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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ist es vielleicht besser, ich sage es Ihnen selbst. Ich gehe nur nach Fürstenstein, um Toni zu bitten –“ er hielt inne und that einen tiefen Athemzug – „mir mein Wort zurückzugeben!“

„Um Gotteswillen! Warum denn?“ rief das junge Mädchen, förmlich entsetzt über diese Erklärung.

„Warum? Weil es ein Unrecht wäre, wollte ich so, wie es mir jetzt ums Herz ist, Toni meine Hand bieten und mit ihr vor den Altar treten. Weil ich jetzt erst einsehe, was bei dem Verloben und Heirathen die Hauptsache ist, weil –“ er vollendete nicht, aber seine Augen sprachen so deutlich, daß Marietta den Schluß vollkommen errieth. Ihr Gesicht tauchte sich plötzlich in eine wahre Purpurgluth; aber sie wich zurück und machte eine heftig abwehrende Bewegung.

„Herr von Eschenhagen, schweigen Sie! Kein Wort weiter!“

„Ich kann ja nicht dafür!“ fuhr Willibald trotzdem fort. „Ich habe ja ehrlich gekämpft und ehrlich versucht, mein Wort zu halten, die ganze Zeit über, die ich in Burgsdorf war. Ich glaubte auch, es würde möglich sein, aber da kam ich hierher, da sah ich Sie wieder – an jenem Abende in der ‚Arivana‘ – und da wußte ich es auf einmal, daß all das Sträuben umsonst gewesen war. Ich hatte Sie nicht vergessen, Fräulein Marietta, nicht eine Stunde, so oft ich es mir auch einredete, und werde Sie nicht vergessen mein Lebelang! – Das will ich Toni offen bekennen, und das werde ich auch meiner Mutter sagen, wenn ich zurückkehre.“

Das Geständniß war heraus. Der junge Majoratsherr, der mit jenem ersten Antrage in Fürstenstein nicht allein zustande gekommen war und sich von seiner Frau Mutter hatte einhelfen lassen müssen, sprach jetzt so warm und herzlich, so offen und ehrlich, wie ein Mann sprechen muß in solcher Stunde. Er hatte es auf einmal gelernt, und mit der Bevormundung, die er so entschlossen abschüttelte, schien auch alles Linkische und Lächerliche von ihm abzufallen.

Er trat rasch zu Marietta, die an das Fenster geflüchtet war, aber seine eben noch so feste Stimme wurde unsicher, als er fortfuhr: „Und nun noch eine Frage! Sie sahen so blaß aus, als Sie mir vorhin die Thür öffneten, und hatten so verweinte Augen. Die Sache mag Ihnen ja wohl peinlich und unangenehm gewesen sein, ich begreife es, aber – haben Sie sich auch ein wenig geängstigt – um meinetwillen?“

Er erhielt keine Antwort, nur ein leises Schluchzen wurde hörbar.

„Haben Sie sich geängstigt um mich? Nur ein einziges kleines ‚Ja‘, Marietta! Sie ahnen nicht, wie glücklich es mich machen würde!“

Er beugte sich tief nieder zu dem jungen Mädchen, das jetzt langsam das gesenkte Köpfchen hob. In den dunklen Augen leuchtete es wie ein Strahl heimlichen Glückes, und fast unhörbar erklang die Antwort: „Ich? Ach, ich bin in den letzten beiden Tagen fast gestorben vor Angst!“

Da jubelte Willibald laut auf und zog sie an seine Brust, freilich nur einen Augenblick lang, dann entwand sie sich rasch seinen Armen.

„Nein, jetzt nicht! Gehen Sie – ich bitte!“

Er ließ sie sofort los und trat zurück.

„Sie haben recht, Marietta! Jetzt noch nicht; aber wenn ich mich freigemacht habe, dann komme ich wieder und hole mir ein anderes ‚Ja‘ – leben Sie wohl!“

Er eilte stürmisch fort, ehe Marietta noch recht zur Besinnung gekommen war; aber jetzt ertönte die Stimme ihrer alten Verwandten, die, unbemerkt von den beiden, schon während der letzten Minuten auf der Schwelle des Nebenzimmers gestanden hatte und nun ganz entsetzt näher trat.

„Kind, um Gotteswillen, was war das, was soll das heißen? Bedenkst Du denn gar nicht –“

Das junge Mädchen ließ sie nicht ausreden, sondern schlang beide Arme um ihren Hals und rief leidenschaftlich:

„Ach, jetzt weiß ich es, warum ich so zornig war, damals, als er es zuließ, daß seine Mutter mich kränkte. Es that mir so namenlos weh, ihn für schwach und feig halten zu müssen – ich habe ihn ja lieb gehabt vom ersten Augenblicke an!“




Im Hause des preußischen Gesandten rüstete man sich für die bevorstehenden Winterfestlichkeiten. Als Wallmoden im Frühjahr seine jetzige Stellung antrat, zerstreute der nahende Sommer die Gesellschaft bereits nach allen Richtungen, und gleich darauf trat die Familientrauer ein, die vollends keine Geselligkeit erlaubte. Diese Gründe fielen nunmehr weg. Die zahlreichen Räume, die im Gesandtschaftspalaste zur Verfügung standen, waren mit einer Pracht eingerichtet worden, wie sie Herberts durch seine Heirath so glänzend gewordenen Verhältnisse erlaubten, und es lag auch durchaus in seinen Wünschen und Absichten, ein möglichst glänzendes Haus zu machen. In der nächsten Woche sollte der erste große Empfang stattfinden, und inzwischen wurden zahlreiche Besuche gemacht und angenommen.

