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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Dann hat Rojanow also Aenderungen vorgenommen seit jener Vorlesung in Fürstenstein?“

„Nur wenige, das Stück selbst ist ganz unverändert geblieben bis auf den Namenstausch und jenes kurze Auftreten Adas, aber ich versichere Sie, Hoheit, diese Scene, die Hartmut da hinzugedichtet hat, ist das Schönste, was er je geschrieben hat.“

„Ja, Sie finden natürlich alles schön, was aus der Feder Ihres Freundes stammt,“ sagte die Prinzessin, aber das gnädige Lächeln, mit dem sie den jungen Fürsten entließ, zeigte, daß sie so ziemlich derselben Meinung war.

In einer der Prosceniumslogen des ersten Ranges erblickte man auch den preußischen Gesandten mit seiner Gemahlin, der erst vorgestern von seinem Urlaub zurückgekehrt war. Sein heutiges Erscheinen im Hoftheater war allerdings kein freiwilliges, sonst wäre er dieser Aufführung wohl fern geblieben, sondern eine Rücksicht, die er seiner Stellung schuldete. Der Herzog hatte über einen Theil der Logen verfügt und auch die fremden Diplomaten mit ihren Damen eingeladen; da gab es keine Möglichkeit, zurückzubleiben, um so weniger, als Herr und Frau von Wallmoden noch vor wenigen Stunden an der Festtafel im Schlosse theilgenommen hatten.

Im Parkett saß Willibald, der aus der Anwesenheit seines Onkels auch für sich das Recht herleitete, wenigstens das Werk seines Jugendfreundes kennen zu lernen. Wallmoden war zwar nicht einverstanden damit, konnte ihm aber doch füglich nicht verbieten, was er selbst that. Willy, der sich mit vieler Mühe noch einen Platz beschafft hatte, dachte natürlich nicht daran, daß in einem Drama auch ein Mitglied der Oper beschäftigt sein könnte: erst jetzt, als er den Theaterzettel entfaltete und urplötzlich auf den Namen „Marietta Volkmar“ stieß, wurde ihm klar, wen er heute abend wiedersehen werde. Mit einer hastigen Bewegung faltete er den Zettel zusammen und barg ihn in seiner Tasche; er bereute es in diesem Augenblicke doch, in das Theater gegangen zu sein.

Jetzt begann die Vorstellung, der Vorhang hob sich und die Eingangsscenen gingen rasch vorüber. Es war eine Art Vorspiel, welches die Zuschauer erst mit der seltsam phantastischen Welt vertraut machen sollte, in die sie eingeführt wurden. Arivana, die uralte, geheiligte Opferstätte, zeigte sich in einer pracht- und stimmungsvollen Ausstattung; die Hauptgestalt des Werkes, der junge Priester, der im Fanatismus seines Glaubens alles Irdische und Unheilige weit von sich weist, erschien, und in mächtigen, schwungvollen Versen erklang das Gelübde, das ihn für Zeit und Ewigkeit diesem Irdischen entrückte und mit Leib und Seele der Gottheit verband. Der Schwur war geleistet, die heilige Flamme loderte hoch empor und der Vorhang sank.

Von allen Seiten ertönte Beifall, zu dem der Herzog das erste Zeichen gab. Es stand ja allerdings fest, daß ein Werk, das so von allen Seiten gestützt und getragen wurde, einen gewissen Erfolg haben mußte, wenigstens an dem heutigen Abend. Aber es mischte sich doch noch etwas anderes in diesen Beifall. Die Zuschauer fühlten es bereits, daß ein Dichter zu ihnen sprach; seine Schöpfung hatte vielleicht der Hofgunst bedurft, um vor die Oeffentlichkeit treten zu können, jetzt, wo sie dastand, trug sie sich allein. Man war gefesselt von dieser Sprache, diesen Gestalten, von dem Inhalt des Dramas, der sich bereits in den Hauptzügen verrieth, und als der Vorhang sich von neuem hob, lag gespanntes, erwartungsvolles Schweigen über dem ganzen Zuschauerraume.

Und nun entrollte sich das Drama, auf einem Hintergrunde, der ebenso glühend und farbenreich war wie seine Sprache und seine Gestalten. Die mächtige Natur Indiens, die märchenhafte Pracht seiner Tempel und Paläste, die Menschen mit ihrem wilden Hoffen und Lieben und den starren, eisernen Gesetzen ihres Glaubens, das alles war phantastisch, fremdartig; aber wie diese Menschen fühlten und handelten, das war jedem vertraut. Standen sie doch im Banne einer Macht, die schon vor Jahrhunderten dieselbe war wie heute, die unter dem heißen Tropenhimmel die gleichen Wurzeln schlägt wie in der kalten nordischen Zone – der Leidenschaft im Menschenherzen.

Es war in der That eine „Gluth- und Flammenlehre“, und sie predigte ohne Rückhalt das Recht der Leidenschaft, gegen alle Schranken anzustürmen, hinweg über Gesetz und Sitte, über Gelübde und Schwur bis zu ihrem Ziele; ein Recht, wie es Hartmut Rojanow verstand und übte, mit seinem ungezügelten Wollen. das kein Gesetz und keine Pflicht anerkannte, dem das eigene Ich allein das Höchste war.

