Seite:Die Gartenlaube (1890) 342.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

schlesischen Hauptkamme eingeschlossen, in welchen letzteren die als die „Sieben Gründe“ bezeichneten Thäler eindringen, deren Wasser zum Theil der Elbe und zum Theill dem Weißwasser zugeht.

Wer nach Spindelmühl, dessen älterer Theil St. Peter genannt wird, gelangen will, den führt der Weg durch diesen stillen, schattigen Grund. Die beiden Orte an der Stelle, wo das Klausenwasser in die Elbe mündet, sind der Glanzpunkt auf der böhmischen Seite des Riesengebirges und, wie bekannt, alljährlich von einer wimmelnden Anzahl von Sommerfrischlern besucht. Eingeschlossen vom Ziegenrücken, Planur und Ausläufern des Krokonosch, mit ihren zum Theil sehr hübschen Häusern sich an saftigen Wiesenmatten hinziehend, liegen sie da wie ein entzückendes Idyll, ein friedliches Eden, in das kein mißtönender Laut von dem wirren Getriebe der Welt dringt – und nur schwer nimmt der Wanderer, der es mit seinen Augen geschaut, von seinem wunderbaren Frieden gekostet hat, wieder Abschied von ihm.

Vom Elbfalle zurückkehrend, überrascht mich ein Unwetter, das Rübezahl, das „neckrige Gespenst“, wie ihn die Leute nennen, beschert hat. Der Donner rasselt über meinem Haupte, der Blitz macht die Berge leuchten mit elektrischem Lichte, der Sturm durchjagt sie in wüthender Eile, die Regentropfen wie kleine spitze Nadeln in mein Gesicht treibend, und ich bin froh, in der Grubenbaude eine gastliche Herberge für die Nacht zu finden.

Noch heult und pfeift er, der unwirsche Sturm, als wollte er mir gruselig machen, wie ich schon schlafensmüd’ mich niedergelegt habe. Glücklicherweise schwimmt am frühen Morgen die ganze Bergnatur in eitel Glanz und Sonnenschein, und mit frischem Muth in der Brust und neuer Kraft in den Beinen wandere ich, mir den Hut mit einem blühenden Habmichlieb schmückend, über das Hohe Rad und die Große Sturmhaube, an den Gruppen der Manns- und Mädelsteine vorbei nach der geräumigen, nett eingerichteten Petersbaude und von da nach der Mädelwiese, von deren Einsattelung der schlesische Kamm in zwei Flügel getheilt wird. Versehen mit einem kräftigen Imbiß aus der Spindlerbaude, in welcher man die alte Eigenart des Baudenwesens noch ganz unverfälscht vorfindet, steige ich über die öde Kleine Sturmhaube, oft in die lachende Ebene des Thales schauend, nach dem Mittagssteine zu, einer wunderlich geformten, an der einen Seite einem angelehnten Menschen ähnlichen Felsmasse, um endlich bei dem Gegenstück der Schneegruben, den Teichen, ersehnte und wohlverdiente Rast zu halten.

Eine böse Strecke Weges habe ich hinter mir, erschöpft und schweißtriefend verlange ich nach Erfrischung, und mit Freuden begrüße ich das tüchtige neue Gasthaus, die Prinz-Heinrich-Baude, bei der unser Prinz gleichen Namens Pathe gestanden hat. Ein stattlicher, von Meister Kahl vortrefflich ausgeführter Bau, der nur mit unsäglichen Mühen und Beschwerden unter Dach zu bringen war, steht es an einem der wundervollsten Punkte, an dem Rande des Kessels, von welchem man auf den Wasserspiegel des Großen Teiches hinabsieht.

Daß es da steht, daß man in seinen schönen, stilvollen, mit Bildern und Kunstwerken gezierten, selbst mit einem Pianino versehenen Räumen Einkehr halten kann, verdanken wir dem Riesengebirgsverein, der sich schon so unendliche Verdienste um unser schlesisches Hochgebirge erworben und den Natursinn, das Naturgefühl in immer weiteren Kreisen geweckt und gepflegt hat. Vor allen anderen aber verdanken wir es einem überaus thatkräftigen Manne, dem Dr. Baer in Hirschberg, der unerschütterlich blieb, wenn sich auch der Unternehmung thurmhohe Schwierigkeiten entgegenstellten, und immer wieder das Feuer des Eifers anfachte, wenn es schier in Asche begraben schien. Ihm bringe ich einen herzhaften Schluck aus meinem Glase, mit ihm singend:

„Unten brüten Sorgen,
Oben sind geborgen
Wir vor aller Erdennoth und Qual –
Unten schrei’n die Spötter,
Oben laden Götter
Uns zu ihrem hohen Freudenmahl.

