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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Beförderung rechnen durfte. Indessen sollte dieser erlangte Vortheil nur wenig Jahrzehnte befriedigen, eine neue Postreform bereitete sich vor, die ihren Ausgang von England nahm.

Wohl waren auch hier infolge der neuen Errungenschaften die Porti zeitgemäß herabgesetzt worden, aber nicht nur die Portoberechnung nach Zonen und nach der Zahl der Bogen, sondern die ganze Versendungsweise war keine dem riesigen Postverkehr entsprechende mehr. Dies in vollem Umfang zuerst mit erkannt und mit Mühe und Fleiß auf eine feste Grundlage gebracht zu haben, so daß die reformatorischen Ideen nicht nur in England zur vollständigen Besserung, sondern auch in der gesammten kultivirten Welt zur Nachahmung führten, ist das Verdienst Sir Rowland Hills, geboren 1795 in Kidderminster, gestorben 1879, eines Mannes, der als Neuschöpfer des Postwesens für alle Zeit in Ehren genannt werden muß. Seine berühmte „Penny-Porto-Reform“, die für ganz England ein einheitliches Porto von 1 Penny (= 10 Pfennig) für den einfachen Brief bestimmte, trat nach vielen Kämpfen im Unterhause am 10. Januar 1840 ins Leben, mit diesem Gesetze ging aber auch Hand in Hand die Einführung von Postwerthzeichen, von Postmarken und gestempelten Postumschlägen! Am 10. Mai 1840 wurde das erste Postwerthzeichen an das Londoner Publikum ausgegeben – die kleine Dame war reisefertig. – Sie war kein Kind mehr, wie wir bald sehen werden, und sie hatte auch ihre Ahnen, deren Schicksale wir durch einige Jahrhunderte verfolgen können.

Figur 3.

Erster amtlicher Briefumschlag der englischen Post (sog. „Mulready-Couvert“ 1840)

Des Postwerthzeichens Urahn ist das Stempelpapier! Schon zu Ausgang des 16. Jahrhunderts soll in Spanien für fiskalische Zwecke Stempelpapier in Verwendung gewesen sein. Im 17. Jahrhundert war es in Holland, Frankreich, Brandenburg, Kursachsen etc. nachweislich eingeführt. Die Verwendung desselben für Zwecke der Post, zum „Freimachen“ der Briefe, geschah zuerst in Frankreich, woselbst, und zwar in Paris, ein Herr de Velayer laut Dekret vom 8. August 1653 eine Stadtpost einrichtete und eine Art gestempelter Bänder ausgab. das Stück zu 1 Sou (5 Centimes oder 4 Pfennig), die einfach um den Brief geschlungen und durch Ausfüllung des Datumvordruckes entwerthet wurden. Dieses Ereigniß war für die Pariser ein derart wichtiges, daß es sogar dichterisch verherrlicht wurde. Trotzdem Velayer seine Stadtpost höchst zweckmäßig eingerichtet, Portoeinheit, Frankaturzwang, Briefkastenanlage mit regelmäßiger Abholung, regelmäßige Austragung u. s. f. durchgeführt hatte, war sein Unternehmen nicht von Bestand, und bald waren die Savoyarden wieder in ihre einstige Stellung als Briefbeförderer getreten.

Ein zweiter Versuch, Stempelpapier für Briefbeförderung zu verwenden, wurde in den Jahren 1818 und 1820 von dem damaligen Königreich Sardinien unternommen. Dort verausgabte man eine besondere Art von mit Wasserzeichen versehenen und gestempelten Bogen zur Versendung von solchen Briefen, welche auf anderem Wege als mittels der Staatspost befördert wurden. Die Stempel, welche unsere Abbildungen (Fig. 1 und 2, Seite 301) veranschaulichen, enthalten einen Postkurier zu Pferde und die betreffende Werthangabe.

Figur 4.

Chalmers’ erste Probe 1834.

Figur 6 und 7.

Die ersten amtlichen Freimarken
Englands (1840).

