Seite:Die Gartenlaube (1890) 331.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Ich denke, Sie wissen recht gut, daß es nicht so gemeint war,“ sagte sie, zwischen Zorn und Verlegenheit schwankend. „Ob Prinz Lamoral zur Verantwortung gezogen wird oder nicht, ist mir höchst gleichgültig. Nicht an eine Anzeige beim Staatsanwalt dachte ich, sondern daran, daß es Ihnen augenscheinlich großes Vergnügen bereitet, mir gegenüber recht übel von ihm sprechen zu dürfen. Es ist ja auch so überaus wohlfeil – und erfordert sogar noch weniger persönlichen Muth, als ihn der Prinz soeben an den Tag gelegt hat.“

Wolfgang lächelte gutmüthig.

„Ich weiß nicht, warum Sie mich in einem so schwarzen Verdacht haben, liebe Cousine; aber wenn es mich in Ihren Augen reinwaschen kann, so erkläre ich gern, daß ich nicht einen Augenblick daran gedacht habe, Seine Durchlaucht aus dem Genuß Ihrer Freundschaft zu verdrängen. Da ich mich gar nicht der Ehre seiner Bekanntschaft erfreue, kann es mir wohl weder Vergnügen noch Mißvergnügen bereiten, von ihm zu sprechen.“

Cilly war von neuem sehr roth geworden, und sie wandte sich plötzlich ihrer Base zu.

„Würde es Dir jetzt genehm sein, Marie, daß wir uns auf den Heimweg machen? Man wird sich bereits in Sorge um uns befinden.“

Marie, die in wachsendem Erstaunen der kleinen Auseinandersetzung zugehört hatte, erklärte sofort ihre Bereitwilligkeit, und Wolfgang geleitete die beiden jungen Damen artig hinaus. Als sie schon auf dem Treppenflur standen, kehrte sich Cilly noch einmal hastig gegen ihn um:

„Wenn ich Sie verletzt haben sollte, so bitte ich um Entschuldigung, – ich hätte daran denken müssen, daß Sie mich aus einer sehr peinlichen Lage befreit haben! Nehmen Sie dafür noch einmal meinen Dank! – Adieu!“

Ohne ihm Zeit zu einer Antwort zu lassen, eilte sie leichtfüßig über den weichen Teppich der breiten Marmortreppe hinab. Wolfgang aber hielt seine Schwester noch für wenige Augenblicke zurück.

„Du wirst dafür sorgen, liebe Marie, daß man im Hause des Generals nichts von meiner Einmischung in diese Geschichte und von Eurem kurzen Aufenthalt in meinem Hause erfährt. Die Gründe dafür ein anderes Mal! Lebe wohl und unterhalte Dich königlich auf Eurem heutigen Feste, von dem Du mir später ausführlich erzählen mußt.“

„Marie!“ klang es etwas ungeduldig von unten herauf, und Wolfgang winkte der Zögernden lächelnd, sich zu beeilen.

Natürlich hatte Cilly unter dem frischen Eindruck der Katastrophe wenig Lust, ihr Leben abermals einer Droschke anzuvertrauen, und erklärte, sie könne den jetzt nicht mehr allzu langen Weg recht gut zu Fuß zurücklegen. So lange sie sich in der belebten Straße befanden, gingen sie schweigend neben einander her, als sie aber das Brandenburger Thor durchschritten hatten, konnte Marie sich doch nicht enthalten, zu fragen:

„Es war also wirklich der Wagen des Prinzen von Waldburg, der das Unheil angerichtet hat? Du hast ihn sogleich erkannt?“

Cilly blieb stehen und legte ihre Hand auf den Arm ihrer Begleiterin, daß diese den Druck fast als einen Schmerz empfand.

„Ich bitte Dich, frage mich nicht und sprich nicht mit mir davon! Wahrhaftig, es ist, als ob jeder ein besonderes Vergnügen darin fände, mich zu quälen.“

Ihre Stimme zitterte von verhaltenem Weinen; Marie aber fühlte sich durch dies unbegreifliche Benehmen endlich im Ernst verletzt und enthielt sich jeder Erwiderung. Nach einer weiteren Wanderung von fünf Minuten schien die Tochter des Generals denn auch zur Erkenntniß ihrer Unart gekommen zu sein. Sie schmiegte sich enger an ihre Begleiterin und sah ihr schmeichelnd ins Gesicht.

„Du mußt mir nicht böse sein, mein Herz,“ bat sie in jenem weichen Kinderton, der ihr in solchen Augenblicken eigen war und dem selbst ein wirklicher Groll kaum hätte widerstehen können. „Ich habe in der letzten halben Stunde so viel dummes häßliches Zeug geschwatzt, daß ich mich schäme, wenn ich nur daran denke. Du wirst Mühe haben, mir zu verzeihen, aber Du wirst es thun, nicht wahr? Es wäre schrecklich, wenn ich nun auch noch eine Einbuße an Deiner Freundschaft erleiden sollte.“

