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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Halbheft 9.   1890.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1890.      Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.


Madonna im Rosenhag.

Roman von Reinhold Ortmann.

(Fortsetzung.)

Nach einem kleinen Schweigen fügte der General mit Anstrengung hinzu: „Haben Sie auch bereits darüber nachgedacht, wie – wie Sie sich künftig nennen werden?“

Wolfgang sah ihn mit gut gespieltem Erstaunen an.

„Wie ich mich nennen werde? – Ja so, Sie glauben vielleicht, daß hier zu Lande ein akademischer Titel unerläßlich sei. Nun, ich habe mir allerdings drüben ganz ordnungsmäßig meinen Doktorhut erworben, aber da man mir sagt, daß die deutschen Gerichte einiges Vorurtheil gegen amerikanische Doktoren hätten, werde ich freiwillig darauf verzichten, ihn aufzusetzen. Am Ende kommt es doch auf die Geschicklichkeit an, nicht auf den Titel, und ich habe keine Lust, wegen des alten Zopfes in einen Zwiespalt mit der wohlweisen Obrigkeit zu gerathen.“

„Sehr richtig!“ stimmte der General mit gesteigerter Artigkeit zu. „Aber es war eigentlich nicht das, was ich meinte. Ist es denn in Amerika schon etwas Gewöhnliches, Zahnärzte von altem Adel berufsmäßig thätig zu sehen?“

„Etwas Gewöhnliches gerade nicht!“ erwiderte Wolfgang heiter. „Man findet die Schiffbrüchigen aus unseren Gesellschaftskreisen dort mehr unter den Kellnern und Lohnkutschern. Aber das Ungewöhnliche kam mir eben zu statten.“

Der alte Herr rückte etwas näher, und mit einer liebenswürdigen Vertraulichkeit, wie er sie im bisherigen Verlaufe der Unterhaltung nicht gezeigt hatte, sagte er:

„Hier liegen die Dinge natürlich anders, und ich brauche wohl nicht daran zu zweifeln, daß Sie den Rücksichten auf Ihre Familie ein wenig Rechnung tragen werden. Das Adelsprädikat wenigstens dürfte Ihnen in Ihrem neuen Beruf eher lästig als förderlich sein.“

Wolfgang nahm die unverkennbare Besorgniß des Generals noch immer von der scherzhaften Seite.

„Ich kann das nicht gerade einsehen; aber ich würde auf das kleine ‚von‘ und auf meinen angestammten Freiherrntitel vielleicht wirklich kein besonderes Gewicht legen, wenn mich nicht gerade die Rücksicht auf meine Familie veranlaßte, beides beizubehalten.“

Der General lehnte sich in seinen Stuhl zurück, und das verbindliche Lächeln war plötzlich ganz und gar von seinem Gesicht verschwunden.

„Sie entschuldigen, wenn ich nicht mehr das Vergnügen habe, Sie zu verstehen.“

„Aber Sie werden mir zustimmen, lieber Onkel, sobald Sie mich verstanden haben. Ich habe eine Schwester, die seit dem Tode unserer Eltern ausschließlich auf mich als auf ihren natürlichen Beistand angewiesen ist, und deren berechtigten

In Gedanken. Nach einem Gemälde von H. Greve.
Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_261.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2021)