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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

floß eine glühende Röthe, und mit einer hastigen Bewegung wandte sie sich wieder dem Fenster zu.

„Das verstehst Du nicht, Tante,“ versetzte sie leise. „Du weißt nicht, wie viel Liebes und Gutes ich im Hause des Oberforstmeisters genossen habe, wie herzlich mich Toni um Verzeihung bat, als sie erfuhr, daß ihre künftige Schwiegermutter mich so tief gekränkt hatte. Was wird sie von mir denken, wenn sie hört, daß ihr Bräutigam sich duellirt hat um meinetwillen! Was wird Frau von Eschenhagen sagen!“

„Nun, sie werden doch wohl zu überzeugen sein, daß Du ganz unschuldig bist an der Sache, und wenn sie ein gutes Ende nimmt, erfahren sie überhaupt nichts davon. Ich erkenne Dich gar nicht wieder, Kind! Sonst pflegtest Du jede Sorge und Angst wegzulachen und diesmal übertreibst Du sie in einer geradezu beängstigenden Weise. Seit zwei Tagen ißt und trinkst Du kaum vor Aufregung, aber heut darfst Du mir nicht wieder so am Tische sitzen wie gestern und vorgestern, das sage ich Dir. Ich werde jetzt einmal nach dem Mittagsessen sehen.“

Damit stand die alte Dame auf und ging nach der Küche. Sie hatte recht, die lustige, übermüthige Marietta war gar nicht wiederzuerkennen. Es war ja ohne Zweifel ein peinliches, niederdrückendes Gefühl, durch jenen Vorfall in den Anlagen bei den Bewohnern von Fürstenstein vielleicht in ein falsches Licht gestellt zu werden, und selbst hier in der Stadt konnte der bisher so sorgfältig gehütete Ruf der jungen Sängerin leiden, wenn etwas davon verlautete; aber merkwürdigerweise traten diese Möglichkeiten bei ihr vollständig in den Hintergrund vor einer anderen Angst, die mit jeder Stunde wuchs und kaum mehr zu ertragen war.

„Wenn es sein muß, mit meinem Blute!“ flüsterte sie, unbewußt die letzten Worte Willibalds wiederholend, und preßte die heiße Stirn gegen die Scheiben. „O mein Gott, nur das nicht!“

Da tauchte plötzlich an der Straßenecke eine Gestalt auf, die schon von weitem auffiel durch ihre ungewöhnliche Größe. Sie kam raschen Schrittes näher und blickte suchend nach den Hausnummern, und mit einem halb unterdrückten Aufschrei der Freude flog Marietta vom Fenster zurück – sie hatte Herrn von Eschenhagen erkannt.

Sie wartete nicht, bis er die Klingel zog, sondern eilte selbst hinaus, um zu öffnen. In ihren Augen schimmerten noch die Thränen, aber ihre Stimme klang im hellen Jubel, als sie rief:

„Endlich kommen Sie – Gott sei Dank!“

„Ja, da bin ich, heil und gesund!“ bestätigte Willibald, dessen ganzes Gesicht aufleuchtete bei diesem Empfange. Sie wußten beide nicht recht, wie sie eigentlich in das Zimmer gekommen waren; dem jungen Manne war es gewesen, als hätte sich eine kleine, weiche Hand auf seinen Arm gelegt und ihn fortgezogen, wogegen er sich nicht im mindesten sträubte. Als sie sich nun aber gegenüberstanden, bemerkte Marietta, daß sich eine breite schwarze Binde um seine Rechte schlang.

„Mein Gott, Sie sind doch verletzt?“ fragte sie angstvoll.

„Eine leichte Schramme, gar nicht der Rede werth!“ versicherte Willibald seelenvergnügt, indem er die verwundete Hand schwenkte. „Dem Herrn Grafen habe ich einen etwas ernsteren Denkzettel gegeben, aber es ist auch nur ein Streifschuß an der Schulter und nicht die mindeste Gefahr für sein theures Leben vorhanden. Nicht einmal ordentlich schießen kann der Mensch!“

„Sie haben sich also doch geschossen? Ich wußte es!“

„Heut morgen um acht Uhr. Aber Sie brauchen sich nicht mehr zu ängstigen, mein Fräulein! Sie sehen ja, es ist alles glücklich vorübergegangen.“

Die junge Sängerin athmete auf, als sei ihr eine Bergeslast von der Brust genommen.

„Ich danke Ihnen, Herr von Eschenhagen! Nein, weisen Sie das nicht zurück! Sie haben ja das Leben eingesetzt um meinetwillen. Ich danke Ihnen tausendmal!“

„Keine Ursache, mein Fräulein, ist gern geschehen,“ sagte Willibald treuherzig; „aber da ich doch nun einmal Ihretwegen vor der Pistole gestanden habe, so müssen Sie mir schon erlauben, Ihnen ein kleines Erinnerungszeichen zu bringen. Nicht wahr, jetzt werfen Sie es mir nicht mehr vor die Füße?“

Er zog ein weißes Seidenpapier hervor – etwas ungeschickt, da er nur die Linke gebrauchen konnte – und schlug es auseinander. Eine voll blühende Rose und zwei halb erschlossene Knospen lagen darin.