„Das ist eine unnöthige Besorgniß, meine liebe Cilly! Ich weiß ein in der Aufregung gesprochenes Wort recht gut von einer absichtlichen Kränkung zu unterscheiden. Aber wenn es mir gestattet ist, einen leisen Vorwurf auszusprechen, so meine ich, Du hättest meinen Bruder immerhin etwas freundlicher behandeln können.“

Es war doch schon wieder etwas von dem alten Trotz in Cillys Stimme, als sie erwiderte:

„Ich habe mich ja in aller Form bei ihm entschuldigt! Mehr kann ein junges Mädchen einem Herrn gegenüber doch nicht thun! Und bei ihm war es auch etwas anderes als bei Dir! – Er hatte die Absicht, mich zu ärgern und mir wehezuthun, als er sogleich von dem Prinzen zu sprechen anfing, und alle seine nachträglichen Versicherungen können mich nicht mehr vom Gegentheil überzeugen.“

„Aber wie in aller Welt sollte er dazu kommen? Ihr habt Euch, so viel ich weiß, seit seiner Rückkehr ein einziges Mal gesehen, und zu dem Prinzen unterhält er gar keine Beziehungen.“

„Ich habe auch keine Erklärung dafür,“ sagte Cilly, sehr angelegentlich nach der andern Seite blickend, „aber zuweilen genügt ja eine einzige Begegnung, um eine unauslöschliche Abneigung zwischen zwei Menschen zu erzeugen. Befindest Du Dich denn nicht Lothar gegenüber in der nämlichen Lage?“

„O, da möchte ich doch bitten!“ erwiderte Marie mit Lebhaftigkeit. „Von einer unauslöschlichen Abneigung ist – auf meiner Seite wenigstens – gewiß nicht die Rede. Dein Bruder und ich, wir haben vielleicht verschiedene Ansichten über manche Dinge und werden uns darin schwerlich jemals verständigen; aber das hindert mich nicht, seine vortrefflichen Eigenschaften rückhaltlos anzuerkennen.“

„Vergieb, wenn das Beispiel also ein schlecht gewähltes war. Aus Deinem bisherigen Benehmen gegen Lothar konnte ich eine solche Gesinnung ja wirklich nicht errathen. Ich aber habe nun einmal entschieden das Unglück, dem Herrn Zahnarzt zu mißfallen, und es wird mir doch wenigstens gestattet sein, mich gegen seine Spöttereien zu wehren. – Uebrigens – wir sind ja gleich zu Haus – habe ich noch eine große, eine sehr große Bitte auf dem Herzen! Du mußt mir im voraus versprechen, daß Du sie erfüllen wirst, und zwar ohne Wenn und Aber!“

„Da Du gewiß nichts Unmögliches verlangen wirst, sei dies Versprechen hiermit geleistet.“

„Du darfst weder meinen Eltern noch meinen Brüdern oder sonst jemand, der in unserem Hause verkehrt, ein Sterbenswörtchen von dem Vorgefallenen erzählen. Am Ende haben wir ja auch nicht einmal eine so glänzende Rolle dabei gespielt, daß uns an dem nachträglichen Erschrecken der Mama oder an den unvermeidlichen Neckereien Engelberts etwas gelegen sein könnte.“

Das war also der nämliche Wunsch, welchem vorhin schon Wolfgang Ausdruck gegeben hatte. Marie vermochte ihr Erstaunen über diese seltsame Uebereinstimmung nicht ganz zu verbergen.

„Ihr bringt mich fast zu dem Glauben, daß wir ein sträfliches Unrecht begingen, als wir uns umwerfen ließen,“ sagte sie. „Könntest Du es mir übelnehmen, Cilly, wenn ich zu erfahren wünschte, welches Deine eigentlichen Beweggründe für dies Heimlichthun sind?“

„Ich will mich nicht auslachen lassen! Ist das noch nicht Grund genug? – Und wenn ich nun wirklich noch eine andere Ursache hätte, würde es Dir schwer fallen, mir das kleine Opfer zu bringen?“

„Gewiß nicht! – Vermuthlich geschieht es aus Rücksicht für den Prinzen Lamoral, daß Du Deinen Eltern die Heldenthat seines Kutschers verbergen willst.“

Nur zwei Häuser trennten sie von der Villa des Generals. Cilly verlangsamte ihren Schritt, und indem sie das Köpfchen stolz erhob, sagte sie mit einem lebhaften Aufsprühen in den dunkeln Augen: „Ja – da Du es denn doch schon errathen hast! Es geschieht zum guten Theil auch um seinetwillen! Aber ich bitte Dich, daraus keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Heute abend wirst Du erfahren, wie es gemeint war.“

Sie traten in das Haus und konnten sich aus der Begrüßung, die ihnen zu theil wurde, leicht überzeugen, daß man ihretwegen ganz ohne Sorge gewesen war. Cilly bekundete im Kreise der Ihrigen sogleich eine Heiterkeit, welcher niemand anmerkte, daß sie nicht ganz natürlich war, und Marie hielt gewissenhaft das gegebene Versprechen. Keiner im Hause des Generals ahnte etwas von der Lebensgefahr, welcher sie kaum entronnen waren, und von dem unfreiwilligen Besuche, welchen Cilly dem Operationszimmer ihres zahnärztlichen Vetters abgestattet hatte.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_331.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)