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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Herr von Eschenhagen – Sie?“

Graf Westerburg hatte sich inzwischen mit einiger Mühe wieder aufgerafft und trat jetzt wüthend seinem Angreifer entgegen.

„Mein Herr, was unterstehen Sie sich? Wer giebt Ihnen das Recht –“

„Bleiben Sie mir und dem Fräulein zehn Schritt vom Leibe, ich rathe es Ihnen!“ unterbrach ihn Willibald, indem er sich vor das junge Mädchen stellte. „Sonst fliegen Sie noch einmal gegen die Bäume, und der zweite Stoß möchte nicht so gelind ausfallen wie der erste.“

Der Graf, eine schmächtige und nichts weniger als kraftvolle Gestalt, maß den vor ihm stehenden Hünen, desen Faust er bereits gespürt hatte, einen Augenblick lang, aber das war genug, ihn zu überzeugen, daß er hier unbedingt den kürzeren ziehen müßte.

„Sie werden mir Genugthuung geben – wenn Sie überhaupt satisfaktionsfähig sind!“ stieß er mit halberstickter Stimme hervor. „Sie wissen vermuthlich nicht, wen Sie vor sich haben –“

„Einen frechen Burschen, den man mit Vergnügen züchtigt,“ sagte Willy mit großer Gemüthsruhe. „Bleiben Sie gefälligst da stehen, sonst thue ich es gleich auf der Stelle. Uebrigens heiße ich Willibald von Eschenhagen, Majoratsherr auf Burgsdorf, und bin in der Wohnung des preußischen Gesandten zu finden, wenn Sie mir noch mehr zu sagen haben. – Bitte, mein Fräulein, meinem Schutze können Sie sich unbesorgt anvertrauen, ich stehe Ihnen dafür, daß Sie nicht mehr belästigt werden.“

Und nun geschah etwas Unerhörtes, Unglaubliches. Herr von Eschenhagen bot, ohne zu stottern oder irgendwie in Verlegenheit zu gerathen, mit einer echt ritterlichen Bewegung der jungen Dame den Arm und führte sie fort, ohne sich um den zurückbleibenden Grafen weiter zu kümmern.

Marietta hatte den dargebotenen Arm angenommen, aber sie sprach kein Wort; erst als sie längst außer Hörweite waren, begann sie mit einer Schüchternheit, die sonst gar nicht in ihrem Wesen lag: „Herr von Eschenhagen –“

„Mein Fräulein?“

„Ich – ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren Schutz, aber der Graf – Sie haben ihn beleidigt, thätlich sogar – er wird Sie fordern und Sie werden das annehmen müssen.“

„Natürlich, mit dem größten Vergnügen,“ sagte Willy, und dabei strahlte sein ganzes Gesicht, als ob diese Aussicht ihm wirklich das allergrößte Vergnügen machte. Sein blödes, linkisches Wesen war auf einmal verschwunden, er fühlte sich als Held und Retter und gefiel sich außerordentlich in dieser neuen Stellung. Marietta blickte ihn in sprachloser Verwunderung an.

„Aber es ist furchtbar, daß das um meinetwillen geschehen soll,“ hob sie wieder an. „Und daß gerade Sie es sein müssen!“

„Das ist Ihnen wohl gar nicht einmal recht?“ fragte der junge Majoratsherr, der in seiner jetzigen gehobenen Stimmung die letzte Bemerkung übelnahm. „Ja, mein Fräulein, in solcher Lage hat man aber keine Wahl, Sie mußten mich nothgedrungen zum Beschützer annehmen, wenn ich auch nicht gerade sehr hoch in Ihrer Achtung stehe.“

Ueber Mariettas Gesicht floß eine glühende Röthe bei der Erinnerung an jene Stunde, wo sie ihre ganze Verachtung über den Mann ausgeschüttet hatte, der jetzt so tapfer für sie eintrat.

„Ich dachte nur an Toni und ihren Vater,“ versetzte sie leise. „Ich bin ja schuldlos an der Sache, aber wenn ich die Ursache sein sollte, daß Sie Ihrer Braut entrissen würden –“

„Dann muß Toni das eben als eine Schickung hinnehmen,“ sagte Willibald, auf den die Erwähnung seiner Braut sehr wenig Eindruck machte. „Man kann sein Leben überall verlieren und man muß nicht immer gleich den schlimmsten Fall voraussetzen. – Wohin soll ich Sie führen, mein Fräulein? Nach der Parkstraße? Ich glaube gehört zu haben, daß Sie dahin wollten.“

Sie schüttelte heftig den Kopf.

„Nein, nein! Ich wollte allerdings zu dem Professor Marani, der mir eine neue Rolle einstudirt, aber jetzt kann ich nicht singen, das ist unmöglich. Lassen Sie uns einen Wagen suchen, dort drüben werden wir einen finden, ich möchte nach Hause.“

Willibald lenkte sofort seine Schritte nach der angedeuteten Richtung, und sie gingen schweigend weiter bis zum Rande der Anlagen, wo wirklich einige Miethwagen hielten. Hier blieb das junge Mädchen stehen und blickte bittend und angstvoll zu ihrem Begleiter empor.