Marietta senkte tiefbeschämt die Augen, stumm nahm sie die Blumen in Empfang und befestigte eine derselben an ihrer Brust, dann reichte sie ebenso wortlos dem Geber die Hand, und er verstand vollkommen die Abbitte.

„Sie werden freilich an ganz andere Blumengaben gewöhnt sein,“ sagte er wie entschuldigend. „Ich höre ja hier genug davon, wie man Ihnen von allen Seiten huldigt.“

Das junge Mädchen lächelte, aber mit einem mehr trüben als freudigen Ausdruck.

„Sie haben es ja mit angesehen, welcher Art diese Huldigungen bisweilen sind, und es ist nicht das erste Mal gewesen, daß mir dergleichen entgegentritt. Die Herren glauben sich ja alles erlauben zu dürfen, wenn man bei der Bühne ist, und nun vollends die Kollegen – glauben Sie mir, Herr von Eschenhagen, es ist oft recht schwer zu tragen, dies Los, um das ich von so vielen beneidet werde.“

Willibald horchte hoch auf bei den Worten.

„Schwer zu tragen? Ich glaubte, Sie liebten Ihren Beruf über alles und würden ihm um keinen Preis entsagen.“

„O gewiß, ich liebe ihn, aber ich habe doch nicht gedacht, daß ihm so viel Schlimmes und Bitteres anhaftet. Mein Lehrer, Professor Marani, sagt freilich: ‚Man muß emporsteigen wie mit Adlerschwingen, dann bleibt all das Niedrige und Gemeine tief unten zurück!‘ Er mag wohl recht haben, aber dazu muß man eben ein Adler sein, und ich bin nur ein ‚Singvögelchen‘, wie mein Großvater mich immer nennt, das nichts hat als seine Stimme und nicht so hoch emporsteigen kann. Die Kritiker werfen es mir oft genug vor, daß meinem Vortrage Feuer und Kraft fehle, und ich fühle ja selbst, daß ich kein eigentlich dramatisches Talent habe. Ich kann nur singen, und das thäte ich viel lieber daheim in unseren grünen Wäldern als hier in dem goldenen Käfig.“

Die Stimme des sonst so neckischen Mädchens klang in mühsam verhaltener Erregung. Der jüngste Vorfall hatte ihr doch die Schutzlosigkeit ihrer Stellung wieder deutlich vor Augen geführt, und nun ging ihr das Herz auf dem Manne gegenüber, der so tapfer für sie eingetreten war. Er hörte mit athemloser Spannung zu und schien ihr die Worte förmlich von den Lippen zu lesen, aber bei dem im Grunde doch traurigen Berichte strahlte sein ganzes Gesicht, als ob man ihm etwas sehr Freudiges verkündige, und jetzt fiel er stürmisch ein:

„Sie sehnen sich also fort von hier? Sie denken daran, die Bühne zu verlassen?“

Marietta lachte trotz ihres Kummers hell auf bei der Frage.

„Nein, daran denke ich wahrhaftig nicht, was sollte ich alsdann beginnen? Mein lieber Großvater hat jahrelang gespart und sich eingeschränkt, um meine Ausbildung als Sängerin zu ermöglichen, und es wäre ein schlechter Dank, wollte ich ihm dafür in seinen letzten Lebensjahren zur Last fallen. Er darf nicht ahnen, daß sein kleiner Singvogel sich so oft nach dem heimischen Neste sehnt und daß man ihm hier bisweilen das Lehen schwer macht. Ich bin ja auch sonst nicht so muthlos, ich halte aus und wehre mich tüchtig, wo es sein muß. Lassen Sie in Fürstenstein ja nichts von meinen Klagen verlauten! Sie gehen doch dahin?“

Ueber das eben noch so strahlende Gesicht des jungen Majoratsherrn flog ein Schatten, und jetzt war er es, der die Augen senkte.

„Ich reise allerdings heute nachmittag nach Fürstenstein,“ entgegnete er in einem seltsam gedrückten Tone.

„O, dann nach eine Bitte! Sie müssen Ihrer Braut alles sagen – hören Sie, alles! – Wir sind ihr das beide schuldig. Ich schreibe ihr heute noch ausführlich über das Vorgefallene, und Sie werden meinen Brief mit Ihrem Worte bestätigen, nicht wahr?“

Willibald hob langsam das Auge vom Boden und sah die Sprechende an.

„Sie haben recht, mein Fräulein, Toni muß alles erfahren, die volle Wahrheit, dazu hatte ich mich entschlossen, schon ehe ich hierher kam – aber es wird eine schwere Stunde für mich werden!“

„O, gewiß nicht!“ tröstete Marietta. „Toni ist gut und vertrauensvoll, sie glaubt es Ihnen und mir aufs Wort, daß wir beide ganz schuldlos sind an der Sache.“

„Ich bin aber nicht schuldlos, wenigstens meiner Braut gegenüber nicht,“ sagte Willy ernst. „Sehen Sie mich nicht so erschrocken an, Sie werden es ja später doch erfahren, und da

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