Das Erwachen dieser Leidenschaft, ihr übermächtiges Wachsen, ihr endlicher Triumph, das alles wurde in hinreißender Sprache, in Worten und Bildern geschildert, die bald aus der reinen Höhe des Ideals und bald aus der Tiefe des Abgrundes zu stammen schienen. Der Dichter hatte seine Gestalten nicht umsonst in den Schleier der orientalischen Sage gehüllt; unter diesem Schleier durfte er sagen und vertreten, was man ihm sonst schwerlich verziehen hätte, und er that es mit einer Kühnheit, die zündende Funken in die Seelen der Zuhörer warf und sie dämonisch fesselte. Schon nach dem zweiten Akte war der Erfolg „Arivanas“ entschieden.

Allerdings wurde das Werk von einer Darstellung getragen, die zu dem Besten gehörte, was die Bühne je geleistet hatte. Vor allem spielten die Vertreter der beiden Hauptrollen mit einem Feuer und einer Vollendung, wie sie nur wirkliche Begeisterung geben konnte. Die Heldin hieß freilich nicht mehr Ada, den Namen trug jetzt eine andere Gestalt, die seltsam fremd in diesem erregten Bilde der Leidenschaften stand, eines jener halb märchenhaften Wesen, mit denen die indischen Sagen die „Schneewohnung“, die eisigen Höhen des Himalaya bevölkern, kühl und rein wie der ewige Schnee, der dort oben leuchtet.

Nur in einem einzigen Auftritt, in der Entscheidungsscene, schwebte sie wie mit Geisterfittigen durch die stürmisch bewegte Handlung, mahnend, warnend, und Egon hatte recht: die Worte, die der Dichter ihr auf die Lippen legte, waren wohl die schönsten der ganzen Dichtung. Mitten in die lodernde Gluth eines Kraters brach es plötzlich wie reines Himmelslicht, aber so schön die Scene war, so kurz war sie auch. Flüchtig wie ein Hauch entwich die Gestalt wieder zu den Schneewohnungen ihrer Heimath, und dort unten, an dem mondbeglänzten Ufer des Flusses, erklang das Lied des Hindumädchens – Mariettas weiche quellende Stimme – und unter diesen lockenden, schmeichelnden Tönen verwehte jener Warnungsruf aus der Höhe.

Der letzte Akt brachte den tragischen Schluß: das Hereinbrechen des Verhängnisses über das schuldige Paar, den Tod in den Flammen. Aber dieser Tod war keine Sühne, sondern ein Triumph, ein „leuchtendes, göttliches Sterben“, und mit den Flammen loderte auch jene dämonische Lehre von dem unbedingten Recht der Leidenschaft zum Himmel empor.

Zum letzten Male sank der Vorhang, und der Beifall, der sich von Akt zu Akt gesteigert hatte, wuchs jetzt zu einem förmlichen Sturme an. Sonst pflegten bei solchen Festvorstellungen Beifall und Begeisterung in gemessenen Grenzen zu bleiben. Heute flutheten sie über alle Schranken hinaus. Die Flammen Arivanas hatten gezündet, das sah und fühlte man an dem Jubel, mit dem das ganze Haus einstimmig das Erscheinen des Dichters verlangte.

Endlich trat Hartmut vor. Ohne Scheu und Befangenheit, strahlend vor Stolz und Freude neigte er sich dankend vor dem Publikum, das ihm heute einen Trank kredenzte, den er in seinem wildbewegten Leben doch noch nicht gekostet hatte. Sie waren berauschend, diese ersten Züge aus dem Becher des Ruhmes, und mit diesem berauschenden Siegesbewußtsein blickte der Gefeierte jetzt zu der Prosceniumsloge empor, deren Insassen er längst erkannt hatte. Er fand freilich nicht, was er suchte; Adelheid hatte sich zurückgelehnt und ihr Antlitz verschwand hinter dem ausgebreiteten Fächer, er sah nur das kalte, unbewegte Gesicht des Mannes, der ihn so tief beleidigt hatte, und der nun Zeuge seines Triumphes war. Wallmoden verstand es nur zu gut, was das Aufblitzen dieser dunklen Augen ihm sagte.

„Jetzt wage es noch, mich zu verachten!“

Es war am andern Morgen zu noch ziemlich früher Stunde, als Willibald von Eschenhagen durch die Anlagen des städtischen Parkes schritt, die er sich „besehen“ wollte, wie er seinem Onkel beim Fortgehen erklärt hatte. Der ausgedehnte waldartige Park, der unmittelbar vor den Thoren der Stadt lag, war allerdings sehenswerth, aber Willy achtete nicht auf die Anlagen, die zudem heute, an dem trüben Novembertage, wenig einladend erschienen. Ohne rechts oder links zu blicken, schritt er hastig vorwärts, schlug planlos bald diesen, bald jenen Weg ein und merkte es nicht, daß er dabei mehrmals an dieselbe Stelle zurückkehrte. Es schien beinahe, als wollte er mit diesem Sturmschritt eine innere Unruhe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_280.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)