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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

das wüthende Gewässer des Stromes bei einer Hochfluth im Jahre 1342 zerrissen, und über ein Jahrhundert währte es, bis man an den Bau der jetzigen Brücke schreiten konnte. Jetzt ist die alte Mainbrücke – eine zweite steinerne Brücke kam 1887 dazu – so recht der Platz, um Würzburger Landschaft und Volk vom Standpunkte des Spaziergängers aus zu betrachten.

Wie die Stadt selbst bietet auch die Umgebung manchen anmuthigen Blick. Vor allem beliebt aber ist der Ausflug nach dem zwei Bahnstationen entfernten Lustschlosse Veitshöchheim am Main, aus dessen reizendem barocken Parke unsere Leser eine Ansicht in der Mitte des Doppelbildes finden. Näher bei Würzbürg liegt das ehemalige Cistercienserkoster Oberzell, unmittelbar am Stromufer. In den ausgedehnten Räumen dieser Abtei arbeitet jetzt die weltberühmte Buchdruckmaschinenfabrik von König und Bauer. Unser Künstler hat auch sie auf einem reizenden kleinen Landschaftsbilde (Seite 309) wiedergegeben.

Dieses moderne Musteranwesen, so wohnlich in den alten Klosterhallen eingerichtet, ist ein bezeichnendes Bild der neuen Zeit. Aber noch ist die Erinnerung an die alte nicht verwischt. Am wenigsten in unserer schönen Mainstadt.

In Würzburg spukt es überall. Wie die modernen großen Weltstädte von Telegraphen- und Telephondrähten übersponnen sind, so Würzburg von den Goldfäden der Sage.

Schon an die Gründung Würzburgs knüpft sich eine höchst merkwürdige Geschichte, die den Ursprung der Stadt auf kein geringeres Ereigniß als auf den trojanischen Krieg zurückführt. Freilich sind die alten Chronisten darin recht uneinig, daß einige von ihnen sich erlauben, geflüchtete Abkömmlinge des Trojanervolks ins Würzburgische einwandern zu lassen, während Konrad Celtes berichtet, der kluge Odysseus sei mit seinen Genossen bei seinen Irrfahrten auch in Würzburg gelandet und habe dort eine Niederlassung gegründet. Der alte Homer weiß leider nichts davon; und so bleibt denn die Würzburger Reise des listigen Odysseus eine gänzlich unverbürgte Geschichte.

Eine andere eigenartige Sage haftet an einem ehernen Kreuzbild in der Neumünsterkirche. Ein schwedischer Soldat, heißt es, wollte das Kreuzbild stehlen, ward aber von der ehernen Gestalt des Gekreuzigten so fest in die Arme geschlossen, daß er nicht mehr von der Stelle konnte und erst am nächsten Morgen durch das Gebet eines Priesters wieder aus der schrecklichen Umarmung befreit ward. Schlimmer erging es dem Baumeister des Würzburger Domes, welcher sein stolzes Werk nur mit Hilfe des Teufels fertig brachte, dafür aber auch von diesem vom Gerüst weg geholt ward. Der Baumeister der Burkardskirche dagegen wollte seine Thürme anfänglich mit Schiefer decken; als ihm aber eine herabfallende Schieferplatte sein geliebtes Töchterlein erschlagen hatte, führte er die Thurmspitzen aus Hausteinen auf.

Die Domstraße in Würzburg.

Von dem Würzburger Ortsheiligen, dem Schotten St. Kilian, erzählt die Legende, daß er mit zwei Schülern, Kolman und Dietman (auch Colonat und Totnan genannt), im Fränkischen das Christenthum verbreitet und auch den zu Würzburg hausenden Frankenherzog Geswert bekehrt habe. Weil Geswert aber mit der Witwe seines Bruders vermählt war, forderte der Heilige die Trennung dieser Ehe. Die Herzogin ließ dafür den Heiligen sammt seinen Genossen durch gedungene Mörder erschlagen und heimlicherweise die Leichen verscharren. Fluch und Jammer war der Lohn dieser bösen That; die Herzogin ward wahnsinnig, der Herzog von seinen eigenen Dienern erstochen.

So die christliche Legende. An Erinnerungen aus uralter Heidenzeit mahnt uns die Sage vom Grabenreiter, der in Sturm und Nacht, den abgeschlagenen Kopf auf dem Arme tragend, durch den alten Wallgraben hinter dem Juliusspital reitet. Dem Teufel können wir in Würzburg leicht begegnen; wir brauchen nur um Mitternacht durch die „lange Gasse“ zu gehen; dann kann es uns wohl blühen, daß er auf unsere Schultern springt und uns bis an die Straßenecke reitet. Auch im geistlichen Seminar zu Würzburg pflegte sich ehedem der Teufel jenen jungen Priestern auf den Rücken zu hocken, die ihr Brevier nicht ordentlich gebetet hatten.

Nirgends im Deutschen Reiche war der Hexen– und Teufelsglaube thätiger als in Würzburg. Er ist es, der die finstersten Schatten in die Geschichte der Stadt zeichnet, finsterer als die Greuel des Bauernkrieges und der Schwedenzeit. Die Hexenprozesse stiegen ins Maßlose unter der Herrschaft des Bischofs Philipp Adolf, in den Jahren 1622 bis 1631. Bis zum letztgenannten Jahre waren im Bisthum Würzburg neunhundert Menschen wegen Zauberei hingerichtet worden; die meisten starben eines qualvollen Todes auf dem Scheiterhaufen. Und wenn auch der Hexenglaube später etwas in Abnahme kam: noch über ein Jahrhundert lang forderte er seine unschuldigen Opfer; denn erst im Jahre 1749 wurde zu Würzburg die letzte Hexe verbrannt. Es war die unglückliche Maria Renata Singer von Mossau, Nonne im Kloster zu Unterzell. Die Sage läßt sie noch in den ehemaligen Klosterräumen geistern. Aber auch im Zwinger an der Stadtmauer zu Würzburg steht ein „Hexenthurm“, in welchem Hexen eingekerkert und gefoltert wurden und heute noch nächtlicher Weile geisterhaftes Aechzen und Stöhnen vernehmen lassen. Jene Mauer mit ihren alten Thürmen ist auf unserem Doppelbilde zu finden.

So geistert die Sage durch Würzburgs Gassen. Und selbst die vom Lichte der Wissenschaft durchflammten Hallen der Universität läßt sie nicht im Frieden; denn an der östlichen Mauer des Universitätsgebäudes wandelt um Mitternacht der „ewige Student“ spazieren. Zu Lebzeiten war er der tollste Zecher, Nachtschwärmer und Raufbold der Hochschule und ward dafür von seinem eigenen Vater verwünscht, bis zum jüngsten Tage den Carcer zu hüten. So lange er aber geistert, so lange, heißt es, solle die Hochschule blühen und gedeihen.

Nun – im Würzburger Hofkeller liegen Weine, die so alt und so edel sind, daß, wer von ihnen einen reichlichen Trunk thut, unbeschadet um Mitternacht durch alle Gassen Würzburgs

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_307.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)