Unten wohnt das Grauen,
Oben dürfen schauen
Wir, soweit der Horizont sich spannt –
Drum in allen Jahren
Laßt zu Berg uns fahren
In dem lieben, schönen Schlesierland!“

Doch nun zu den Teichen! Wie die Schneegruben sind auch sie zwei so erhabene Naturbilder, daß sie all unsere Gedanken zu lebhaftester Bewunderung hinreißen. Namentlich am Großen Teiche, vom Volke der „Schwarze See“ genannt, ist das der Fall. Starr, unheimlich, unbeweglich, in finsterem Schweigen schaut er zu uns herauf aus seiner von hohen Steinwänden und übereinandergeschichteten Trümmern umschlossenen Vertiefung. Wir meinen, in seinem Wasser könne kein Wesen gedeihen. Und doch regt sich auch in ihm, wie Dr. Zacharias bewiesen hat, ein Gewimmel von Geschöpfen, kleinen Krebsen, Würmern, Käfern und Alpensalamandern.

Der Kleine Teich, über dessen Wände wie über die des Großen Teiches nicht selten eine Lawine hinabdonnert, hat ein ganz anderes Gepräge als dieser. Schon seine nächste Umgebung ist viel anmuthender durch die frische Wiese, die um die Teichbaude sich ausdehnt. Sodann blickt dieses Bergauge nicht so eisig starr, so finster zu uns auf wie der todtöde Große Teich; im Gegentheil, es ist reges Leben in diesem Wasser, es bewegt sich, es bildet Wellen, und wenn die Sonne freundlich darauf scheint wie heut, so können wir die flinksten aller Fische, die Forellen, sich munter in ihm tummeln sehen. Der Kessel des Teiches ist an der einen Seite offen und gestattet dem Wasser einen Abzug, welcher mit dem aus dem nachbarlichen See vereinigt nachher die Große Lomnitz, im Volksmunde „Lunze“ genannt, bildet. Die Länge des Kleinen Teiches beträgt 240, seine Breite 150 Meter, während der Große Teich eine Länge von 550 und eine Breite von 160 Metern hat.

Ich setze den Wanderstab weiter, noch ganz von dem tiefen Eindruck befangen, den ich gehabt, und gelange endlich auf den Koppenplan, eine feuchte sumpfige Hochebene, auf der das Knieholz, das nur leider stark ausgerottet wird, vortrefflich gedeiht.

Ich pflücke wie fast alle Koppenwanderer Anemone alpina, nach ihren langhaarigen Früchten. „Teufelsbart“ genannt, stecke mir auch einen Veilchenstein in die Tasche und schaue mir die Koppe, die sich wie eine kahle, riesenhafte Pyramide vor mir erhebt, erst einmal gründlich von unten an. Dann rüste ich mich zum Aufstieg, nachdem ich noch kurze Rast in der freundlich einladenden Riesenbaude gehalten habe. Der Herr der Berge scheint nicht bei bester Laune; unten im Melzergrunde hat er einen Sturm losgelassen, der das ohnehin beschwerliche Klimmen nach dem Ziele noch beschwerlicher macht. Ich stemme mich, soviel ich kann, gegen seinen brausenden Anprall, den Blick zur Kräftigung meines Willens immer auf das mächtig lockende Koppenhaus gerichtet, das über dem nach ihm emporführenden Zickzackwege in 1601 Meter Meereshöhe sich erhebt. Endlich habe ich’s, mit über das Gesicht rieselndem Schweiß, trotz der mich umwehenden, keineswegs mailauen Luft, erreicht! Lustiges Musikantenvolk, das sich da oben eingenistet hat mit einer ebenso lustigen, bunt zusammengewürfelten Gesellschaft, empfängt mich mit einer Millöckerschen Operetten-Melodie und frischt mir den Humor, der schon bedenklich zu ermüden begann, wieder auf – selbstverständlich in Verbindung und unter Mithilfe eines guten Tropfens. Ich bin so glücklich, ein Bett für die Nacht zu erobern; aber von Schlafen ist nicht viel die Rede. Das junge Volk in dem Hospiz, in dem ich übrigens auch den unvermeidlichen Skat spielen sah, schwingt, wer weiß wie lange, das Tanzbein. Frühzeitig schon ruft mich Glockenschall aus den Federn. Die Sonne geht auf! Ich bin einer von den wenigen Glücklichen, denen es vergönnt ist, zu schauen, wie das Licht des königlichen Tagesgestirnes von der Koppe nieder rosig von Berg zu Berg gleitet und dann in die Thäler hineinleuchtet, ein so über alle Beschreibung schöner, großer, wunderbarer Vorgang, daß sich kaum etwas mit ihm vergleichen läßt.

Wie gebannt stand ich ihm gegenüber und wie ich über die Berge hinsah, über diese stille, einsame Welt, in der die Seele sich, um mit der Königin Luise zu reden, Gott näher fühlt, da grüßt’ ich begeistert mein herrliches, schlesisches Land!

Allmählich kam die Zeit zum Abstieg. Noch einmal ließ ich an der kleinen, runden Laurentiuskapelle mein Auge umherschweifen weit in die Ferne, dann nahm ich Abschied von der erhaben thronenden Koppe, um noch einen Abstecher nach dem Riesengrunde, der vielleicht die großartigste Partie der Sudeten bildet, zu machen. Wenn ein Maler ihn durchwandert, muß er in Wonne schwelgen; denn soviel fesselnde Vorwürfe zu wirkungsvollen Bildern findet er nicht bald wieder beisammen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_342.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)