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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Ohne Zweifel ist es dieser lebhafte Marienkultus, der unsern Künstler veranlaßte, unter den Heiligenbildern, welche die alte Mainbrücke zieren, gerade das Standbild der Gottesmutter auf derselben noch zu einer besonderen Darstellung zu wählen.

Der Würzburger ist wie alle Unterfranken – mit Ausnahme der armen und verkümmerten Bewohner des Spessarts und der Rhön – heiter und lebensfroh, ein richtiger Weinländer. Würzburg geht ihm über alles. Er schaut herab auf den etwas schwerfälligeren Südbayern; aber auch auf den Rheinfranken, von dem er sagt:

„Wir guten Franken,
Wir loben und danken,
Daß wir nicht sein
Wie die Groben am Rhein!“

Dabei sind die Würzburger, da die Stadt und ihre Umgebung Jahrhunderte lang unter bischöflicher Herrschaft stand, streng katholisch. Seit dem Anfange des neunzehnten Jahrhunderts freilich ist der ausgleichende Zug, welcher in allen deutschen Städten an die Stelle früherer konfessioneller Einseitigkeit getreten ist, auch über Würzburg gekommen. Der jetzige bayerische Regierungsbezirk Unterfranken, dessen Hauptstadt Würzburg ist, enthält ja auch einzelne ganz protestantische Bezirke; so konnte die Provinzialhauptstadt mit ihren 55000 Einwohnern nicht ausschließlich katholisch bleiben. Der gewerbtreibende Bürgerstand von Würzburg scheint immer fleißig und thätig gemesen zu sein, aber neben seinem städtischen Gewerb nicht ungern etwas Weinbau in der Nachbarschaft getrieben zu haben. Eine eigentliche Industrie aber entwickelte sich erst im Laufe dieses Jahrhunderts; denn so lange die Stadt unter fürstbischöflicher Herrschaft stand, wurde das ersparte Kapital mehr zur Gründung und Bereicherung geistlicher Orden, Stiftungen und Pfründen als zur Gründung und Erweiterung wirthschaftlicher Unternehmungen verwendet.

Das meiste hat zur Beseitigung provinzieller Beschränktheit jedenfalls die blühende Universität Würzburg beigetragen. Schon lange, ehe die Eisenbahnlinien und die Niederlegung der Festungswerke nach dem 1866er Kriege der Stadt betriebsames Handels- und Gewerbsleben aus allen Theilen Deutschlands zuführten, war es die Universität, die einen regen Erguß von geistigem Leben in die städtische Bevölkerung vermittelte.

Sehen wir uns aber die Stadt etwas näher an: sie liegt, wie erwähnt, zu beiden Seiten des Mainstroms, da wo derselbe, nachdem er von der „Schweinfurth“ bis zu der „Ochsenfurth“ eine beträchtliche Strecke von Norden nach Süden geflossen ist, sich wiederum nordwärts gewandt hat. Der größere und wichtigere Theil der Stadt, flacher gelegen, befindet sich auf dem rechten, östlichen Stromufer; der kleinere Stadtteil steigt die höheren westlichen Ufer hinan, zur Feste Marienberg. Den anschaulichsten Ueberblick über die ganze Lage und die Umgebnug der Stadt gewinnt man theils von der alten Mainbrücke aus, theils von den nördlich der Stadt, hart am Main gelegenen Steinbergen. Diese Berghöhen, an deren Gehängen der köstliche Steinwein wächst, gewähren einen entzückenden Ausblick über das Mainthal, über die ganze Stadt Würzburg und die fernen Höhenzüge des Maingaues. Unser Künstler hat diesen Ausblick in höchst stimmungsvoller Zeichnung (S. 303) wiedergegeben. Ebenso großartig aber ist der Ueberblick von dem südlich an den Festungsberg sich anschließenden Nikolausberge. Dort erhebt sich das „Käppele“, eine Wallfahrtskirch, zu welcher breite Steintreppen hinanführen. Auch diesen Aussichtspunkt findet der Leser unter unseren Zeichnungen, oben auf dem Doppelbilde. Am Abhange des Festungsberges, welcher mit seinem gethürmten Schlosse den eigentlichen Mittelpunkt der Stadt bildet, wächst der berühmte Leistenwein. Die alte Feste selbst ist jetzt Kaserne.

Und nun wenden wir uns von diesen Aussichtspunkten herab in das Stromthal! Die eigentliche Stadt, auf dem der Festung gegenüberliegenden Mainufer, ist im ununterbrochenen Halbkreise von reizenden neuen Parkanlagen umgeben. Sie hat einige schöne neue Straßen mit prächtigen Privatbauten und öffentlichen Anstalten: die Ringstraßen, die Ludwigstraße, den Kaiserplatz. Charakteristischer aber für Würzburg sind die alten Straßen, in deren Bauten sich die verflossenen Jahrhunderte spiegeln. So namentlich die Domstraße, deren malerische Durchsicht (S. 307) unserem Zeichner Gelegenheit bot, zu zeigen, wie es im alten bischöflichen Würzburg aussieht.