„Herr von Eschenhagen, muß es denn sein? Läßt sich die Sache nicht ausgleichen?“

„Schwerlich, ich habe dem Grafen einen sehr ausgiebigen Faustschlag versetzt und ihn einen frechen Burschen genannt und werde natürlich dabei stehen bleiben, wenn es zu Auseinandersetzungen kommt. Aber ängstigen Sie sich nicht darüber, die Geschichte wird morgen oder übermorgen hoffentlich mit ein paar Schrammen abgemacht werden.“

„Und ich soll zwei oder drei Tage lang in dieser Angst und Ungewißheit bleiben? Wollen Sie mir denn nicht wenigstens Nachricht senden?“

Willy sah in die dunklen, thränenerfüllten Augen, und dabei trat in die seinigen wieder jenes Leuchten wie damals, als er zum ersten Male die Stimme des kleinen „Singvögelchens“ hörte.

„Wenn alles glücklich vorüber ist, komme ich selbst und bringe Ihnen Nachricht,“ erwiderte er. „Darf ich das?“

„O gewiß, gewiß! Aber wenn es nun ein Unglück giebt, wenn Sie fallen?“

„Dann bewahren Sie mir ein besseres Andenken als bisher, mein Fräulein,“ sagte Willibald ernst und herzlich. „Sie haben mich wohl für einen rechten Feigling gehalten. – O, sagen Sie nichts, Sie hatten ja recht; ich habe das selbst bitter genug gefühlt, aber es war meine Mutter, der ich gewohnt bin zu gehorchen, und die mich sehr lieb hat. Jetzt aber sollen Sie sehen, daß ich auch weiß, wie ein Mann sich zu benehmen hat, wenn ein schutzloses Mädchen in seiner Gegenwart beleidigt wird, jetzt will ich jene schlimme Stunde bei Ihnen auslöschen – wenn es sein muß, mit meinem Blute!“

Ohne ihr Zeit zu einer Antwort zu lassen, rief er einen der harrenden Wagen herbei, öffnete den Schlag und wiederholte dem Kutscher Straße und Hausnummer, die Marietta ihm nannte. Sie stieg ein und streckte ihm noch einmal die kleine Hand entgegen, die er einen Augenblick lang in der seinigen hielt, dann warf sich das junge Mädchen mit einem lauten Aufschluchzen in die Polster zurück und der Wagen rollte davon. Willy blickte ihm nach, so lange, bis nichts mehr davon zu sehen war, dann richtete er sich auf und sagte mit einer Art von grimmigem Wohlbehagen:

„Nun nehmen Sie sich in acht, Herr Graf! Mir ist es jetzt eine wahre Wonne, drauf loszuknallen, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht!“




Die Dämmerung brach früh herein an diesem trüben Novembertage, und das Adelsbergsche Palais war bereits erleuchtet, als der Fürst, der von einer kurzen Ausfahrt heimkehrte, an der Rampe vorfuhr.

„Ist Herr Rojanow in seinen Zimmern?“ fragte er beim Eintreten einen herbeieilenden Diener.

„Zu Befehl, Durchlaucht!“ erwiderte dieser mit einer Verbeugung.

„So bestellen Sie den Wagen auf neun Uhr, wir fahren nach dem Schlosse.“

Damit stieg Egon rasch die Treppe hinauf und begab sich in die Wohnung seines Freundes, die neben der seinigen im ersten Stock lag und wie die sämmtlichen Räume des fürstlichen Hauses mit alterthümlicher Pracht eingerichtet war. Auf dem Tische des Wohnzimmers brannte eine Lampe, Hartmut aber lag ausgestreckt auf dem Ruhebett in einer Stellung, die Ermüdung und Abspannung verrieth.

„Du ruhst wohl auf Deinen Lorbeeren?“ fragte der junge Fürst lachend, indem er näher trat. „Verdenken kann ich Dir das nicht, denn Du hast heute keine Minute lang Ruhe gehabt. Es ist doch ein etwas anstrengendes Geschäft, ein neu aufgehender Stern am Dichterhimmel zu sein, es gehören wirklich Nerven dazu. Die Leute reißen sich ja beinahe um die Ehre, Dir Schmeicheleien sagen zu dürfen. Du hast heut einen förmlichen Empfang abgehalten.“

„Ja, und nun müssen wir noch zu Hofe!“ sagte Hartmut in einem matten, gleichgültigen Tone. Die Aussicht schien ihm nichts weniger als angenehm zu sein.

„Das müssen wir allerdings. Die hohen und höchsten Herrschaften wollen dem Sänger gleichfalls ihre Huldigung darbringen, meine allergnädigste Tante an der Spitze. Du weißt ja, sie ist

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_283.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)