Im Gebrauch waren diese Vorläufer unserer heutigen Postbriefumschläge, welche die Form des gefalteten Bogens hatten, bis zum Jahre 1837. Obwohl Sardiniens Briefumschläge nachweislich wenig benutzt wurden, so gab ihr Dasein doch den Anlaß, daß man auch in anderen Staaten Versuche ähnlicher Art wagte. So schlug in Schweden 1823 der Lieutenant v. Treffenberg der zuständigen Behörde die Einführung von Frankozeichen für die Briefbeförderung vor, so brachten ferner die beiden Engländer Charles Whiting 1830 und Charles Knight 1834 eine Art Briefumschläge zu öffentlicher Besprechung, und in eben dieser den üblichen Stempelbogen ähnlichen Form glaubte auch Rowland Hill das Postwerthzeichen der Zukunft gefunden zu haben. Er machte in seiner Reformschrift, durch welche er dem Pennyporto Bahn brach, gleichzeitig auf die Einführung von Briefumschlägen mit aufmerksam. Die Erfahrungen der Gegenwart haben bewiesen, daß die Einführung von Umschlägen allein nur der halbe Weg zur Vereinfachung des Briefverkehrs gewesen wäre.

Da tritt denn mit dem englischen Buchhändler und Buchdrucker James Chalmers (geb. 1782 in Arbroath, gest. 1853 in Dundee) die Persönlichkeit auf den Schauplatz, die bei Gelegenheit des jetzigen Jubiläums als Erfinder der aufklebbaren Postmarke in den Vordergrund gehört. Chalmers, der als Geschäftsmann einen großen Briefwechsel zu führen hatte, beschäftigte sich in seinen Mußestunden längst mit Plänen eines vereinfachten, weniger zeitraubenden Verfahrens im Freimachen der Briefe. Zuletzt kam er auch auf die rückseitig gummirte Freimarke; er fertigte alsbald Proben derselben an und ließ sie bereits im Februar 1834 in Bekanntenkreisen zur Prüfung herumgehen.

Figur 5.

Chalmers’ zweite Probe 1838.

Figur 8.

Erste Marke von Brasilien
(1843).

Der erste Versuch (Fig. 4) scheint ihn aber, obwohl er das Wesen der heutigen Postmarke schon vollständig verkörpert, selbst nur halb befriedigt zu haben. Denn zugleich mit einer wichtigen Denkschrift über Förderung des Postwesens legte er am 8. Februar 1838 neue, wesentlich zweckentsprechendere Markenproben vor (Fig. 5), die beifällige Aufnahme fanden, dem Wesen nach die schließlich eingeführte Postmarke darstellen, ja als unmittelbare Vorbilder der nachmaligen Postwerthzeichen von Britisch-Guyana und den Sandwich-Inseln und einzelner nord- und südamerikanischen Lokalpostmarken betrachtet werden können.

Calmers’ und seiner Freunde Bemühungen gelang es, daß mit Annahme des Hillschen „Pennyportos“ und des Postbriefumschlags auch die Postmarke als Mittel zum Freimachen angenommen wurde, wenn auch schließlich eine andere Zeichnung den Sieg davontrug. Die öffentliche Ausschreibung zu Lieferung von Marken- und Briefumschlagentwürfen brachte an 50 solcher für Marken, gegen 2000 solcher für Umschläge zur Wahl. Von letzteren erhielt der Maler Mulready für seine Englands Weltbriefverkehr darstellende Vignette (Fig. 3) den ersten Preis. Die Markenproben aber gefielen durchweg nicht, und erst eine bei dem Kupferstecher Bacon bestellte Probe, sein „Kopf der Königin“, gelangte zur Annahme (Fig. 6 und 7). Das „Mulready-Couvert“ und die mit dem Kopf der Königin Viktoria gezierten Marken sind es also, welche vor nun fünfzig Jahren den Reigen der ersten wirklichen Postwerthzeichen der Welt eröffneten, indem sie zugleich rücksichtlich der Postmarke den Gedanken ihres Erfinders James Chalmers zur Verwirklichung brachten. Wir sehen, es hat viele Mühe gekostet, das Kostüm unserer Weltreisenden festzustellen. Seither hat sie auch darin weibliche Sitte nicht verleugnet, daß sie oft und gern die Mode wechselte, ein neues und möglichst hübsches Gewand sich aussuchte und manchmal sogar recht absonderlichen Geschmacksrichtungen huldigte. Aber ihrem eigentlichen Daseinszwecke ist sie infolge dieser kleinen Schwächen doch nicht untreu geworden.

Wie Sir Rowland Hill mit seiner „Postreform“ im wahren Sinne des Wortes die Welt eroberte und noch die Krönung des von ihm begonnenen Werkes durch die unter hochverdienstlicher Mitwirkung des deutschen Generalpostmeisters Dr. v. Stephan 1879 erfolgende Schöpfung des „Weltpostvereins“ erleben konnte, sah auch Chalmers noch die von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_302.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)