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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Der reich geschmückte Festsaal der Villa und die behaglichen Räume, welche sich unmittelbar an denselben anschlossen, wurden aus Gaskronen, Wandleuchtern und Kandelabern bereits mit einem Meer von Licht überfluthet; aber von den erwarteten Gästen war noch keiner vorgefahren. Bis auf die Generalin, die schon seit geraumer Zeit in einem moosgrünen Sammetkleide mit unendlicher Schleppe umherrauschte, um die Anordnungen an den Büffetts wieder und wieder mit Kennerblicken zu prüfen und hier und da einige auf die leiblichen Bedürfnisse der Gäste bezügliche Anweisungen zu ertheilen, – und bis auf den Assessor, der in seinem Arbeitszimmer über einem Aktenbündel saß, als hätte er von den festlichen Vorbereitungen in seinem Elternhause überhaupt keine Ahnung – befanden sich sämmtliche Mitglieder der Familie noch in ihren Zimmern, mit ihrem Anzug beschäftigt.

Cilly war bei ihren Angehörigen ein wenig dafür verrufen, daß sie mit dem wichtigen Geschäft des Ankleidens trotz aller Hilfe der Zofe niemals rechtzeitig fertig werden könne. Sie hatte um dieser leidigen Gewohnheit willen schon unzählige Neckereien Engelberts über sich ergehen lassen müssen, und vielleicht nur, um ihr für den heutigen Tag eine Wiederholung derselben nach Möglichkeit zu ersparen, beeilte Marie ihren eigenen Anzug so sehr, daß sie noch Zeit genug behielt, auch ihrer Base Beistand zu leisten. Sie selber hatte jede Hilfe abgelehnt, ja, sie hatte trotz alles Zuredens nicht einmal die weitberühmten Frisirkünste von Cillys Jungfer in Anspruch genommen, da sie ihr prächtiges Haar durchaus nicht anders zu tragen wünschte als an jedem sonstigen Tage. Und ein Blick in den Spiegel konnte sie belehren, daß sie recht daran gethan hatte. Die einfache Anordnung der dicken, lichtblonden Zöpfe, in denen einige frische Blumen als einziger Schmuck befestigt waren, stand ihr ohne Zweifel ungleich lieblicher zu Gesicht als irgend ein kunstreicher Aufbau, wie ihn die an der Seine geschulte Phantasie der Mademoiselle Chériette zu erfinden liebte. Und dieselbe anmuthige Einfachheit hatte sie auch in Bezug auf all ihren sonstigen Festschmuck walten lassen. Ein weißes Kleid von schlichtem Faltenwurf, durch eine zarte, schön gezeichnete Stickerei belebt und hier und da mit einer kleinen, duftigen Ranke lebendiger Blumen verziert, überließ den edlen Linien und den weichen Formen ihrer vollkommen ebenmäßigen Gestalt den wesentlich größten Theil der Aufgabe, sich im Wettstreit mit den weiblichen Schönheiten, die man heute erwarten durfte, zu behaupten.

Von kindlicher Freude über das liebliche Bild erfüllt, das ihr der hohe Ankleidespiegel zurückgeworfen hatte, verließ Marie ihr Stübchen, um sich zu dem in demselben Stockwerk gelegenen Zimmer ihrer Base zu begeben. Sie hatte nur den langen Gang zu durchschreiten, um dahin zu gelangen, und sie war so wenig darauf gefaßt gewesen, anderen Personen als etwa einem der Dienstboten zu begegnen, daß ihr ein Ausruf der Ueberraschung entschlüpfte, als sie plötzlich Engelberts schlanke Gestalt wie aus dem Boden gewachsen vor sich stehen sah.

Auch er erschien, in seinem Paradeanzuge stattlicher, glänzender und siegesgewisser als je, und obwohl Marie während der letzten Stunden gar nicht an ihn gedacht hatte, war es ihr doch nun mit einem Mal, als ob sie sich nur für ihn geschmückt hätte und als ob eine Aeußerung des Wohlgefallens aus seinem Munde ihr Lohns genug wäre. Und sie brauchte nicht lange auf eine solche Aeußerung zu warten. Nachdem Engelbert sie eine Sekunde lang mit brennenden Blicken betrachtet hatte, beugte er sich plötzlich nieder und preßte seine Lippen leidenschaftlich heiß auf ihren schönen Arm.

„Marie – meine Herzenskönigin!“ flüsterte er. „Du weißt nicht, Mädchen, wie berauschend schön Du bist!“

Das Lob war unzweideutig; aber es war vielleicht anders, als Marie es ersehnt und erwartet hatte. Sie wich zurück und legte die Hände auf den Rücken, als ob sie damit eine Wiederholung der stürmischen Liebkosung verhindern wollte.

