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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Dann hat man sich täuschen lassen durch den Schleier der orientalischen Sage, in den Sie Ihre Gestalten hüllten, man hat nur den indischen Priester gesehen, der mit seiner Geliebten einem eisernen, unmenschlichen Gesetze erliegt. Sie sind vielleicht ein großer Dichter, und vielleicht überschüttet Sie die Welt mit Ruhm, aber mir sagt sie etwas anderes, die Gluth- und Flammensprache Ihrer ‚Arivana‘, mich hat sie ihren Schöpfer kennen gelehrt: einen Mann, der an nichts mehr glaubt und dem nichts mehr heilig ist in der Welt, keine Pflicht und kein Gelübde, keine Mannesehre und keine Frauentugend, der sich nicht bedenken würde, das Höchste in den Staub zu reißen, zum Spiel seiner Leidenschaft. Ich glaube noch an Pflicht und Ehre, glaube noch an mich selbst, und mit diesem Glauben biete ich dem Verhängniß Trotz, das Sie mir so siegesgewiß entgegenhalten. Es kann mich in den Tod treiben – in Ihre Arme nicht!“

Sie stand ihm gegenüber, nicht wie vorhin in bebender Angst, in dem qualvollen Ringen eines geheimen Kampfes, es war, als ob mit jedem dieser vernichtenden Worte sich ein Ring der Kette löste, die sie so geheimnißvoll umspann. Ihr Auge begegnete voll und frei dem dunklen Blick, der sie so lange in Bann gehalten hatte – jetzt war der Bann gebrochen, sie fühlte es und athmete tief auf wie eine Erlöste.

Wieder blitzte es in der Ferne auf, lautlos, ohne Donnergrollen, aber es war, als thue sich der Himmel auf in all seinen Tiefen. In dem zuckenden Lichte sah man phantastische Wolkengebilde, Gestalten, die miteinander zu ringen und zu kämpfen schienen, wie vom Sturme getragen, und doch stand jene Gewitterwand unbeweglich am Horizont, und ebenso unbeweglich stand der Mann, dessen dunkles Antlitz jetzt eine fahle Blässe zeigte im Scheine des Wetterleuchtens. Seine Augen waren unverwandt auf die junge Frau gerichtet, aber die wilde Gluth darin war erloschen, und seine Stimme hatte einen fremden Klang, als er sagte:

Das also ist das Urtheil, das ich mir erbat! Ich bin in Ihren Augen nichts anderes als ein – Verworfener?“

„Ein Verlorener vielleicht! – Sie haben mich zu dem Geständniß gezwungen.“

Hartmut trat langsam einige Schritte zurück.

„Verloren!“ wiederholte er herb. „In Ihrem Sinne wahrscheinlich. Sie können ruhig sein. gnädige Frau, ich werde Ihnen nicht wieder nahen, man verlangt nicht zum zweiten Male solche Worte zu hören. Sie stehen so hoch und stolz auf Ihrer Tugendwarte und richten so streng. Sie haben freilich keine Ahnung davon, was ein heißes, wildes Leben aus einem Menschen machen kann, der unstet, ohne Heimath und Familie durch die Welt zieht. Sie haben recht, ich glaube an nichts mehr dort oben in der Höhe und glaubte an nichts auf Erden – bis zu dieser Stunde.“

Es lag etwas in seinem Tone und seiner ganzen Haltung, was Adelheid entwaffnete. Sie fühlte, daß sie keinen Ausbruch seiner Leidenschaft mehr zu fürchten hatte, und ihre Stimme milderte sich unwillkürlich bei der Antwort:

„Ich richte niemand, aber ich gehöre mit meinem ganzen Sein und Wesen einer andern Welt an, die andere Gesetze hat als die Ihrige. Ich bin die Tochter eines über alles geliebten Vaters, der sein ganzes Leben lang nur einen Weg gekannt hat, den der ernsten, strengen Pflicht. Auf diesem Wege hat er sich emporgerungen aus Armuth und Entbehrung zu Reichthum und Ehre, diesen Weg hat er seine Kinder geführt, und sein Andenken ist der Schild, der mich deckt in jeder schweren Stunde. Ich könnte es nicht ertragen, müßte ich die Augen niederschlagen vor diesem Erinnerungsbilde. – Sie haben wohl keinen Vater mehr?“

Es folgte eine lange, schwere Pause; Hartmut antwortete nicht, aber sein Haupt senkte sich unter diesen Worten, von deren zermalmendem Gewicht die junge Frau keine Ahnung hatte, und sein Blick bohrte sich in den Boden.

„Nein!“ sagte er endlich dumpf.

„Aber Sie haben die Erinnerung an ihn und an Ihre Mutter?“

„Meine Mutter?“ fuhr Rojanow jäh und heftig auf. „Sprechen Sie nicht von ihr, in dieser Stunde nicht – sprechen Sie mir nicht von meiner Mutter!“

Es war ein erschreckender Ausbruch, ein Gemisch von grenzenloser Bitterkeit, von Anklage und Verzweiflung. Die Mutter wurde gerichtet von ihrem Sohne in diesem Ausruf, er wies ihr Andenken von sich als eine Entweihung dieser Stunde.

