunde kann das Wetter da sein!“

Langsam gehen die Gäste ins Wirthshaus zurück. Der Thurnhamer fährt allein in den See hinaus. Es ist stockfinstere Nacht. Im Süden, wo die Bergkette sonst zu sehen ist, sieht man nichts als ungewisse Schattenbilder in weiter Ferne; im Osten, wo der Thurnhamer hinsteuert, ist vollends das leere Nichts; im Westen verschwinden die Bäume der kleinen Insel rasch, wie erdrückt von den aufsteigenden Gewitterwolken. Nur im Norden hebt sich als einziger Wegweiser ein ferner schwarzer Wald und ein einsamer Kirchthurm vom Nachthimmel ab. Und auch das wird immer undeutlicher.

„Was nur mein Scheef heut hat?“ spricht der Thurnhamer vor sich hin. Das Alleinreden ist eine Lieblingsgewohnheit von ihm.

„Ja,“ fährt er fort, „was das Scheef nur hat? Hinum geht’s und herum; aber gradaus nit! Du Kreuzmillionenscheef!“

Ein Blitz fährt über den Himmel hin und läßt den fernen Wald in fahlem Licht erglänzen.

„Das ist ein Leuchten!“ sagt der Thurnhamer. „Jetzt wird’s bald da sein!“

Das Schiff dreht sich stark nach rechts von seiner Bahn ab, so daß der Kirchthurm, den der Thurnhamer zu seiner Linken haben sollte, hinter dem Rücken des Fährmanns verschwindet.

„Kreuzdonner!“ knirscht dieser. „Sitzt denn der Teufel im Gransen[1]?“

Da – was war das? Klang’s nicht wie ein dumpfes Stöhnen? Und woher? Aus dem Schiff – aus dem See – aus der Luft?

Der Thurnhamer horcht. Er vernimmt nichts mehr. Nun dreht er das Schiff in seine Bahn zurück und fährt weiter. Das geht so eine halbe Stunde lang. Rascher und rascher folgen sich die Blitze; lauter wird der Donner. Aber noch immer liegt der See spiegelglatt. Der Thurnhamer wischt sich den Schweiß von der Stirn und schaut hinter sich. Der westliche Himmel ist erschreckend. Eine riesengroße schwarze Wand will sich wie ein Dach schräg über den See hereinsenken. Aber unheimlicher noch sind die niedrigen häßlich zusammengeballten Wolken, welche sich unter ihr auf dem See herwälzen. Das sind Windwolken; der Thurnhamer kennt sie.

Noch ein Blitz zeigt dem Manne den fernen Waldstreifen, unter welchem er sein heimathliches Ufer zu suchen hat. Dann aber kommt’s daher. Der Thurnhamer hört ein dumpfes Sausen, und das Sausen wird lauter und lauter. Kommt’s aus der Luft oder vom See? Und auf dem See erscheint ein Streifen; dünn und weiß kommt er geflogen und wird breiter und breiter. Und das Sausen wird zum Heulen und kommt auch näher, und ehe

  1. Schiffsschnabel.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_246.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)