„Du bist unartig, Engelbert,“ sagte sie schmollend. „Würdest Du gegen eine andere junge Dame Eurer Gesellschaft etwas derartiges wagen?“

Aber der Dragoneroffizier ließ sich jetzt nicht mehr so leicht aus der Fassung bringen wie damals im Gewächshause nach dem ersten Mittagessen. Seinen martialischen Schnurrbart zwischen den Fingerspitzen wirbelnd, sagte er mit dem zuversichtlichen Lächeln eines Mannes, der nicht einen Augenblick an die Ernsthaftigkeit des ihm ertheilten Verweises glaubt: „Gewiß, mein Herz – vorausgesetzt natürlich, daß ich ihr so gut wäre wie Dir! – Und nur, weil diese Voraussetzung in das Gebiet der unmöglichen Dinge gehört –“

Marie unterbrach ihn durch eine abwehrende Gebärde.

„Wie soll ich solchen Versicherungen Glauben schenken? Ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß Du gestern irgend einer Cirkuskünstlerin dasselbe gesagt hast?“

Engelbert legte die Linke auf die Brust und nahm eine feierliche Haltung an.

„Haben Cillys Lästerungen mehr Gewicht für Dich als mein Manneswort? Was soll ich thun, Dich von der Aufrichtigkeit meiner Liebe zu überzeugen?“

Seine Worte durchströmten sie mit einer süßen Empfindung des Glückes; aber sie fühlte trotzdem ein leises Bangen unter dem heißen Blick, der so verzehrend auf ihr ruhte. Sie hätte laut aufjubeln mögen in dem Bewußtsein, geliebt zu sein, und doch peinigte es sie, sich mit dem Manne allein zu wissen, in dessen Blute diese leidenschaftliche Liebe loderte. Nur um einen Vorwand zur Flucht zu finden, suchte sie das Gespräch ins Scherzhafte zu wenden.

„Beweise sie mir, indem Du jetzt ganz artig hinuntergehst und indem Du mich künftig nicht mehr mit einer Kammerzofe verwechselst, wenn der Zufall uns abermals auf einem Treppenflur zusammenführen sollte. Das ist doch gewiß ein bescheidenes und leicht zu erfüllendes Verlangen.“

Sie wollte an ihm vorüberhuschen, doch Engelbert vertrat ihr den Weg. Er hatte sie nie schöner gesehen als in diesem duftigen Gesellschaftsgewande.

„Warum mußt Du mir immer unter den Fingern entschlüpfen, wenn sich uns einmal Gelegenheit bietet, ernsthaft mit einander zu reden? Geschieht das nicht ohnedies leider selten genug?“

Schelmisch und doch nicht ohne geheimes Zagen sah sie zu ihm auf.

„Ernsthaft?“ fragte sie. „Hier? Zwischen sechs Thüren, von denen in jedem Augenblick eine aufgehen kann? Nicht nur Deine Geschwister würden Gelegenheit haben, uns zu überraschen, sondern sogar die Dienstboten.“

„Nun, wenn es durchaus nicht sein soll, so zahle mir wenigstens ein Lösegeld dafür, daß ich Dich freigebe! Gieb mir ein Unterpfand, daß Dein Herz nur mir gehört, damit mich nicht die bloße Vorstellung rasend mache, Dich nachher mit anderen plaudern oder gar tanzen zu sehen!“

Eines ernstlichen Widerstands kaum gewärtig, machte er den Versuch, sie wie damals an sich zu ziehen und zu küssen; doch Marie entzog sich ihm sehr entschieden, und ihre Haltung wie ihre Miene ließ ihn nicht im Zweifel über die Aufrichtigkeit ihres Unwillens.

„Nein!“ sagte sie, „nur in Gegenwart Deiner Eltern werde ich Dir das zum zweiten Mal gestatten!“

Sie verschwand in der Thür von Cillys Zimmer, ehe sich Engelbert über eine passende Erwiderung klar geworden war. Er spitzte die Lippen und pfiff leise ein paar Takte aus der Melodie des neuesten Gassenhauers vor sich hin.

„Das war deutlich!“ meinte er, während er die Treppe hinabstieg und langsam die weißen Handschuhe anzog. „Nun – warum auch nicht? Ich für meine Person hätte verteufelt wenig dagegen einzuwenden!“ –

Auch der General stand jetzt bereits in seiner gestickten Uniform und im blinkenden Schmuck seiner vielen Orden inmitten des Empfangszimmers, vollkommen bereit, sich der sauren Pflicht einer liebenswürdigen Bewillkommnung der zahlreichen Gäste zu unterziehen, von denen die ersten nunmehr jeden Augenblick eintreffen konnten.

„Meine theuren Angehörigen lassen mich allem Anschein nach wieder recht hübsch im Stich,“ sagte er, als Engelbert eintrat. „Die Mama ist plötzlich unsichtbar geworden, Cilly ist natürlich noch nicht mit dem Anziehen fertig, und Lothar – hast Du überhaupt etwas von Lothar gesehen?“

„Soll ich meines Bruders Hüter sein, Papa? – Wahrscheinlich brütet er über einem Mord oder einem schweren Diebstahl mit Dietrichen und Brecheisen. Seitdem er sich der Kriminaljustiz in die Arme geworfen hat, ist er für mich so gut wie unsichtbar geworden.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_332.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)