Adelheid verstand ihn nicht, sie sah nur, daß sie einen Punkt berührt hatte, der keine Erörterung vertrug, aber sie sah auch daß der Mann, der jetzt vor ihr stand mit diesem düsteren Blick, mit diesem Ton der Verzweiflung, ein anderer war als jener, der vor einer Viertelstunde vor sie hingetreten war. Es war eine dunkle, räthselhafte Tiefe, in die sie blickte, aber sie flößte ihr keine Furcht mehr ein.

„Lassen Sie uns diese Unterredung endigen,“ sagte sie tiefernst. „Sie werden keine zweite suchen, ich glaube es Ihnen; aber ein Wort noch, ehe wir scheiden. Sie sind ein Dichter, ich habe es trotzalledem gefühlt, als ich Ihr Werk kennen lernte, und Dichter sind Lehrer der Menschheit, sie können zum Heil und zum Verderben führen. Die wilden Flammen Ihrer ‚Arivana‘ schlagen aus der Tiefe eines Lebens auf, das Sie selbst zu hassen scheinen. Sehen Sie dorthin!“ sie deutete in die Ferne, wo es eben wieder aufleuchtete in lodernder Gluth. „Das sind auch Flammenzeichen, aber sie stammen aus der Höhe und sie weisen einen anderen Weg – leben Sie wohl!“ –

Sie war längst verschwunden und Hartmut stand noch immer wie an den Boden gefesselt. Er hatte kein Wort erwidert, keine Bewegung gemacht, er blickte nur mit heißen, starren Augen dort hin, wo jetzt Blitz auf Blitz die Wolken zerriß und die ganze Landschaft in einen feurigen Mantel hüllte, und dann nieder zu dem kleinen dunklen Waldsee, der so seltsam dem Burgsdorfer Weiher glich, mit seinem wehenden Schilf und der trügerischen, nebelathmenden Wiese, die sich auch hier so dicht an das Gewässer schmiegte.

Unter solchem flüsternden Schilf hatte der Knabe einst davon geträumt, emporzusteigen wie die Falken, von denen sein Geschlecht den Namen führte, in schrankenloser Freiheit, immer höher, der Sonne entgegen, und an demselben Orte war die Entscheidung über sein Schicksal gefallen, in jener dunklen Herbstnacht, da die Irrlichter ihren Gespensterreigen führten. Aber der Flüchtling war nicht zur Sonne gestiegen, die Erde hatte ihn festgehalten, die üppig grüne Wiese, und ihn tief, tief hinabgezogen. Er hatte es wohl bisweilen gefühlt, daß der berauschende Trank der Freiheit und des Lebens, den die Hand der Mutter ihm reichte, vergiftet war, aber ihn schützte kein theures Erinnerungsbild – er durfte es nicht wagen, an seinen Vater zu denken.

Immer dunkler zog es sich zusammen dort in der wetterumlagerten Ferne, immer wilder kämpften und rangen die Wolkengestalten miteinander, und mitten in diesem Kampfe und diesem Dunkel leuchteten sie immer wieder siegreich auf – die mächtigen Flammenzeichen aus der Höhe!




In der Haupt- und Residenzstadt des Landes hatte bereits das winterliche Gesellschaftsleben begonnen, in dem das künstlerische Element eine hervorragende Rolle spielte. Der Herzog, der die Kunst liebte und förderte, setzte seinen Stolz darein, bedeutende Vertreter derselben in seine Nähe zu ziehen und möglichst an seine Hauptstadt zu fesseln, und die Gesellschaft huldigte größtentheils derselben Richtung. Der junge Dichter, der von dem Hofe so sehr begünstigt wurde, und dessen erstes größeres Werk jetzt auf der Hofbühne aufgeführt werden sollte, war daher von vornherein eine interessante Persönlichkeit für alle Welt, und was man sonst über ihn vernahm, diente nur dazu, dies Interesse zu steigern.

Es war schon ungewöhnlich, daß dieser Rojanow als Rumäne ein Werk in deutscher Sprache dichtete, wenn man auch erfuhr, daß er seine Erziehung in Deutschland empfangen habe. Außerdem war er der Busenfreund und auch hier in der Stadt der Gast des Fürsten Adelsberg, und man erzählte sich allerlei rührende und wundersame Geschichten über diese Freundschaft. Vor allem aber schuf Hartmuts Persönlichkeit ihm eine bevorzugte Stellung in allen Kreisen, wo er verkehrte. Der junge, schöne und geniale Fremde, den ein halb romantischer, halb geheimnißvoller Hauch umgab, brauchte auch hier nur aufzutreten, um aller Augen auf sich zu ziehen.

Die Proben zu „Arivana“ hatten unmittelbar nach der Rückkehr des Hofes in die Stadt begonnen, unter persönlicher Theilnahme des Dichters und des Fürsten Adelsberg, der sich in seiner Begeisterung für das Werk seines Freundes zu einer Art von Regisseur umwandelte und dem Intendanten das Leben schwer machte mit allen nur möglichen Anforderungen hinsichtlich der Besetzung der Rollen und der Ausstattung des Dramas. Er wußte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_278.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)