Ein gründlicher Kenner Würzburgs behauptet, daß – wie sich solches ja für eine geistliche Stadt schickt – schon die Bauwerke, das bischöfliche Schloß sowohl, als die alten Domherrenhöfe, deutlich zeigen, daß die großen Herren hier im Cölibat lebten. Es wohnt trotz freier sonniger Lage in diesen Bauten eine gewisse kalte, einsame, klösterliche Pracht, in ihrer äußeren Erscheinung wie in den weiten öden Innenräumen; man merkt es, daß diese Häuser nicht für Frauen, nicht für Familien gebaut sind. Noch mehr offenbart sich freilich diese dunkle massive Pracht in den hochgethürmten mächtigen Kirchenbauten, die alten priesterlichen Residenzstädten so scharf ausgeprägte Profile verleihen. – Würzburg hat schöne Kirchen aus der Zeit des romanischen Stils. Großartig ist namentlich die dreischiffige Domkirche mit ihren vier schlanken Thürmen; sie ward um die Mitte des elften Jahrhunderts begonnen, hundert Jahre später vollendet, später in gotischem und dann in zopfigem Sinne umgestaltet. Aehnlich erscheint die hart nebenanstehende Neumünster-Kirche, in späterer Zeit sehr verunstaltet. In einem kleinen grasbewachsenen Friedhofe neben dieser Kirche ist das Grab des edelsten deutschen Minnesängers, Walthers von der Vogelweide. Statt des unscheinbaren Steines, der einst die Ruhestätte des Dichters bezeichnete, hat ihm die Nachwelt nunmehr ein schönes, mit bildnerischem Schmucke versehenes Grabmal gewidmet. Unsere Leser finden dasselbe an der unteren Seite des Doppelbildes. Auf letzterem zeigt sich auch der mächtige Kuppelbau der Stifthauger-Kirche. Uralt ist die Kirche von St. Burkard und die durch seltsame Thiergestalten an den Säulenkapitälen ausgezeichnete Schottenkirche. In ersterer befinden sich prachtvolle Holzschmitzereien (Chorstühle) aus spätgothischer Zeit, in letzterer nennenswerthe Wandmalereien. Ein berühmtes Bauwerk ist auch die gothische Marienkirche, deren Bau 1377 an Stelle einer bei Gelegenheit einer Judenverfolgung zu Grunde gegangenen Synagoge in Angriff genommen ward. Ein ganzes Jahrhundert aber währte es, bis der prachtvolle Bau vollendet werden konnte, zu dessen Kosten die Frauen ihre Schleier und Prachtgewänder, die Ritter Sporen und Rosse opferten. Damals galt die Würzburger Bauhütte als eine der besten Schulen der Steinmetzenkunst.

Zwischen diesen altehrwürdigen Kirchen, die von der Frömmigkeit und Kunst des Mittelalters Zeugniß geben, finden wir dann wieder jene Prachtbauten der Renaissance, welche der kunstsinnige Bischof Julius Echter von Mespelbrunn ins Leben rief. Ihre vollendete Zierde ist das 1584 vollendete Universitätsgebäude, großartig und edel in seiner aus antikem und gothischem Stile gemischten Erscheinung. Ihm ist die Neubaukirche angefügt, ein durchaus eigenartiges, in seinem Inneren als mächtiger Hallenbau imponirendes Bauwerk. Auch die Klöster der Karmeliter, der Minoriten und der Kapuziner rühren von demselben fürstlichen Erbauer her. Von seinem bedeutendsten Bauwerke, dem großartigen Juliusspital, sind nur das Portal und einige Galerien in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten geblieben; das übrige gehört einer viel späteren Zeit an. In der Allee vor dem Juliusspitale, welches auf unserem Doppelbilde oben erscheint, steht auch die Statue des Bischofs selbst, welche unser Künstler auch noch auf dem Bilde der Seite 308 als Wahrzeichen Würzburgs neben der alten Mainbrücke und der Feste Marienberg angebracht hat.

Fast in allen Straßen finden sich auch noch Bauten aus der Rokokozeit. So die prachtreiche Schönbornkapelle am Dome; das Stukkaturgewand des Domes selbst; dann vor allem die Würzburger Residenz, die neben einer Menge von Sälen und Zimmern (angeblich 300) nicht weniger als 24 Küchen enthält. Der schöne Hofgarten hinter der Residenz, von welchem unser Zeichner auf dem Doppelbilde eine kleine Ansicht giebt, enthält als wertvollste Merkwürdigkeit Thorgitter von unübertroffener Schmiedearbeit.

Dem Rokokostile gehören auch die Karmeliterkirche und das Jesuitenkollegium sammt Kirche an, ferner der Bischofshof, der Petershof, das deutsche Haus und manche andere Paläste der Dom- und Stiftsherren.

Endlich müssen wir aber auch noch die alte Mainbrücke betrachten. Auch sie ist ein altehrwürdiges Bauwerk; im Jahre 1474 begonnen, hat sie eine Länge von 603 Fuß alten Maßes – jetzt nicht ganz 200 Metern. Auf ihre Pfeiler hat ein späteres Jahrhundert vierzehn kolossale Steinbilder fränkischer Landesheiliger gesetzt. Schon im Jahre 1133 hatte Würzburg durch Meister Enzelin eine steinerne Mainbrücke erhalten; diese aber ward durch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_306.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)