Der Gesandte war auch amtlich sehr stark beschäftigt, und überdies gab es noch etwas, was ihm die Laune gründlich verdarb – der Erfolg der „Arivana“. Wenn er schon früher Bedenken getragen hatte, Rojanow offen entgegenzutreten, so war dies jetzt beinahe unmöglich geworden. Man hatte den „Abenteurer“ ja förmlich auf den Schild gehoben und feierte überall seinen Dichtergeist. Jetzt gerade durften der Hof und die Gesellschaft nicht gezwungen werden, ihn fallen zu lassen, wollte man nicht sie selbst einer förmlichen Beschämung aussetzen, und es war noch die Frage, ob sie ihn überhaupt fallen lassen würden, da es sich doch nur um Winke und Andeutungen handeln konnte. Jener Erfolg hatte Hartmut in der That fast unangreifbar gemacht.

Um die Lage des Gesandten vollends peinlich zu machen, stand nun auch noch die Ankunft Falkenrieds bevor, dem man die Wahrheit doch nicht verhehlen konnte und durfte, wenn er sie nicht von anderer Seite erfahren sollte. Der Oberst, von dessen Reise noch nicht das Geringste verlautete, als Wallmoden ihn kürzlich in Berlin gesehen hatte, wurde in diesen Tagen erwartet und sollte in der Gesandtschaft selbst absteigen, da er auch für Adelheid kein Fremder war; sie und ihr Bruder waren ja gewissermaßen unter seinen Augen aufgewachsen.

Als vor zehn Jahren der damalige Major Falkenried in die Provinz versetzt wurde, hatte er ein Kommando in der kleinen Stadt erhalten, die in unmittelbarer Nähe der großen Stahlbergschen Industriewerke lag und in ihrem Handel und Wandel gänzlich von denselben abhängig war. Der neue Major galt zwar für einen tüchtigen Soldaten, aber auch für einen ausgemachten Menschenfeind, der sich nur im Dienste allein wohl fühlte, seine ganze übrige Zeit mit militärischen Studien ausfüllte und alles haßte, was Gesellschaft und Geselligkeit hieß. Da er allein stand, so fiel für ihn die Nothwendigkeit weg, ein Haus zu machen, und im übrigen verkehrte er nur da, wo die Rücksicht auf seine Stellung es unabweisbar verlangte.

Dem großen Industriellen gegenüber, der die ganze Umgegend beherrschte und die ersten Persönlichkeiten als seine Gäste empfing, mußte eine solche Rücksicht nun allerdings genommen werden, und Stahlberg war denn auch der einzige gewesen, dem der vereinsamte Mann nähergetreten war. Wenn die starre, finstere Unzugänglichkeit des Majors auch eine eigentliche Freundschaft ausschloß, so hegten die beiden Männer doch die unbedingteste Hochachtung vor einander, und das Stahlbergsche Haus war der einzige Ort, wo Falkenried öfter und freiwillig erschien. Er hatte jahrelang dort verkehrt, hatte die beiden Kinder heranwachsen sehen, und deshalb nahm es ihm Wallmoden auch ernstlich übel, daß er nicht zu der Vermählungsfeier kam, sondern sich mit dienstlicher Verhinderung entschuldigte, als sein Jugendfreund eine Tochter dieses Hauses heimführte. Adelheid selbst wußte wenig oder nichts von den Lebensschicksalen des Obersten. Sie hielt ihn für kinderlos und hatte nur von ihrem Gatten erfahren, daß er früh geheirathet, sich aber nach einigen Jahren von seiner Frau getrennt habe und jetzt bereits Witwer sei. –

Es war etwa acht Tage nach der Rückkehr des Wallmodenschen Ehepaares, um die Mittagsstunde, als der jungen Frau, die in ihrem Zimmer am Schreibtisch saß, die Ankunft Falkenrieds gemeldet wurde. Sie erhob sich rasch, warf die Feder hin und eilte dem Eintretenden entgegen.

„Herzlich willkommen, Herr Oberst! Wir haben Ihre Depesche rechtzeitig erhalten, und Herbert beabsichtigte auch, Sie auf dem Bahnhofe zu empfangen, er hat aber gerade in dieser Stunde eine Audienz bei dem Herzog und ist noch im Schlosse; so konnten wir Ihnen nur den Wagen schicken.“

Ihre Begrüßung hatte die Vertraulichkeit, die ein alter Freund ihres Vaterhauses wohl beanspruchen durfte, der Gruß Falkenrieds dagegen war zwar nicht fremd, aber es lag doch keine Herzlichkeit darin. Kalt und ernst nahm er die dargebotene Hand und folgte der Aufforderung, Platz zu nehmen, während er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_312.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)