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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Ja, Hartmut,“ sagte der junge Fürst halb ernst, halb scherzend, „das ‚schöne kalte Nordlicht‘, wie Du es getauft hast, bleibt seiner Natur getreu. Es steht fern und unnahbar am Horizont und das Eismeer, aus dem es emporsteigt, ist nicht zu durchbrechen. Die Frau hat eben kein Herz, sie ist jeder leidenschaftlicheren Empfindung unzugänglich und das giebt ihr diese beneidenswerthe Sicherheit. Gestehe es nur, hier scheitert auch Deine sonstige Allmacht, der Eishauch hat Dich erkältet und darum hältst Du Dich jetzt fern.“

Hartmut schwieg, er dachte an jene Minuten im Thurmzimmer, wo er um die „gluthfarbene“ Blüthe bat. Sie war ihm verweigert worden, aber Eishauch war es nicht gewesen, was damals von der jungen Frau ausging, als sie unter dem Blick des Bittenden erbebte. Er hatte sie seitdem fast täglich gesehen, genaht war er ihr nur selten, aber er wußte doch, daß er sie nach wie vor in seinem Banne hielt.

„Und trotzdem komme ich nicht los von dieser thörichten Schwärmerei,“ fuhr Egon mit einem halb träumerischen Ausdruck fort. „Mir ist es immer, als könnte da einmal Gluth und Leben aufstrahlen und die Schneeregion in eine blühende Welt verwandeln. Wenn Adelheid von Wallmoden noch frei wäre – ich glaube, ich wagte den Versuch.“

Rojanow, der wie in Gedanken verloren in den noch vom Frühnebel verschleierten Wald hinausblickte, wandte sich jäh und heftig um.

„Welchen Versuch? Soll das etwa heißen, daß Du ihr Deine Hand anbieten würdest?“

„Du entsetzest Dich ja förmlich darüber!“ rief der Fürst laut auflachend. „Das meinte ich allerdings. Ich habe keine Vorurtheile gegen die ‚Industrie‘ wie meine allergnädigste Tante, der eine solche Möglichkeit allerdings Krämpfe zuziehen würde, und Du scheinst merkwürdigerweise ebenso zu empfinden. Nun, Ihr könnt Euch beide beruhigen, Seine Excellenz der Herr Gemahl hat sich den Preis bereits gesichert und der weckt sicher keine Blüthenwelt mit seinem langweiligen Diplomatengesichte – aber der Mann hat ein beneidenswerthes Glück gehabt!“

„Man soll niemand vor seinem Tode glücklich preisen!“ sagte Hartmut halblaut.

„Eine sehr weise Bemerkung, nur ist sie nicht ganz neu. Aber Du hast manchmal etwas in deinen Augen, was geradezu erschrecken kann. Nimm es mir nicht übel, Hartmut, aber in diesem Augenblick sahst Du wie ein Dämon aus!“

Rojanow blieb die Antwort schuldig. Die Fahrstraße verließ jetzt den Wald, drüben wurde Fürstenstein sichtbar, wo die herzogliche Fahne im Morgenwinde flatterte, und eine halbe Stunde später rollte der Wagen in den Schloßhof, wo ein bewegtes Leben herrschte. Die ganze Dienerschaft war auf den Beinen, Reitpferde und Wagen standen bereit und der größte Theil der zur Jagd Geladenen war bereits eingetroffen.

Zur festgesetzten Stunde erfolgte der Aufbruch, und in dem hellen Schein der Sonne, die jetzt den Nebel durchbrach, bot der Jagdzug, der sich den Schloßberg hinabbewegte, ein glänzendes Bild. An der Spitze der Herzog und seine Gemahlin, dann das zahlreiche Gefolge und die ganze Schar der Gäste, die jüngeren Damen gleichfalls zu Pferde, das Jagdpersonal, soweit es den Zug begleitete, in voller Gala – so ging es hinein in den sonnigen Herbstmorgen, in die Wälder und Höhen des Jagdreviers, wo es bald lebendig wurde. Von allen Seiten knallten die Schüsse, das fliehende Wild brach bald einzeln, bald in Rudeln durch das Dickicht oder jagte über die Lichtungen hin, um schließlich doch von der Kugel ereilt zu werden, und die sonst so stillen Waldgründe hallten wieder von dem Lärm des Weidwerks.

Der Oberforstmeister hatte das ganze Forstpersonal der Umgegend aufgeboten und die Anordnungen vorzüglich getroffen, so daß er Ehre einlegte mit seiner Leitung der Jagd, die kein Unfall trübte. Gegen mittag fand die Zusammenkunft in Bucheneck statt, einem kleinen herzoglichen Jagdhause, das mitten im Walde lag und bei etwaiger ungünstiger Witterung eine Unterkunft bieten konnte. Das war nun heute nicht nöthig, denn das Wetter war prachtvoll geworden, nur etwas zu heiß für einen Oktobertag. Die Sonne brannte förmlich nieder und machte sich geradezu lästig bei dem Frühstück, das im Freien eingenommen wurde.

Sonst aber ging es sehr heiter und zwanglos zu, und auf der weiten, grünen Wiese, an deren Saum Bucheneck lag, entwickelte sich ein lustiges Treiben. Die ganze Jagdgesellschaft war hier versammelt. Der Herzog, der heut besonders glücklich im Treffen gewesen war, befand sich in allerbester Laune, die Herzogin plauderte lebhaft mit den sie umgebenden Damen und der Oberforstmeister strahlte vor Vergnügen, denn der Fürst hatte ihm in schmeichelhaftester Weise seine Zufriedenheit ausgesprochen.

Frau von Wallmoden, die sich in der Nähe der Herzogin befand, war auch heute der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit; war sie doch unbedingt die schönste von all den Damen, die meist des Kerzenschimmers und der reichen Toilette bedurften, um schön zu sein. Hier, im hellen Glanze der Mittagssonne, in dem einfach dunklen Reitkleide, das keine Farben und keinen Schmuck erlaubte, erbleichte so manche sonst vielbewunderte Erscheinung, nur die junge Frau behauptete sich siegreich in dieser Einfachheit. Ihre hohe, schlanke Gestalt war wie eigens geschaffen für diese Tracht und die blendende Frische ihrer Haut, das matt schimmernde Blond der Haare kamen im Tageslichte noch mehr zur Geltung als bei jenem Abendfeste. Ueberdies hatte sie sich wirklich als geübte Reiterin gezeigt, die ebenso leicht wie sicher zu Pferde saß; kurz das schöne „Nordlicht“, wie Frau von Wallmoden jetzt auch in den Hofkreisen hieß, da Fürst Adelsberg den Namen ausgeplaudert hatte, wurde von allen Seiten bewundert und dies um so mehr, als man wußte, daß es für einige Wochen verschwinden werde.

Der Gesandte hatte gestern seiner Gemahlin mitgetheilt, daß seine diplomatischen Geschäfte allerdings beendigt seien, daß er aber seine Anwesenheit in Norddeutschland benutzen werde, um sich nach den Stahlbergschen Industriewerken zu begeben. Man plante dort bedeutende Veränderungen, neue Einrichtungen, über die jetzt endgültig Beschluß gefaßt werden sollte, und Wallmoden, als Testamentsvollstrecker und Vormund des Erben, hatte eine entscheidende Stimme dabei. Seine Anwesenheit bei den Sitzungen war unerläßlich, er hatte bereits von seiner Regierung den nöthigen Urlaub erbeten und dem Herzog seine verspätete Rückkehr gemeldet. Gleichzeitig stellte er es seiner Gattin frei, in Fürstenstein zu bleiben oder mit ihm die Reise nach ihrer Heimath zu machen, wenn sie wünsche, ihren Bruder wiederzusehen; jetzt, nach vollen vierzehn Tagen, konnte ihre Abreise ja nicht mehr „mißdeutet“ werden. Die junge Frau hatte sofort das letztere gewählt und der Herzogin bereits mitgetheilt, daß sie morgen abreisen werde.

Prinzessin Sophie war mit ihrer Hofdame und den älteren Damen zu Wagen nach Bucheneck gekommen und versuchte nun vor allen Dingen, ihres durchlauchtigen Neffen habhaft zu werden. Aber dieser entwickelte ein unglaubliches Geschick, sich ihr zu entziehen. Er war überall, nur nicht in der Nähe seiner fürstlichen Tante, bis diese endlich die Geduld verlor und einem der Herren befahl, den Fürsten Adelsberg zu ihr zu rufen. Diesem Befehl mußte Egon nun allerdings nachkommen, aber er gebrauchte die Vorsicht, seinen „Blitzableiter“ mit sich zu nehmen: Rojanow war an seiner Seite, als er vor die Prinzessin trat.

„Nun, Egon, bekommt man Sie wirklich einmal zu Gesicht?“ lautete der nichts weniger als gnädige Empfang. „Sie scheinen ja heut von allen Seiten in Anspruch genommen zu sein.“

„Zu dem Dienste meiner allergnädigsten Tante bist ich immer bereit,“ erklärte Egon, aber die Liebenswürdigkeit half ihm nichts, die Prinzessin maß ihn mit einem vernichtenden Blick.

„Soweit Ihnen der Ritterdienst bei Frau von Wallmoden Zeit dazu läßt! Sie wird dieser Ritterlichkeit ein glänzendes Zeugniß ausstellen, wenn sie zu ihrem Gemahl kommt – Sie kennen ihn ja wohl auch näher?“

„Gewiß, ich schätze ihn hoch, als Mensch, als Diplomat und Excellenz, Hoheit dürfen mir das glauben.“

„Ich glaube Ihnen unbedingt, Egon, Ihre Wahrheitsliebe ist für mich über allen Zweifel erhaben,“ sagte die Dame mit beißender Ironie. „Dabei fällt mir ein, ich sprach vorgestern zufällig den Schloßverwalter von Rodeck, den alten Stadinger, der noch sehr rüstig ist für seine Jahre.“

„Er leidet aber sehr an Gedächtnißschwäche,“ beeilte sich der junge Fürst zu versichern. „Stadinger vergißt leider alles – nicht wahr, Hartmut? – er weiß heute nicht mehr, was er gestern leibhaftig gesehen hat.“

„Ich fand im Gegentheil, daß sein Gedächtniß noch sehr frisch war, überdies ist er der älteste und treueste Diener Ihres Hauses, zuverlässig, umsichtig –“

„Und grob!“ fiel Egon seufzend ein. „Hoheit, Sie haben keine Ahnung von der unendlichen Grobheit, die in diesem Peter Stadinger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_256.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)